Der Körper als Werkzeug beim Wortlernen
Kinder lernen die Wörter ihrer Muttersprache durch einen Prozess, der als natürlicher Spracherwerb bekannt ist. Sie hören Wörter in verschiedenen Kontexten und Situationen, was ihnen hilft, ihre Bedeutung zu verstehen.
Bei konkreten Wörtern folgen sie einem natürlichen Instinkt: Sie greifen die Gegenstände an, schnuppern daran, stecken sie in den Mund, lassen sie fallen und zeigen mit dem Finger hin, in der Erwartung, von den Bezugspersonen die Bezeichnung dafür zu hören, das Wort.
Ab einem gewissen Zeitpunkt ihrer kognitiven Entwicklung fangen Kinder an, das Wort nachzusprechen, welches die gesammelten Erfahrungen mit dem Gegenstand bezeichnet.
Diese Vorgangsweise lässt im kindlichen Gehirn ausgedehnte Netzwerke sensomotorischer Art entstehen. Ihre Lokalisierung im Gehirn hängt von den Sinnen und der Motorik ab, die sie eingesetzt haben. Das Wort „Haifisch“ wird im Gehirn eines mitteleuropäischen Kindes visuelle Areale involvieren, womöglich auch emotionale Strukturen, wenn es Filme gesehen hat, die den Fisch als bedrohlich darstellen.
Selbes Wort, andere Netzwerke
Dasselbe Wort kann im Gehirn eines australischen 10-Jährigen komplexere Netzwerke belegen: Das Kind hat den Fisch nicht nur im Fernsehen und im Aquarium gesehen, es hat ihn im Wasser während des Schwimmens gesichtet, womöglich hat es ihn angegriffen und auch gerochen, wenn er gestrandet und tot am Strand gelegen hat.
Jeder Begriff, den ein Kind lernt, wird im Gehirn durch ein erfahrungsbasiertes sensomotorisches Netzwerk repräsentiert. Das Wort dazu ist sein Etikett.
Im herkömmlichen Unterricht werden Wörter einer Fremdsprache meistens samt ihrer Übersetzung in der Muttersprache gelesen, manchmal auch gehört, aber sehr selten mit allen Sinnen und Motorik in Verbindung gebracht. So bilden sich im Gehirn der Lernenden „kleine“ Netzwerke dazu, die die Leseerfahrung zum Begriff speichern. Einfache Netzwerke verfallen auch leicht, weil nicht so ausgedehnt – und so vergisst man die Wörter auch schnell wieder.
Gesten im Sprachunterricht
Anfang 1990 begann ich an der Johannes Kepler Universität Linz in meinem Italienischunterricht Gesten einzusetzen, um Wörter zu verdeutlichen. Zu einem späteren Zeitpunkt bat ich die Studierenden, die Gesten selbst auszuführen.
Dabei beobachtete ich, dass diese Vorgangsweise zur schnelleren Speicherung und zum langsameren Vergessen der Vokabeln führte. Ob diese Beobachtung sich auch mit der Realität deckte, prüfte ich in mehreren Verhaltensexperimenten, die zu meiner Dissertation aus Kognitivpsychologie und angewandter Linguistik führten. Darin konnte ich zeigen, dass Gesten Gehörtes und Gelesenes anreichern und es gegen Vergessen resistent machen.
Den Beweis, dass Gesten ausgedehnte Wortnetzwerke im Gehirn entstehen lassen, konnte ich dann einige Jahre später in Leipzig am Max Planck-Institut erbringen. Dafür setzte ich die funktionelle Magnetresonanztomographie ein.
Meine Versuchspersonen lernten Kunstwörter mit Gesten, die den Wortinhalt darstellten. Im Tomografen lasen und hörten sie sie. In ihren Gehirnen wurden dabei große ausgedehnte Areale aktiv: Sie zeigten die Involvierung motorischer Regionen und widerspiegelten somit die Lernerfahrung der Versuchspersonen, so ähnlich wie bei der Muttersprache.
Zahlreiche meiner Publikationen zeigen, dass Gesten die Behaltensleistung von Vokabeln in der Fremdsprache steigern und das Gelernte langsamer vergessen lassen. Dies konnte ich in Experimenten belegen, in denen eine lebende Person als Trainer*in fungierte, aber auch in Versuchen mit digitalen Trainer*innenfiguren, in Augmented und Virtual-Reality Lernumgebungen. Körper und Geist gehören zusammen! Und das sollte man auch beim Lernen von Fremdsprachen mitdenken.
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