"Österreich ist Einwanderungsland"

Judith Raab hat ihren Ton in der politischen Auseinandersetzung verschärft, damit sie von den Wählerinnen und Wählern gehört wird
Die Spitzenkandidatin der Neos hält nichts von Grenzzäunen gegen Flüchtlinge.

Judith Raab (46), die sich selbst in einer Aussendung als "wandelnde Irritation" bezeichnet, ist Spitzenkandidatin der Neos für die Landtagswahl am 27. September. Umfragen zufolge liegen die Neos zwischen zwei und fünf Prozent der Stimmen. Vier Prozent sind für den Einzug in den Landtag notwendig.

KURIER: Sie haben sich beim Vortrag des Molekularbiologen Jürgen Knoblich vor der Internationalen Akademie in Traunkirchen in die erste Reihe gesetzt. Haben Sie erwartet, dass Sie begrüßt werden?

Judith Raab: Ich hatte dort keine Funktion. Warum sollte ich begrüßt werden?

Sie sind Spitzenkandidatin der Neos.

Das war nicht meine Erwartungshaltung. Wir hatten das vorher abgesprochen.

Sie sind Ende Juli als Mitarbeiterin der Internationalen Akademie ausgeschieden. Warum?

Das war eine Zeitfrage. Ich will meine Energie in den Aufbau von Neos stecken. Wenn wir im Oktober im Landtag sind, braucht das mein volles Engagement.

Was machen Sie derzeit beruflich?

Ich mache noch immer das, was ich vorher gemacht habe: Begabungsförderung. Das ist im Prinzip das, was ich schon in Traunkirchen gemacht habe.Kinder mit einer besonderen Begabung brauchen eine besondere Begleitung.

Der Ton der Neos ist ähnlich wie jener der FPÖ ein radikaler. Die Freiheitlichen sprechen von Altparteien, Sie von Gewohnheitsparteien.

Dieses Wort drückt aus, was diese Parteien sind. Sie sind gemütlich geworden, es ist der Drive heraußen, es rührt sich nichts. Es geht darum, dass uns die Menschen kennenlernen und hören, und das bedeutet, auch ein bisschen lauter zu sein.

Ihre Partei ist am Einzug in den burgenländischen und steirischen Landtag gescheitert. Bundessprecher Matthias Strolz hat darauf hin im KURIER erklärt, Neos müsse den Wahlkampf umstellen, weil ansonsten die Gefahr bestehe, unter die Räder zu kommen.

In Oberösterreich gibt es extrem viele Baustellen, wo man hinzeigen muss, was Sache ist. Österreich hat weltweit die höchste Parteiförderung. Und in Österreich hat wiederum Oberösterreich die höchste aller Bundesländer. Das ärgert die Menschen. Sie sind verzweifelt darüber, dass sich die Parteiapparate unglaublich viele Millionen in die eigenen Taschen stecken. Gleichzeitig haben wir eine hohe Jugendarbeitslosigkeit.

Sie haben ÖVP-Landesgeschäftsführer Wolfgang Hattmannsdorfer vorgeworfen, mehrere Posten einzunehmen. Er hält Ihnen vor, mit Dreck und Schmutz herumzuwerfen, denn diese Positionen seien Teil seiner Funktion als Parteisekretär und damit unbezahlt.

Wir haben seine Funktionen aufgezeigt, weil das politische System, das jetzt gelebt wird, nicht mehr zeitgemäß ist. Dieses Multifunktionärswesen, die Mitgliederparteien, die Funktionäre auf Lebenszeit und die Parteiförderungen haben ausgedient. Dieses System treibt die Menschen teilweise zur Verzweiflung.

Die Flüchtlingsfrage dominiert den Wahlkampf. Was ist aus Ihrer Sicht die Lösung?

Die Unterbringung der Flüchtlinge soll in die Bundeskompetenz, weil die Länder unfähig sind und daran scheitern. Man muss lediglich einen kompetenten Manager dafür einsetzen. Dann wäre das alles längst geregelt. Die Gemeinden müssen eingebunden werden, es muss mit ihnen gesprochen werden, damit es eine gute Einbindung der Bürger gibt. Es braucht kleine, menschenwürdige Einheiten. Deutschkurse und Arbeit sind wichtig. Nach sechs Monaten soll jeder Flüchtling arbeiten dürfen. Die Asylverfahren müssen beschleunigt werden. In anderen Ländern schafft man das.

Die jetzige Situation hat sich ja bereits vor zwei Jahren abgezeichnet. Sie ist ja nicht vom Himmel gefallen. Man hätte strategisch planen können. Man hätte mehr Mitarbeiter ausbilden können. Jetzt liegt ein völliges Versagen, ein Dahinmurksen vor.

Die FPÖ, der bayerische Innenminister Joachim Herrmann und Landeshauptmann Josef Pühringer sprechen sich für die Einführung von Grenzkontrollen aus. Sind Sie auch dafür?

Keinesfalls, denn es löst das Problem nicht. In Europa kann man nicht einfach Grenzkontrollen einführen.

Man kann Schengen zeitweise außer Kraft setzen.

Die Voraussetzungen sind dafür nicht gegeben.

Wie sollte man mit Schleppern umgehen? Die einen sehen in ihnen Flüchtlingshelfer, die anderen eine organisierte Mafia.

Das Schlepperwesen ist ein riesiges Problem. Die Flüchtlinge werden über das Mittelmeer gebracht, es ertrinken Tausende. Man muss schauen, dass die Anträge auf Asyl in den jeweiligen Ländern gestellt und dort geprüft werden können. Alles, was Gefahr für das Menschenleben bedeutet, können wir nicht unterstützen.

Soll man die Schlepper verhaften?

Langfristig kann man das Problem nur lösen, wenn man die Kriegsherde in den Ländern entschärft. Das ist aber eine langfristige Lösung. Wir können jetzt nur schauen, dass den Betroffenen menschenwürdig geholfen wird. Jetzt Grenzzäune aufzuziehen und Panikattacken zu setzen, das hilft den Menschen nicht. Managementkompetenz wäre gefragt gewesen.

Wie viele Flüchtlinge sollte Österreich aufnehmen? Die Bevölkerung hat den Eindruck, dass wir überschwemmt werden, weshalb viele der FPÖ ihre Stimme geben.

Ich verstehe die Menschen, die Angst haben. Kein Verständnis habe ich für jene, die die Angst schüren. Es ist genauso wenig möglich Obergrenzen festzulegen wie Zäune aufzubauen. Man kann zu den Flüchtlingen nicht sagen, du bist jetzt der 25. und dich behalten wir nicht. Wie will man das regeln? Man braucht auf europäischer Ebene eine Regelung. Da braucht man Quoten ganz dringend. Auch das hat man verschlafen. Man hätte das alles vor zwei Jahren machen müssen. Man hat gewusst, dass dieses Problem auf uns zukommt.

Wie soll man mit den Flüchtlingen aus den Balkanländern umgehen?

Wer unter die Menschenrechtskonvention fällt, der bekommt Hilfe. Für Wirtschaftsflüchtlinge muss man ein klares Regelungswerk schaffen, wen wir im Land haben wollen. Das hat man auch nicht gemacht. Österreich ist ein Zuwanderungsland. Wir brauchen Menschen. Man sollte klar definieren, welche Berufe wir benötigen. Zum Beispiel IT-Experten und Pflegepersonal.

In einer Ihrer Presseaussendungen sprechen Sie von "Freunderln und Günstlingen" von Landeshauptmann Josef Pühringer. Wer sind die?

Wieso haben wir noch immer einen Bundesrat und einen Landesschulrat? Das sind politische Parkplätze für Leute, die man nicht braucht. Der Bundesrat gehört ins Museum. Auch den Landesschulrat braucht kein Mensch.

Welche Konsequenzen ziehen Sie, wenn die Neos nicht in den Landtag kommen?

Ich gehe davon aus, dass wir im Herbst im Landtag sein werden. Über das andere Szenario mache ich mir überhaupt keine Gedanken. Ich brenne schon darauf, dass wir eine Opposition im Landtag stellen können. Diese fehlt ja völlig. Es treibt die Leute in die Verzweiflung, dass wir die politischen Mindeststandards nicht einhalten.

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