Erste Hilfe für ein überlastetes Spital in Oberösterreich

Kippt unser Gesundheitssystem? Obwohl die Zahl der Ärztinnen und Ärzte in Österreich in den vergangenen 20 Jahren von 30.000 auf 49.000 gestiegen ist, haben viele Menschen den Eindruck, dass sich die medizinische Versorgung kontinuierlich verschlechtert.
Kassen-Hausarzt- und -Facharztstellen sind unbesetzt, gleichzeitig steigt die Anzahl der Wahlärztinnen und -ärzte massiv an. Bei ihnen bekommt man rasch einen Termin, aber man muss das Honorar selbst begleichen, meist wird nur ein Teil von den Kassen refundiert.
Auf dem Land
Gesundheitsminister Johannes Rauch versucht nun gegen den Widerstand der Ärztekammer, die prekäre Versorgung in den ländlichen Regionen durch die Errichtung von Primärversorgungszentren zu sichern, in denen mehrere Ärztinnen und Ärzte unter einem Dach zusammenarbeiten.
Der Vorteil: Die Öffnungszeiten betragen in der Regel 40 Stunden, also das Doppelte einer Hausarzt-Praxis.
Gleichzeitig sind die Spitalsambulanzen überlaufen. Viele Patientinnen und Patienten sehen in deren Besuch die einzige Möglichkeit, rasch behandelt zu werden. Die Spitäler sind ein Brennpunkt der Gesundheitsversorgung. Wartezeiten auf Operationen betragen in Einzelfällen fast bis zu einem Jahr. Das Personal klagt über Überlastung, es braucht mehr Pflegerinnen und Pfleger. Im Uniklinikum Linz (KUK) konnte zuletzt ein Streik gerade noch abgewendet werden. Die Spitalsträger argumentieren, es sei sehr schwierig, qualifiziertes Personal zu finden.
Und schließlich geht es um das Geld. Der medizinische Fortschritt kostet. Neue Geräte und neue Medikamente liefern zwar bessere Behandlungsergebnisse und verlängern die Lebenszeit, sie sind aber auch teurer. Das Land Oberösterreich hat das Gesundheitsbudget für heuer um 200 Millionen Euro auf 1,2 Milliarden aufgestockt. Auf Bundesebene verhandeln derzeit die Länder mit dem Finanzminister, um die explodierenden Kosten abdecken zu können.
Die Serie
Die KURIER Redaktion in Oberösterreich widmet sich ab dieser Woche dem Gesundheitssystem in Oberösterreich
Druck auf die Spitäler
In der Auftaktgeschichte kommt deutlich heraus, wie stark der Druck auf die Krankenhäuser bereits ist. Etwa durch den massiven Personalmangel in allen Bereichen der Kliniken
Die Ärztekammer
Im KURIER-Interview macht der Präsident der Ärztekammer Oberösterreich, Peter Niedermoser, seine Position deutlich: „Es ist nicht mehr alles zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich.“ Es sei enorm wichtig, den niedergelassenen Bereich zu stärken und in der Peripherie eine entsprechende Versorgung für die Menschen aufzubauen. Dazu nimmt der die Gesundheitskasse in die Pflicht: „Sie muss hier endlich ihrer Verantwortung nachkommen“
Die Themen
Die Themenkomplexe drehen sich um die Problematik der nicht besetzten Hausarzt- und Facharztstellen in ganz Oberösterreich, die zu überlaufenen Ambulanzen in den Spitäler führen. Warum will kaum jemand mehr Hausarzt werden und wie lässt sich dieses Problem lösen?
Warum wollen Medizinerinnen und Mediziner immer öfter Teilzeit arbeiten? Wie lange dauert es, bis man einen Operationstermin bekommt, und warum wird eine Hüfte, die jetzt kaputt ist, erst im Herbst operiert? Wir reden mit Patienten und Patientinnen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Verantwortlichen
Konstruktiv verhandeln
Seit die Streikdrohung im KUK vorerst vom Tisch ist, laufen alle zwei Wochen „konstruktive, ernsthafte Verhandlungen“, wie es von beiden Seiten heißt. Helmut Freudenthaler ist seit 2011 freigestellter Betriebsrat und sitzt am Tisch Franz Harnoncourt, dem Geschäftsführer der OÖ. Gesundheitsholding (OÖG), zu dem das KUK gehört, gegenüber.
„In den vergangenen Jahren hat sich die Situation im Haus sehr zugespitzt, vor allem, als es darum ging, dass wir eine Uniklinik werden. Da gab es große Ängste und Sorgen in der Ärzteschaft: ,Wir sind bereits jetzt mit der Versorgung der Bevölkerung am Limit, wann sollen noch Lehre und Forschung passieren?‘“, erinnert sich Freudenthaler. „Als wir dann Uniklinik wurden, war schnell klar: In diesem Kon-strukt, in das wir eingeflossen sind, war das frühere AKH die ausgequetschteste Zitrone.“
Seitdem arbeiten Freudenthaler und sein Team auf Hochtouren, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern: „Wir haben seit 2016 sehr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verloren, viele sind verzweifelt und sagen, wir können einfach nicht mehr.“
36 Punkte hat der Betriebsrat auf seiner Verhandlungsliste, zwei davon seien akut zu behandeln: Derzeit existieren noch immer zwei verschiedene Dienstrechte nebeneinander, „das muss dringend angeglichen werden“. Das zweite drängende Problem sei das fehlende Personal: „Ich möchte nur einen Vergleich anstellen: Die Uniklinik Bonn hat 500 Betten weniger, 2.000 Köpfe mehr und 400 Mio. Euro mehr Bilanzsumme pro Jahr als wir.“
Vision gefordert
Was der Betriebsrat fordert: „Eine Vision, wo wir personaltechnisch hinwollen, damit wir am Arbeitsmarkt wieder attraktiver werden und bestehendes Personal halten können.“
Bei diesem Punkt sind sich beide Parteien einig: „Das stimmt, wir brauchen Dienstplanstabilität. Die Uni hilft uns mit den Absolventinnen und Absolventen. Außerdem bilden wir selbst Pflegepersonal aus. Wir rekrutieren derzeit auch im Ausland, in Tunesien, Vietnam, Philippinen und in Ungarn“, sagt Harnoncourt. 200 offene Stellen gibt es derzeit im KUK. Sein Wunsch wäre es, mehr Menschen von der Teilzeit- in die Vollzeitbeschäftigung zu bringen: „Wir haben einen Frauenanteil von 79 Prozent und einen Teilzeit-Anteil von 54 Prozent. Frauenarmut ist ein großes Thema.“
Druck steigt
Der Druck auf die Spitäler, speziell auf die Ambulanzen, sei stark gestiegen: „Ein Beispiel: Ein Samstag in der Kinderklinik, 150 Kinder, davon drei zur Aufnahme, 147 zur ambulanten Behandlung. Für die verzweifelten Eltern gab es keine andere Möglichkeit, ihr Kind untersuchen zu lassen.“ Deswegen müsse die Versorgung im niedergelassenen Bereich ausgebaut werden, betont Harnoncourt. „Wenn ich höre, dass Primärversorgungszentren eröffnet werden, jubelt mein Betriebsratsherz, damit kann es gar nicht schnell genug gehen. Der Druck auf die Spitäler muss nachlassen“, fordert Freudenthaler.
Die Grundstimmung für die weiteren Gespräche: positiv optimistisch, aber nicht euphorisch.
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