Mobilität: "Wer Straßen und Parkplätze sät, wird Autos ernten"
Mit Mobilität in allen Facetten, mit großen Datenmengen und damit, warum diverse Teams wirtschaftlich schlau für Unternehmen sind, kennt sie sich aus: Claudia Falkinger ist in Oberösterreich geboren und aufgewachsen, lebt derzeit in Wien und hat 2021 das Unternehmen „Punkt vor Strich“ gegründet, das mittlerweile in 18 Ländern auf drei Kontinenten aktiv ist. Dort geht sie mit ihrem Team der Frage nach: Wie kann man nachhaltige Mobilität so gestalten, dass sie für Otto und Frida Normalverbraucher funktioniert?
KURIER: Was bedeutet gendergerechte Mobilität?
Claudia Falkinger: Es geht um den gleichberechtigten Zugang zu Mobilität, egal ob Frau oder Mann. Von der Planung bis hin zum Einsatz. Aktuell wird der Mann als Status quo genommen. Das sieht man in den Teams selbst, in denen Mobilität geplant und entwickelt wird. Europaweit sind im Transportsektor 22 Prozent Frauen beschäftigt. Man plant für das, was man kennt, das ist menschlich. Das sieht man aber bei Mobilitätslösungen wie Carsharing oder Elektromobilität. Da stellen Frauen nur 20 bis 30 Prozent der Nutzerinnen dar.
Warum ist gendergerechte Mobilität so wichtig?
Es kommen Mobilitätsunternehmen auf uns zu und wollen wissen: Wie kann es sein, dass nur 20 bis 30 Prozent der Frauen unsere Lösungen kaufen? In diesem Thema steckt enormes wirtschaftliches und ökologisches Potenzial.
Warum ökologisch?
Der Verkehr ist für 30 Prozent der Emissionen verantwortlich und der einzige Sektor, der noch steigt. Er wird in Hinblick auf die Erreichung der Klimaziele ein enormer Hebel sein, wenn man das Thema Mobilität angreift.
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„Bewegen“ sich Frauen anders als Männer?
Ja, vielen ist nicht bewusst, dass es unterschiedliche Bewegungsmuster gibt. Der fährt Mann von A nach B, meist mit dem Auto, eventuell noch zum Sport oder Feierabendbier. Frauen erledigen auf ihren Wegen etliche Stationen, vor und nach der Arbeit. Das können Arztbesuche, das Training, der Musikschulbesuch der Kinder oder die Erledigungen für ältere Angehörige sein. Aktuell liegen diese Tätigkeiten noch immer vermehrt bei Frauen. Man nennt das vernetzte Wegeketten.
Wie bringt man mehr Frauen in die Mobilitätsbranche?
Die Rahmenbedingungen, wie etwa Arbeitsmodelle und Kinderbetreuung, müssen passen. Es braucht Vorbilder. Ich komme mir oft wie ein Alien vor, aber genau in diesen Momenten denke ich mir: Okay, ich bringe einen Mehrwert rein. Dort, wo ich mich falsch fühle, bin ich genau richtig. Es braucht Veränderung und neue Perspektiven.
Wie wichtig sind gute, valide Daten?
Entscheidend. Der Weg dorthin fängt aber schon bei der Erhebung an: Wann macht man die Testings? Wer wird wie gefragt? Auf Basis lückenhafter Daten werden Infrastrukturbudgets vergeben, die dann für 30 Jahre geplant werden. Der Großteil der Menschen wird zukünftig in Städten leben. Es ist so wichtig, dass diese Lösungen für alle passen. Dazu muss man sich fragen: Was macht gute Lebensqualität in der Stadt aus? Wann fühlen sich Menschen wohl?
Wie sieht es diesbezüglich in Linz aus?
Die Verantwortlichen in Linz müssen sich fragen: Was ist das Zielbild? Wo wollen wir hin? Es gibt etwa das Vorzeigebeispiel Paris als 15-Minuten-Stadt, als Stadt der kurzen Wege. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo ist sogar wiedergewählt worden. Politiker brauchen also keine Angst haben, diese mutigen Entscheidungen zu treffen. Infrastrukturplanung bedeutet Langfristigkeit. Aber sie bedeutet auch, Dinge ausprobieren.
Wie leicht oder schwer denken Menschen um, wenn es um ihre eigenen Wege geht?
Mobilität ist ein Service, eine Dienstleistung: Je nach Lebensphase wähle ich aus, was gerade passt. Und Mobilität ist Gewohnheit. Wir überdenken sie nur, wenn wir umziehen, eine neue Arbeit anfangen, eine Familie gründen, bei Neujahrsvorsätzen. Die Stadt Amsterdam etabliert neue Mobilitätslösungen zuerst in Stadtteilen und Bereichen, die eher bildungsschwach sind. Wenn man es dort schafft, gibt es für die Weiterentwicklung viel weniger Probleme.
Liegt es immer an der Einzelperson?
Ich finde, man kann nicht immer alles auf die Konsumenten ummünzen. Klar, jeder soll, muss was beitragen. Aber es sind speziell die Politik und Unternehmen gefragt. Ein betriebliches Mobilitätsmanagement reduziert nachweislich Krankheitstage. Es gibt viele Förderungen, etwa für Fahrräder, Duschen. Junge Menschen wollen das Klimaticket und Möglichkeiten abseits des Autos. Es wird für die junge Generation immer wichtiger, wie sich Unternehmen da verhalten. Nachhaltige Mobilität schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe: Unternehmen können sich als zukunftsweisend positionieren, ziehen dadurch Fachkräfte an und sparen Geld, etwa bei Parkplätzen und Dienstautos.
Woran misst sich gendergerechte Mobilität?
An der Anzahl der Fahrrad fahrenden Frauen. Dieser Parameter sagt etwas über die Qualität der Infrastruktur aus. Wie gerne bewegen sich Frauen im öffentlichen Raum? Wie sicher fühlen sie sich? Wie ansprechend sind Fußwege gestaltet? Frauen sind mehr zu Fuß bewegt.
Daran erkennt man also, wie zukunftsorientiert eine Stadt agiert?
Unter anderem. Prinzipiell gilt: Man erntet, das, was man sät. Wenn ich nur Straßen und Parkplatze säe, werde ich mehr Autos ernten. Wenn ich sichere, breite Radwege säe, werde ich mehr Radfahrerinnen ernten. In diesem Fall bin ich mir noch nicht ganz sicher, wo die Stadt Linz hinwill. Der Fokus auf den Menschen sollte immer im Vordergrund stehen, derzeit liegt der Fokus auf dem Auto, als ob es ein Familienmitglied wäre.
Oft kommt das Argument: Die Stadt schaut halt aus, wie sie ausschaut. An der Struktur lässt sich nichts mehr ändern. Wie valide ist dieses Argument?
Als Ausrede sicher sehr valide. Es gilt, die komplexen Themen der Mobilität nicht immer auf andere zu schieben: Es betrifft jeden, also kann jeder was tun, wie beim Klimaschutz. Die Frage lautet also: Welche Rahmenbedingungen stellt man zur Verfügung? Das Land OÖ, die Stadt Linz brauchen ein Ziel. Die Verantwortlichen müssen sich fragen: Will ich ständig Stau haben oder eine lebenswerte Stadt?
Derzeit ist der Westring in Bau: Ist ein verkehrstechnisches Großprojekt, das rein für den Autoverkehr umgesetzt wird, noch zeitgemäß?
Das ist ein politisch spannendes Thema. Auch hier: Man erntet, was man sät. Ich sehe den Westring nicht als zukunftsorientiertes Projekt. Ich bin persönlich dafür, den Fokus auf sanfte Mobilität zu legen. Die Devise lautet: Vermeiden, verlagern, verbessern. Das ist im Mobilitätsmasterplan der Bundesregierung festgehalten: Wege vermeiden, die ich nicht brauche. Verkehr verlagern, etwa vom Lkw auf die Schiene, vom eigenen Auto auf Carsharing oder Öffis. Und wenn das nicht möglich ist: Verbessern, etwa durch einen elektrischen Antrieb.
Der Westring hängt mit der Nibelungenbrücke zusammen: Der Verkehr wird sich verlagern. Nun gibt es die Diskussion, ob zwei Spuren für Fußgängerinnen und Radfahrer abgetreten werden oder die ganze Brücke autofrei werden soll.
Ich bin definitiv dafür, dass es eine faire Umverteilung des Brückenraumes gibt. Aktuell wurde für das Auto geplant. Ich finde es einen guten Ansatz, Diversität sicherzustellen: Die Stadt ist immer ein Ort aller Menschen. Oft braucht es dafür mutige Entscheidungen.
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Mutig kann nur sein, wer eine Vision hat.
Ja, wir müssen wissen, welche neuen Konzepte es gibt. Oft fehlt uns das Vorstellungsvermögen, wir sind einbetoniert. Deswegen brauchen wir positive Zukunftsgeschichten. Wir müssen Neues auszuprobieren, über unseren Schatten springen. Viele sind zum Auto und dem Flieger nicht annähernd so streng wie zu anderen Verkehrsmodi. Eine halbe Stunde Verspätung beim Flug ist egal, aber im Zug sind sieben Minuten eine Katastrophe.
Wie sind Sie selbst unterwegs?
Ich habe noch nie ein Auto besessen, ich sehe es als Luxus an, dass ich keines brauche. Ich habe einen Führerschein, borge mir ein Auto aus, wenn nötig. Ich spare mir dadurch enorm viel Geld.
Ist gendergerechte Mobilität auch wirtschaftlich spannend?
Niemand ist nur Autofahrer oder nur Fußgängerin. Man trifft bessere wirtschaftliche Entscheidungen, wenn man unterschiedliche Zielgruppen miteinbezieht, und hat auch noch einen größeren Absatzmarkt.
Wie sieht es hier mit der Datenlage aus?
Daten sind nicht neutral. Wenn Frauen nicht miteinbezogen werden, arbeitet man an den Zielgruppen vorbei. Wir sprechen dann vom Gender Data Gap. Es wäre technisch und wirtschaftlich absolut blöd, Frauen auszusparen. Man könnte mit dem gleichen Produkt viel mehr Leute abholen, wenn man unterschiedliche Perspektiven einspeist.
Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus?
Ich gehe davon aus, dass wir etwa in Unternehmen Mobilitätsbudgets anstelle eines Dienstwagens haben werden. Ich wähle also mit meinem Smartphone täglich aus: Brauche ich heute ein Rad, ein Leihauto. Gehe ich zu Fuß? Es wird nach Belieben und anlassbezogen eingesetzt.
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