Wie äußert sich dieses Anspruchsdenken?
Es wurde von den Ärztinnen und Ärzten, von der Politik und von der Gebietskrankenkasse suggeriert, es kann jeder zu jeder Tages- und Nachtzeit kommen und er wird rund um die Uhr behandelt. Bei jeglicher Problematik. Man muss den Menschen ehrlich sagen, dass wir uns in Zukunft auf das Wichtige fokussieren müssen. Es wird in den nächsten Jahren nicht mehr so sein, dass alles zu jeder Tages- und Nachtzeit vorhanden sein wird.
Vor 50 Jahren waren die Hausärzte zu jeder Zeit verfügbar, auch in der Nacht.
Damals war ein nächtlicher Anruf etwas Seltenes. Damals hatte jeder Haushalt ein großes Buch zur Verfügung, in dem Empfehlungen wie Topfenwickel gestanden sind. Die Menschen haben in vielen Dingen die Gesundheitskompetenz und das Gefühl dafür verloren, mit ihrer Gesundheit umzugehen. Da kommen nächtliche Anrufe: „Ich habe 38 Grad Fieber.“ Oder man geht mit einem Zecken ins Krankenhaus. Das hält das System in dieser Art und Weise nicht mehr aus.
Die Einstellung der Ärzte hat sich ebenfalls geändert. Sie sind nicht bereit, so viele Stunden im Spital bzw. in der Ordination zu verbringen, wie das früher der Fall war.
Es hat sich auch die Arbeitswelt bei den Ärzten geändert. Als ich meinen Turnus im Krankenhaus in Ried/I. absolviert habe, habe ich am Freitag um 7 Uhr begonnen und bin am Montag um 14 Uhr aus dem Dienst gegangen. Das erzählt man heute wie eine Heldengeschichte, aber das war falsch. Die jungen Mediziner von heute sind klüger und arbeiten in hoher Kompetenz und Qualität in der Zeit, die dafür vorgesehen ist.
Gesundheitsminister Johannes Rauch hat angekündigt, die Macht der Ärztekammer zu beschneiden, um das Ziel zu erreichen, bis 2025 österreichweit 121 Primärversorgungseinrichtungen (PVE) zu installieren. Warum leistet die Ärztekammer hier Widerstand?
Wir leisten keinen Widerstand. Wir haben kein Vetorecht in dem Sinn, dass eine Minderheit die Mehrheit blockieren kann.
Es wird im regionalen Gesundheitsstrukturplan der Ärzte-Stellenplan der Kassen festgelegt. Wenn Stellen nicht besetzt werden, wird geschaut, ob eine Primärversorgungseinrichtung installiert werden kann. Dafür benötigen wir zuerst Ärzte, die dort arbeiten. Hier besteht eine Verhandlungsebene auf gleicher Augenhöhe. Wir haben das in Oberösterreich zwischen dem Land, der Gesundheitskasse und der Ärztekammer stets gut gelöst. Man kann aber eine PVE nicht neben einer Einzelpraxis eröffnen.
Liegen die Probleme bei den offenen Hausarztstellen nicht weniger an der Politik , sondern an der Gesundheitskasse, die die Rahmenbedingungen so gestalten sollte, dass diese attraktiv sind?
Die oberösterreichische Gebietskrankenkasse hat sich vor der Zusammenlegung eine Rücklage von 500 Millionen Euro durch ökonomisches Handeln erwirtschaftet. Das ist Geld der Beitragszahler.
Das hätte man einsetzen müssen, um neue Modelle für die Betreuung der Patienten zu schaffen. Mit der Fusionierung zur Österreichischen Gesundheitskasse war das Geld weg. Dennoch hatte die Gesundheitskasse 2021 ein Defizit von 21 Millionen Euro.
Während Hausärztestellen unbesetzt bleiben, steigt die Zahl der Wahlärzte stark an. Warum?
Anscheinend ist das System der Kassenmedizin bis jetzt für die jungen Kolleginnen und Kollegen wenig interessant. Man muss einige Dinge ändern. Ich bin mir aber sicher, dass wir mit dem innovativen Abschluss mit der ÖGK in OÖ die richtigen Schritte setzen
Warum sind die Spitalsambulanzen so überlaufen?
Weil wir zu wenig Kolleginnen und Kollegen im niedergelassenen Bereich haben. Die Gesundheitskasse zahlt den Trägern eine Pauschale für die Arbeit in den Spitalsambulanzen. Natürlich hatte die Gesundheitskasse in den vergangenen Jahren nie das Interesse, draußen niedergelassene Ärztinnen und Ärzte aufzubauen, denn wenn sie dort jemanden hintun, dann kostet sie das mehr als wenn die Menschen ins Krankenhaus gehen und dort eine Pauschale bezahlt wird.
Es ist enorm wichtig, den niedergelassenen Bereich zu stärken und gerade in der Peripherie eine entsprechende Versorgung für die Menschen aufzubauen. Die Gesundheitskasse muss hier endlich ihrer Verantwortung nachkommen. Damit kann man den Patientinnen und Patienten den Weg in die Spitalsambulanzen ersparen.
Warum sind die Wartezeiten für Operationen teilweise so lang?
Aufgrund von Corona gibt es Nachholbedarf. Viele Operationen mussten verschoben werden. Dazu kommt, dass Patienten bestimmte Mediziner haben wollen. Bei anderen Operateuren geht es oft schneller. Weiters gibt es viele gesperrte Betten aufgrund des Pflegemangels. Zudem ist die Medizin unendlich komplex geworden.
Es gibt bessere Geräte und intensivere Behandlungen. Das kostet mehr Geld. Ist das alles finanzierbar?
Wir können und müssen es uns leisten. Die Alternative wäre zu überlegen, wie man rationiert. Derzeit muss sich der Patient darauf einrichten, dass es nicht mehr alles rund um die Uhr gibt. Wir werden uns auf die wichtigen Dinge fokussieren müssen.
Es wird kein Patient auf der Strecke bleiben, aber es wird nicht mehr so sein, dass man wegen eines Zeckenbisses die gesamte medizinische Maschinerie belegen kann.
Kommentare