Eine Nacht im Mariendom zu Linz: Jetzt schlägt's 100

Das Innere einer Kathedrale mit hohen Säulen und Buntglasfenstern.
Der Mariendom feiert sein 100. Weihejubiläum. Der KURIER war eine Nacht allein im Dom. Eine Reportage aus der Türmerstube.

"Näher mein Gott zu dir". Dieses bekannte und bewegende Kirchenlied kommt einem beim Aufstieg in die Türmerstube unwillkürlich in den Sinn. Es handelt von Jakobs Traum von der Himmelsleiter an dem Ort, den er im 1. Buch Mose Bethel, Gottes Haus, nannte. Es soll zum Ohrwurm werden, bei jedem Aufstieg.

Ja, dieses Gotteshaus, der Mariendom in Linz, ist ein besonderer Ort, nicht nur, weil er die größte Kirche Österreichs ist. 

Der Mariendom in Linz unter einem bewölkten Himmel.

"Locus iste, a Deo factus est - dieser Ort ist von Gott geschaffen." Anton Bruckner hat es in seiner Motette für die Einweihung der Votivkirche des Mariendoms schon 1869 auf den Punkt gebracht. 

Am 29. April 1924 wurde der Mariendom geweiht. Das 100. Weihejubiläum findet heuer statt. Die Erzdiözese Linz stellt dieses Jahr naturgemäß ganz unter dieses Motto und beginnt die Feierlichkeiten mit einem Zwei-Tages-Fest am Samstag und Sonntag samt Eröffnung des neuen Welcome-Centers

Dieses ist, genau wie der Dom, als er vor über 100 Jahren gebaut wurde, neuerlich ein moderner Fingerzeig, eine Öffnung der Kirche, ein ehrliches Angebot. Architektonisch, vor allem aber inhaltlich. 

Anlässlich des Jubiläums hat der KURIER die Möglichkeit bekommen, eine Nacht im Dom zu verbringen. Im Eremitenzimmer im Turm auf 68 Metern Höhe. Aber eigentlich im ganzen, großen und mächtigen Dom.

395 Stufen in die Einsamkeit

395 Stufen sind es bis in die Türmerstube. 395 Stufen, die sich lohnen. 395 Stufen, die beim Tag des offenen Doms am Samstag allen offen stehen. Denn ab 10 Uhr gibt es jede Stunde die Möglichkeit, den Dom zu besteigen. 

Alleine die 45 Schritte, die zur Umrundung des Domturms am Balkon knapp über den Turmuhren nötig sind, sind jede einzelne Stufe wert. 

Denn der 360-Grad-Rundumblick über Linz entschädigt für jede Mühe. Vom Traunstein bis zum Schneeberg sieht man bei klarem Wetter - am Samstag sollte das möglich sein. 

Ein Stadion hinter Bäumen unter einem bewölkten Himmel.

Ein Panoramablick über Linz mit der Donau und den umliegenden Hügeln im Hintergrund.

Ein Panoramablick über Linz mit der Donau und den umliegenden Hügeln im Hintergrund.

Ein gelber Hubschrauber fliegt über eine Stadt mit Industrieanlagen im Hintergrund.

Blick über Linz mit dem Pöstlingberg im Hintergrund.

Blick durch einen gotischen Bogen auf eine Stadt unter einem bewölkten Himmel.

Blick durch Säulen auf eine Stadt im Abendlicht.

Blick auf eine Stadt bei Sonnenuntergang mit bewölktem Himmel.

Blick auf eine Stadt bei Sonnenaufgang mit bewölktem Himmel.

Blick über Linz mit einer dunklen Wolke im Hintergrund.

Ein Panoramablick auf Linz, Österreich, mit Bergen im Hintergrund.

Blick von oben auf das Dach des Mariendoms in Linz, mit der Stadt im Hintergrund.

Am Donnerstag ließ sich nur der Traunstein blicken, nachdem sich die eindrucksvollen Gewitterwolken südlich von Linz verzogen hatten.

Glocken als ständige Begleiter 

Bei Stufe 180 wartet die mächtige Immaculata-Glocke mit knapp über acht Tonnen Gewicht. Sie läutet nur, wenn der Bischof im Dom ist - also fix am Sonntag, wenn um 14 Uhr der Festgottesdienst 100 Jahre Mariendom mit Bischof Manfred Scheuer und der Messe in d-Moll von Anton Bruckner gefeiert wird. 

Genau hundert Stufen weiter endet das Sandstein-Stiegenhaus des Turms bei den sechs weiteren Glocken. Sie strukturieren den Tag und die Nacht im Dom, werden rasch zu lieben Begleiterinnen. Pünktlich alle 15 Minuten erklingt eine Glocke. Bald hat es hundert (Mal) geschlagen. Und es werden hunderte Glockenschläge mehr. Wie auch der Dom noch viele hundert Jahre vor sich hat.

Blick durch einen gotischen Bogen auf eine Stadt unter einem bewölkten Himmel.

Blick durch ein gotisches Fenster auf eine Stadtlandschaft mit Kirchturmspitze.

Blick aus dem Inneren eines Turms mit gotischen Fenstern und einer Wendeltreppe.

Eine große Glocke hängt in einem roten Stahlgerüst in einem Glockenturm.

Ein Zimmer mit Bett, Schreibtisch und Bücherregal.

Ein kleines Zimmer mit Bett, Schreibtisch am Fenster und einer Küchenzeile.

Das Uhrwerk des Berner Zytglogge mit Blick auf die Stadt.

Eine Holztür mit einem silbernen Symbol, das ein Ohr darstellt.

Eine Mahlzeit mit Schnitzel, Reis, Gemüse, Obst und Kuchen auf einem Tisch.

Eine große Glocke hängt in einem roten Stahlgerüst.

Eine große, alte Glocke mit Inschriften hängt in einem roten Stahlgerüst.

Das reich verzierte Portal einer Kirche mit Skulpturen und Reliefs.

Ein Schild in einer Nische bittet in mehreren Sprachen um Ruhe.

Eine Wendeltreppe aus Stein windet sich in einem Gebäude nach oben.

Eine steinerne Wendeltreppe windet sich nach oben.

Eine Wendeltreppe aus Metall in einem hohen Gebäude.

Blick aus einem verzierten Fenster auf eine Stadt mit einem bewaldeten Hügel im Hintergrund.

Diese Glocken haben eine bewegte Geschichte. Sie wurden im 2. Weltkrieg abmontiert und nach Deutschland gebracht, aber nicht für Kriegszwecke eingeschmolzen. In Hamburg wurden sie nach dem Krieg entdeckt und konnten durch die eingegossene Aufschrift dem Mariendom in Linz zugeordnet werden. 

Ab Stufe 280 bei den sechs Glocken ist der Turm offen. Es ist kalt, windig, laut. Der Lärm der lauten Stadt dringt auch in diese Höhen vor. Autobahn, Straßenlärm, Folgetonhörner, der Notarzthubschrauber. Nur die kräftig und hell zwitschernden Vögel - und natürlich die Glocken - sind stärker. 

Dann ist die Türmerstube erreicht. Das Eremitenzimmer ist klein. Aber alles ist da. Rasch stellt sich die Frage: Was brauche ich wirklich? Worauf kann ich verzichten? Und worauf kommt es an?

Ein Mann posiert vor einer Wand mit der Aufschrift „Turmeremit“ und einer Zeichnung eines Eremiten.

Eine Bibel, ein Talmud, ein Gotteslob, Viktor Frankls "... trotzdem Ja zum Leben sagen" liegen bereit. Und die gelben Gästebücher, in denen alle bisherigen Turmeremiten ihre Gedanken und Erinnerung hinterlassen haben. Zehn Bände sind es, zum Teil dicht beschrieben.

"Alleinsein ist eine reiche Erfahrung"

 "Heute ist mein erster Tag ohne Zigaretten", hat ein Mann stolz hinterlassen. Und kommt in der Einsamkeit der Türmerstube damit klar. "Das Alleinsein mit mir ist eine reiche Erfahrung, nicht unbedingt leicht, aber insgesamt schön", resümiert eine andere Turmeremitin.

Aber ganz alleine ist man unter tags nicht, auch nicht in 68 Metern Höhe. Eine Schulklasse der noch recht neuen katholischen Privatschule "Lerche Linz" hat den Dom bestiegen. Das fröhliche Lachen der Schülerinnen und Schüler ist mitreißend, das Gespräch mit der empathischen Lehrerin eine Freude. 

Kurz darauf klopft es wieder. Eine künftige Eremitin verschafft sich einen ersten Eindruck, am Abend wird sogar das stille Örtchen geteilt. 

Zur Abendmesse in der Votivkirche geht es die 395 Stufen hinunter, samt kontemplativen Zwischenstopp bei den Glocken. Die Messe wird für einen Mann gefeiert, der vor einem Jahr völlig vereinsamt gestorben ist und in einem Armengrab begraben liegt. "Look at all the lonley people" und "Let it be" von John Lennon und Paul McCartney wird gesungen, zum Abschluss Dietrich Bonhoeffers "Von guten Mächten wunderbar geborgen". Und dann wieder, 395 Stufen lang, "näher, mein Gott, zu dir". 

Wenn es Nacht wird über Linz

Der exklusive Rundumbalkon am Mariendom ist unbezahlbar. Der Blick schweift über die Donau und den Pöstlingberg, den alten Dom und den neuen Quadrill-Tower, der über sich und andere Hochhäuser hinauswächst. Das Stadion auf der Gugl wirkt wie ein im Grünen gelandetes Ufo. 

Langsam legt sich die Dämmerung über Linz, die Stadt wird ruhig. Und sie wird hell erleuchtet. über der voestalpine stehen Rauchsäulen wie gemalt am dunklen Nachthimmel, während darunter die Lichter silbrig glänzen. Dass der (beinahe Voll-) Mond am Donnerstagabend dunkelorange über der Stadt aufgeht, ist fast schon kitschig. 

Nachtsicht auf eine Stadt mit beleuchteten Gebäuden und Fabrikschloten.

Nachtsicht auf eine Stadt mit beleuchteten Gebäuden und Fabrikschloten, aus denen Rauch aufsteigt.

Nachtsicht auf die beleuchtete Stadt Linz in Österreich.

Nach Mitternacht werden die Lichter der Stadt weniger, selbst die bunte Beleuchtung des Ars Electronica Center ist erloschen. Nur die Glocken bleiben beständige Begleiter. Auch beim neuerlichen Abstieg in den Dom. Eine besondere Erfahrung, dieses große Haus Gottes, finster und still, kurz nach Mitternacht ganz allein für sich zu haben. Da braucht es keine 395 Stufen, um "näher, mein Gott, zu dir" zu hören. Nein, um es zu sein. 

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