OÖ: ÖVP will Strafalter auf 12 Jahre senken, Experte widerspricht
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Ein Brüdertrio treibt aktuell in Pasching sein Unwesen. Einer ist 13 und strafunmündig, die beiden anderen sind 14 und 17. Autodiebstähle, demolierte Fahrzeuge, Einbrüche, Übergriffe, etwa auf Taxifahrer, stehen an der Tagesordnung.
Ein pikantes Detail erschwert die Arbeit der Heimleitung in dem Haus, in dem die Burschen untergebracht sind. Ein Gutachten attestiert den beiden älteren eine "verzögerte Reife", was ihnen defacto ebenfalls eine Strafunmündigkeit bescheinigt.
Nicht der erste Fall in OÖ - im Vorjahr hat ein als "Systemsprenger" bezeichneter Zehnjähriger die Einrichtung und den ganzen Ort an seine Grenzen gebracht.
Dabei haben Auslandsaufenthalte und eine verdoppelte Betreuungsintensität für eine erste Linderung gesorgt. Allerdings nicht dauerhaft, wie oö. Polizeidirektor Andreas Pilsl betont.
ÖVP will Strafmündigkeit senken
Im Zeitraum von 2013 bis 2023 sind die angezeigten Straftaten von Jugendlichen zwischen 10 und 14 Jahren von 4.800 auf über 10.000 gestiegen. In der Altersgruppe von 14 bis 18 wurde ein Zuwachs von 24.800 auf 34.000 Straftaten verzeichnet.
ÖVP-Landesrat Christian Dörfel versteht, "dass sich die Leute aufregen, warum da nichts gemacht wird. Rechten und Pflichten müssen auch für Jugendliche gelten. Sie müssen ihre Grenzen im Rechtsstaat kennen."
Eine Forderung kommt von der ÖVP Oberösterreich in diesem Zusammenhang immer wieder: Die Senkung des Strafalters von 14 auf 12 Jahre. "Das ist auch Thema in der Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ", bestätigt Dörfel.
Fußfesseln für Jugendliche
Zusätzlich solle das Jugendstrafrecht um den Einsatz von elektronischen Fußfesseln, Hausarrest oder alternativen Freiheitsbeschränkungen erweitert werden. Und die Strafandrohung für Bestimmungstäter soll erhöht werden. "Oft lassen strafmündige 17-Jährige die Taten von strafunmündigen Jugendlichen durchführen", weiß Dörfel.
Darüber hinaus soll es verpflichtende Nachbetreuungsprogramme geben, bei denen Eltern eingebunden werden müssen. Nach den Halloween-Krawallen habe sich das bewährt.
Unterstützt wird diese Forderung von Andreas Rabl, dem Welser FPÖ-Bürgermeister und Vorsitzendem des Städtebundes, der FPÖ Oberösterreich, ebenso von Polizeidirektor Pils.
"Müssen Bevölkerung schützen"
Letzterer ergänzt: "Wir müssen Bevölkerung vor jugendlichen Intensivtätern schützen." Es müsse die Möglichkeit geben, Kinder zur Nachtzeit festzusetzen: "Für Kollegen ist es völlig unbefriedigend, das fünfte Mal den gleichen Jugendlichen aufzugreifen, abzuliefern und zu wissen, dass er bald wieder zuschlagen wird."
Eben weil er strafunmündig ist. "Dabei tun die Schläge eines 13-Jährigen, wie bei einem Taxifahrer zuletzt, gleich weh wie jene eines 30-Jährigen", erläutert der Polizeichef.
Er verweist in dem Zusammenhang auf die Jugendcops in Oberösterreich, die „uns wertvolle Dienste geleistet haben“. Jugendkriminalität sei kein ausschließliches Thema der Polizei, es bedürfe der Zusammenarbeit vieler, samt nötiger Lockerungen beim Datenschutz. Dieser dürfe "kein Täterschutz" sein.
Eine Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Jugendkriminalität habe in OÖ im Vorjahr 212 Schwerpunktaktionen durchgeführt, bei denen es über 400 Anzeigen bei 682 kontrollierten Personen gab - 305 davon waren minderjährig.
Kriminologe Helmut Hirtenlehner von der Johannes-Kepler-Universität Linz (JKU) hat im Auftrag des Städtebundes und des OÖ Integrationsressorts eine Studie zu sogenannten jugendlichen "Intensivstraftätern" erstellt.
Experte gegen Senkung des Strafalters
Eines gleich vorweg: Der Experte hält die Senkung des Strafalters nicht für zielführend. "Das würde keine Veränderung bewirken", sagt Hirtenlehner, "es braucht Strafen und Grenzen, aber nicht über das Strafrecht, sondern über Jugendhilfe und andere Gesetze."
Gegen eine generelle Senkung der Strafmündigkeit treten die Grünen vehement ein. Wobei sie einräumen: "In unbelehrbaren Fällen sind im Einzelfall auch für Kinder Konsequenzen unumgänglich. Von einer Unterbringung in Einrichtungen, Hausarrest bis zur Schadensersatzpflicht für Eltern", sagt Anne-Sophie-Bauer von den oö. Grünen.
Offen für Aufenthaltsverpflichtung
Was auch der Experte ähnlich sieht: "Wohn-Einrichtungen in einem pädagogischen Umfeld mit Aufenthaltsverpflichtung wird es brauchen." Dazu seien gesetzliche Rahmenbedingungen und personelle Ressourcen nötig.
Dem pflichtet auch Dörfel bei: „Wegsperren kann auch Hausarrest in pädagogischen Einrichtungen sein.“ Und er betont, dass er nicht jedes Kind einsperren, sondern über "die Härte des Gesetzes und bessere Angebote" Erfolge erzielen will.
Wertecoaching geplant
So will er ein "oö. Wertecoaching entwickeln, ähnlich dem deutschen "Hood"-Training, das neue Strategien in Sachen Konfliktbewältigung anbietet und Jugendliche davon abhalten soll, "auf blöde Gedanken" zu kommen.
Analoge Angebote sollen im Netzt sichtbarer gemacht werden, weil gerade im digitalen Kontext viele - auch kriminelle - Kontakte entstehen. Auch die Steuerungsgruppe für ein gewaltfreies Miteinander wird wieder aktiviert und soll weitere Maßnahmen entwickeln - dort nimmt auch die Jugendwohlfahrt eine Schlüsselposition ein.
Die Studie
Die Studie, in der unter anderem 50 Straftäter zwischen 13 und 19 Jahren aus ganz Österreich befragt wurden, zeigt: Der junge Straftäter ist männlich, Migrant und kommt aus schwierigen Verhältnisse. Hirtenlehner: "Oft fehlt ein Elternteil, es sind große Familien ohne große finanzielle Not, aber doch minderprivilegiert."
Was immer mitspielt - oder eben nicht: Die Eltern. Oft gibt es ein Aufsichtsdefizit, die Eltern wissen nicht, wo sich die Kinder sich aufhalten und kümmern sich auch nicht drum, weiß Hirtenlehner.
Dazu komme, dass Mütter in migrantisch geprägten Familien ihre Kinder bei Straftaten oft decken würden: "Deshalb bleiben Vorfälle oft sanktionslos."
Erkennbar ist das Abgleiten oft sehr zeitig. Exzessives Schulschwänzen, Leistungsdefizite, schlechte Noten, die Kinder sind verhaltensauffällig und haben sprachliche Defizite. "Und sehr oft sind sie arbeitslos oder in Trainingsprogrammen."
Viel Freizeit führt oft zu Kriminalität
Die logische Konsequenz laut Hirtenlehner: Viel Freizeit, die sie im öffentlichen Raum verbringen, wo sie auf "Freunde" mit kriminellen Karrieren treffen. „Die planen ihre Taten nicht lange, das sind gruppendynamische Prozesse, die in strafbaren Handlungen münden“, weiß Hirtenlehner.
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Ehre und Respekt ist den jungen Leuten wichtig. Sie wollen Respekt entgegengebracht bekommen, sie wollen Anerkennung – die finden sie dort, in ihren Gruppen. Dort ist Gewalt positiv angesehen und bringt ihnen den Respekt, so ein Fazit der Studie.
„Sie gewinnen durch Straftaten an Ansehen in der Gruppe, das tut ihnen gut“, sagt Hirtenlehner, „und genau das suchen Integrationsverlierer ganz intensiv.“ Diese Spirale gelte es zu durchbrechen.
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