Ich fühle mich beschützt, aber nicht sicher. Wir haben bei großen Veranstaltungen immer Polizei-, manchmal auch den Verfassungsschutz dabei. Trotzdem bleibt ein mulmiges Gefühl. Sobald ich in die Nähe der Synagoge komme, schaue ich schon immer, wer unterwegs ist.
Ist die Synagoge derzeit durchgehend bewacht?
Nur zu Bürozeiten und wenn Veranstaltungen stattfinden. Auch der jüdische Friedhof ist nicht gesichert, aber er ist immer abgesperrt.
Kennen Sie Menschen in Linz, die sich etwa den Davidstern nicht mehr offen zu tragen trauen?
Ja, kenne ich. Mit Kippa geht wirklich niemand von uns auf die Straße, aber auch, weil niemand so religiös ist. Wenn die Leute den Davidstern zum Beispiel als Schmuck tragen, schauen sie schon, dass sie ihn verstecken. Ich habe einer Bekannten, die Nicht-Jüdin ist, aber seit 30 Jahren aus Verbundenheit den Davidstern immer offensichtlich trägt, schon geraten, das jetzt nicht mehr zu machen, weil das Risiko, angegriffen zu werden, einfach zu groß ist.
Was macht das mit Ihnen? Dass religiöse Symbole nicht mehr frei gezeigt werden können?
Es ist unfassbar, nicht zu glauben. Ich nehme mich teilweise zurück, um nicht Ziel von Übergriffen zu werden.
Aber andererseits kann ich eh meinen Mund nicht halten, ich will nicht schweigen. Derzeit passieren Sachen, bei denen ich mir denke: Wo sind die Werte unserer Demokratie? Was ist das für eine Gesellschaft?
Zum Beispiel?
Sehr schockiert haben mich Demos, bei denen zu Gewalt aufgerufen wurde, bei denen auf Plakaten „Tod den Juden“ zu lesen war. Das hat mit dem Konflikt nichts mehr zu tun. Die Demos sind weltweit ausgebrochen, alle Pro-Palästina.
Ich habe nirgends Demos gesehen, wenn es um die Hunderttausenden Morde in Syrien gegangen ist. Da haben Muslime Muslime ermordet. Aber kaum geht es um einen Verteidigungskrieg als Reaktion auf ein brutales Gemetzel mit Gräueltaten, die sich keiner vorstellen kann, sind so viele auf der Straße. Da wird Politik mit Judenhass vermischt.
Gibt es für Sie Überraschungen, wer da mitdemonstriert?
Ja, da gehen auch sehr viele Linke mit, die für ein freies Palästina kämpfen. Gerade vergangenes Wochenende war in Linz zum Beispiel die Solidarwerkstatt mit dabei, mit dem Titel: „Frieden für Palästina. Waffenstillstand sofort!“ Und für Israels Frieden wird nicht demonstriert? Meine Frage: Hat Israel für diese Gruppe kein Existenzrecht mehr?
Und niemand redet von den Geiseln, die noch immer in der Gewalt der Hamas sind. Wieso fordert niemand Freiheit für die Geiseln?
Wie ist die Stimmung bei den Demos? Reagiert die Polizei angemessen?
Sie versucht, zu deeskalieren. Schilder wurden abgenommen. Ich möchte festhalten: Man darf ja für die Palästinenser demonstrieren, dass sie einen eigenen Staat haben, das ist in Ordnung. Aber das kann nicht zu einer Hassdemo gegen Israel und Juden werden. Und das ist es weltweit geworden – eine Hasskampagne gegen Juden. Da werden Davidsterne auf Häuser geschmiert, die jüdische Zeremonienhalle am Wiener Friedhof wurde angezündet, Flaggen runtergerissen. Das sind Pogromansätze.
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Was waren Ihre Gedanken, als Sie gehört haben, dass die Israel-Fahne am Linzer Rathaus heruntergerissen worden ist?
Es hat mich nicht gewundert, dass es solche Leute gibt. Ich finde es lobenswert, dass sie immer wieder angebracht wurde.
Sind Sie gegen einen Waffenstillstand?
Wer gesehen hat, was die Hamas am 7. Oktober gemacht hat, weiß, dass es keinen Kompromiss geben kann. An diesem 7. Oktober wurden Kleinkinder in Backöfen gesteckt und verbrannt. Einer Schwangeren wurde der Bauch aufgeschlitzt und das Baby vor ihren Augen geköpft, solange sie noch gelebt hat. Extremitäten wurden abgehackt, es gab Vergewaltigungen bis zum Tod. Mit den Handys der Opfer wurde alles gefilmt und die Gräueltaten dann im Netz verbreitet, an Freunde und Verwandte der Gefolterten und Getöteten geschickt. Wer diese Bilder gesehen hat, weiß, dass Israel die Hamas vernichten muss.
Die Palästinenser, die im Gazastreifen leben, sind ja nicht mit der Hamas gleichzusetzen.
Das nicht, aber bei Befragungen kommt immer wieder heraus, dass 80 Prozent der Bevölkerung für die Hamas ist. Der Gazastreifen war seit 2005 de facto nicht besetzt, ja, die Grenzen, der Luftraum und der Meerzugang wurden weiterhin kontrolliert, weil es Sicherheitsbedenken gab. Mit den riesigen Summen an Hilfsgeldern, die in diesen Jahren nach Gaza geflossen sind, hätten sie dort ein Paradies machen können. Aber statt für Wohnhäuser und Sozialeinrichtungen wurde das Geld für Waffen, Angriffe und für den Bau des 500 Kilometer langen, unterirdischen Tunnelsystems verwendet.
Was ist mit den zivilen Opfern?
Ja, die gibt es, die können gar nichts dafür. Aber die Radikalisierung fängt ab dem Jugendalter an. Die werden von klein auf „vergiftet“. Die UNRWA, die UNO-Organisation, die für die palästinensischen Flüchtlinge zuständig ist, hätte längst die Schulbücher kontrollieren müssen, bis jetzt ist Israel nicht auf der Landkarte eingezeichnet. Das ist ein Versagen von der EU und der UNO.
Haben Sie Familie und Freunde in Israel?
Mein Sohn lebt mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Kindern, 4 und 6, dort. Für sie hat sich das Leben radikal geändert. Die Kinder schlafen derzeit jede Nacht im Schutzraum, damit man sie bei Raketenangriffen nicht wecken muss. Außerdem habe ich eine Schwester mit deren Kindern und Enkelkindern in Israel sowie meinen Bruder, Neffen und Nichten und viele Freunde. Jeder kennt jemanden, der gefangen, ermordet oder verwundet worden ist am 7. Oktober.
Wie haben Sie am 7. Oktober reagiert?
Wir haben sofort Nachrichten geschrieben und alle durchgerufen. Unsere Schwiegertochter und unsere Enkelkinder haben direkt am selben Tag noch einen Flug raus nach London erwischt.
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Aus welchen Richtungen kommt der Antisemitismus in Europa?
Momentan ist der muslimische Antisemitismus der dominante. Ich will den rechtsextremen Antisemitismus nicht kleinreden, der hat schon immer existiert, aber derzeit kommt die Gefahr von woanders her. Und zwar nicht nur importiert: Es sind auch Muslime der 2. und 3. Generation, die bei den Demos sind und schreien „Tod den Juden“. Wieso solidarisieren sie sich nicht mit Muslimen, die woanders ermordet werden? Nur wenn es gegen Israel geht, sind sie auf der Straße. Das ist antisemitisch.
Woher noch?
Die Linken glauben, wenn sie links sind, können sie nicht antisemitisch sein. Die sprechen zum Beispiel nicht von einem Terrorangriff, sondern von einer Militäroperation. Wenn eine linke Organisation nicht beim Namen nennen kann, womit wir es hier zu tun haben, dann ist das antisemitisch.
Wie kann Antisemitismus bekämpft werden?
Man muss mit Aufklärung schon sehr früh anfangen. Das beginnt bei der Aus- und Fortbildung der Pädagoginnen und Pädagogen und muss dann in den Schulen weitergehen.
Wir haben das Kinderbuch „Marie. Ein jüdisches Mädchen aus Linz“ veröffentlicht, das wir Schulklassen kostenlos zur Verfügung stellen. Für Lehrpersonen gibt es Begleitmaterial, damit Hemmschwellen – das Thema betreffend – abgebaut werden können. Aber prinzipiell passiert viel zu wenig, und das viel zu spät.
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