Bereits Neunjährige werden onlinesüchtig: "Eltern sind verzweifelt"

Bereits Neunjährige werden onlinesüchtig: "Eltern sind verzweifelt"
Psychiatrie-Primar am Linzer Kepler-Klinikum schlägt wegen der "Droge Internet" Alarm.

Kurosch Yazdi-Zorn ist Vorstand der Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin am Kepler-Universitätsklinikum in Linz. Alkohol, Nikotin, Drogen, Spielsucht waren sein Metier. Seit es das Internet gibt, ist auch diese "Droge", wie er es nennt, im Vormarsch.

Und zwar gewaltig. "2013 waren drei Prozent der 15-Jährigen internetsüchtig, laut einer Studie in Deutschland sind es jetzt fast zehn Prozent", zeigt sich der Mediziner besorgt. Die Verdreifachung werde auch in Österreich zutreffen, ist er überzeugt. 

Aber es sind nicht bloß die 15-Jährigen, die ihm Sorgen bereiten. Anfangs waren es vorwiegend männliche Studenten, die behandelt wurden - "World of Warcraft" sei da ein großer Auslöser gewesen, vor sieben Jahren war es noch die Gruppe der 15-Jährigen. "Jetzt wenden sich verzweifelte Eltern von Kindern im präpubertären Alter ab neun Jahren an uns", schlägt Yazdi-Zorn Alarm. 

Fortnite bei Burschen, soziale Medien bei Mädchen

Sei 14 Jahren schlagen Patientinnen und Patienten mit Verhaltenssüchten in der Suchtambulanz in Linz auf, seither ist ein stetiger Zuwachs "an jungen Menschen zu verzeichnen, die eine unkontrollierte Mediennutzung" aufweisen. 

Bereits Neunjährige werden onlinesüchtig: "Eltern sind verzweifelt"

Kurosch Yazdi-Zorn

Und während es sich bei den jungen männlichen Patienten hauptsächlich um Spiele-Abhängigkeiten handelt, sind Mädchen und junge Frauen besonders durch soziale Medien gefährdet, "weil sich oftmals das Selbstbild an die Scheinwelt im Internet anpasst", erläutert Yazdi-Zorn: "Ein Neunjähriger, der von der Gratis-Version von Fortnite abhängig wird, kommt als 13-Jähriger bei anderen Spielen auch nicht mehr weg."

"Die Verfügbarkeit des Internet steigt, die Verbreitung der Droge wird immer größer", beschreibt der Mediziner die Problematik. "Und es steckt eine gewaltige Industrie dahinter, die gerade junge Menschen verführen will."

Die "Droge Internet"

Ein Problem liegt bei den Eltern - aber in erster Linie deshalb, weil diese, im Gegensatz zu Alkohol und Nikotin, nicht mit dieser "Droge Internet" aufgewachsen sind und deren Wirkmechanismen nicht kennen.  

Eltern sind ein Schlüssel. Karlheinz Staudinger von pro mente Oberösterreich betreut seit 14 Jahren die Suchtambulanz. Er appelliert an die Eltern: "Mit den Kinder über das Nutzungsverhalten im Internet reden ist ein ganz wichtiger Punkt."

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Karlheinz Staudinger

Problemlösung ist offen

Dass Eltern dabei nicht immer das beste Vorbild abgeben, ist allen bewusst. Sind strengere gesetzliche Regeln der Schlüssel dazu? "Aus medizinischer Sicht wären Normen und Regeln wichtig", sagt Yazdi-Zorn, wissend, dass das Problem nicht in Oberösterreich oder Österreich zu lösen sein wird. Aber wo genau Regeln anzusetzen seien, darauf will sich Yazdi-Zorn nicht festlegen lassen - weil es sich um eine sehr differenziert zu betrachtende Angelegenheit handle.

Soziallandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) hält die "Regulierung des digitalen Raumes" für nötig, ebenso fordert er eine Beschränkung der Algorithmen - weil eben etwa "Tiktok dich in eine extreme Position" leitet.

Medienkompetenz fehlt immer noch

Werden die Schülerinnen und Schüler im Bildungswesen auf die Gefahren des Internet entsprechend vorbereitet? "Nein", räumt Bildungslandesrätin Christine Haberlander (ÖVP) ein. Mit der digitalen Grundbildung sei zwar ein erster Schritt erfolgt, "aber Medienkompetenz wird nicht ausreichend vermittelt", ist sie überzeugt.

Haberlander würde jedenfalls ein Verbot retuschierter Bilder - vor allem mit Blick auf die Probleme, die jungen Mädchen daraus entstehen - begrüßen. Wiewohl auch sie keine Patentlösung hat: Vielmehr sei die Problematik gesellschaftlich zu lösen. "Es braucht generell einen kritischen Umgang mit Medien" und eine Ermächtigung junger Menschen, im digitalen Raum zu bestehen. 

Die Rolle der Ausbildung

Eine Rolle spielt dabei die Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen - diese verbessere sich zusehends, weiß Haberlander. Auch Angebote für Eltern gibt es, etwa bei pro mente OÖ. 

Das sei eine der wichtigsten Botschaften überhaupt, schließt Yazdi-Zorn: "Wenn ein Problem auftritt, gibt es bei der Suchtambulanz niederschwellige Hilfsangebote." Zuletzt wurde auch eine Telefonsprechstunde eingerichtet. 

Und er versichert: "Spiel- und Internetsucht sind heilbar." Allerdings weiß Staudinger auch: "Da speziell bei jungen Menschen häufig wenig Problembewusstsein in Bezug auf ihren Internetkonsum vorherrscht und sie deshalb wenig Bereitschaft zeigen, sich professionell unterstützen zu lassen, haben wir auch eine Therapiegruppe für Angehörige, also meist die Eltern, eingerichtet."

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