In der Linzer Unterwelt

Der Schloßbergstollen bot 10.000 Menschen Platz. Im Limoni-Stollen  waren die Befehlsstellen der Nazis untergebracht.
Weitverzweigtes Tunnelsystem. Nazis nutzten Stollen zur Kriegsproduktion und zum Schutz vor Bombenangriffen

Knarrend öffnet sich die Tür. Zehn Grad kühle Luft strömt dem Besucher entgegen. Die Luftfeuchtigkeit von über 90 Prozent lässt jedes Türgehänge rostig werden und ächzen. Das Betreten eines Stollens der Linzer Unterwelt erinnert an den Eintritt in den Hades der griechischen Mythologie.

Man benötigt zwar keinen Fährmann, um den Fluss Styx zu überqueren, hat aber genauso das Gefühl, eine andere Welt zu betreten: Ohne den geringsten Lichtstrahl, in absoluter Stille und begleitet von der langsam durch die Kleider dringenden Kälte.

Von außen nicht erkennbar sind die vielen Stollenanlagen in den Hängen westlich der Linzer Altstadt, unter dem Bauernberg, Freinberg und Schlossberg. Schon seit dem Mittelalter als umfangreiche Wein-, Bier- und Eiskeller genutzt, wurden diese großen Kelleranlagen während der Kriegsjahre zu einem riesigen Stollensystem ausgebaut und durch Gänge mitein ander verbunden. Unmittelbar an der Donau in Richtung Bahnhof befindet sich der Schlossbergstollen. Er bot im Zweiten Weltkrieg Platz für 10.000 Personen und war damit der größte Luftschutzkeller von Linz. Durch den Ausbau des Linzer Schlosses ist er leider nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich.

Im nächst gelegenen Zentralkeller, der 3000 Personen Platz bot, wurden von der Steyr-Daimler-Puch AG Blechteile und Kugellager für die Kriegsindustrie gefertigt. Vor allem für den Schutz von Bahnreisenden diente der Märzenkeller. Der Cembran-Keller trägt den Namen einer Weinhandlung, deren Keller durch Erweiterungen zur Unterbringung von über 500 Personen ausgebaut wurde. Bezeichnenderweise heißt diese Straße „Kellergasse“.

Feuer vom Himmel

Hugo Schanovsky beschreibt in seiner Erzählung „Feuer vom Himmel“ eindringlich die Situation im Krieg: „Wir drängen uns in den Luftschutzkeller, wir sind atemlos, wir sind still, wir zittern, das Herz klopft uns bis zum Hals herauf, Sand rieselt von der Decke…“

Eine sehr aufschlussreiche Führung durch den Limoni-Stollen löst beim Besucher Betroffenheit aus. Diese Anlage in der Kapuzinerstraße bot im Zweiten Weltkrieg 1.500 Personen Platz und hatte mehrere Zu- und Ausgänge. Es gab elektrisches Licht, Belüftungsanlagen, Toiletten und eine Krankenstation. In einem separaten Teil des Stollens waren Befehlsstellen für Gauleitung, Partei, Polizei und Stadtgemeinde untergebracht. Hier trifft der kritische Besucher auf die dunklen Seiten der Linzer Unterwelt. Der Ausbau der mittelalterlichen Stollen und die darin untergebrachte Kriegsindustrie wurden mithilfe von Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen unter großem Zeitdruck vorangetrieben. Ausgemergelt durch überlange Arbeitsschichten und unzureichende Verpflegung, ohne auch nur kurz frische Luft zu atmen oder Tageslicht zu sehen, wurden sie geradezu fließbandartig durch neue Gefangene ersetzt. Bis zum Kriegsende waren so immer gleich viele Arbeiter im Einsatz.

So wie es im griechischen Hades jedem Besucher bestimmt war, auf ewig in der Unterwelt zu bleiben und nicht wieder in die Außenwelt zurückzukehren, so erging es vielen tausenden Arbeitern. Der dreiköpfige Höllenhund Kerberos wurde durch die vielköpfige NS-Kriegsmaschinerie ersetzt. Der Besucher verlässt die Unterwelt mit gemischten Gefühlen und erlebt die Linzer Luft mit ganz anderen Sinnen – dankbar und in der Hoffnung, dass diese Stollen nie mehr in Kriegszeiten genutzt werden.

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