„Wir müssen digitale Empathie lernen“

„Wir müssen digitale Empathie lernen“
Wer viel von daheim aus arbeitet, braucht eine hohe Selbstmotivation und Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit

Seit Wochen fühlt sie sich mit ihren Aufgaben unwohl, überfordert und alleine gelassen. Aber niemand bemerkt das. Die Online-Meetings sind effektiv, durchgetaktet, für Persönliches bleibt keine Zeit.

Derzeit arbeiten wieder viele Menschen von zu Hause aus, im Homeoffice. Das hat Vor- und Nachteile, und ob jemand von dieser flexiblen Form des Arbeitens profitiert, hängt stark davon ab, in welchem Ausmaß Selbstmotivation und Autonomiestreben vorhanden sind.

Anneliese Aschauer-Pischlöger ist Arbeits- und Wirtschaftspsychologin und leitet gemeinsam mit Peter Hofer das „Institut für Gesundheit und Entwicklung für Menschen und Organisationen“ (IGEMO) in Linz.

Die größten Veränderungen in den Arbeitsprozessen seit Beginn der Pandemie sind die Flexibilisierung und Digitalisierung. „Diesen Schub haben sich viele gewünscht, dann war er plötzlich radikale Realität. In modernen Unternehmen gibt es ja schon länger mobiles Arbeiten“, sagt Wirtschaftspsychologin Aschauer-Pischlöger.

„Wir müssen digitale Empathie lernen“

In Veränderungsprozessen zeige sich die Neugier, Resilienz und Offenheit für Neues. Das vermehrte Arbeiten von zu Hause aus sage manchen Menschen besonders zu: „Nämlich jenen, die ein hohes Bedürfnis nach Autonomie und Freiräumen haben, die sich selbst sehr gut motivieren, die selbstverantwortlich und eigenständig arbeiten können. Es gibt aber Menschen, die bevorzugen klare Strukturen und eine Planbarkeit.“

Krisenresistent

In der Corona-Pandemie seien die Digital Natives, also jene Generation, die mit Internet und Smartphone aufgewachsen ist, sicher im Vorteil gewesen: „Sie haben davon profitiert.“ Andererseits schaffen ältere Menschen den Umgang mit Krisen im Allgemeinen besser, verfügen also über eine höhere Resilienz. Das ergab die Studie „Resilienz und Befinden in der Corona-Krise“, die IGEMO kürzlich mit rund 1600 Beteiligten durchführte. „Wer auf gut bewältigte Krisen in seiner Lebensbiografie zurückblicken kann, gilt allgemein als krisenresistent“, so die Expertin.

Stärken und Schwächen

Prinzipiell haben mehrere aktuelle Studien (u. a. „Future of Work and Skills“ von PwC oder eine OGM-Studie im Auftrag des Arbeitsministeriums) ergeben, dass es eine hohe Zufriedenheit im Homeoffice von Arbeitnehmern und -gebern gibt. „Die Schwäche dieses flexiblen Arbeitens liegt in der Work-Life-Balance. Außerdem muss es ein Vertrauen zwischen Führungskräften und Teams geben. Führungskräfte können ja nur bedingt kontrollieren, was Arbeitnehmer im Homeoffice machen. Die soziale Verbundenheit den Kolleginnen und Kollegen sowie dem Unternehmen gegenüber leidet. Dagegen kann man etwas unternehmen, etwa jeden Tag zu einer bestimmten Uhrzeit online einen Kaffee gemeinsam trinken oder ein persönliches Arbeitstreffen mit einem Spaziergang verbinden. Führungskräfte sollen ruhig persönliche Themen auch online ansprechen, nachfragen wie es geht oder ob es Probleme gibt. Wir alle müssen jetzt digitale Empathie lernen“, weiß die Expertin. Viele Meetings seien immer sehr sachlich gehalten, dabei könne man in den ersten fünf Minuten auch darüber sprechen, was den Einzelnen gerade beschäftigt.

„Wir müssen digitale Empathie lernen“

Pausen mit Bewegung einlegen

Aschauer-Pischlöger hat auch Tipps für ein erfolgreiches Arbeiten im Homeoffice: „Wenn man als Paar gemeinsam von zu Hause aus arbeitet, muss man sich gute Spielregeln ausmachen. Jeder sollte auch mal was alleine unternehmen, sonst kann es zu Beziehungsabnützungserscheinungen kommen. Außerdem gilt es, Übergangsrituale zu schaffen, also bewusste Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit zu ziehen, etwa den Laptop wegräumen. Pausen und Bewegung zwischendurch sind gesund.“

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Sheida Briedl (li.) und Jürgen Konyen

"Aufeinander Rücksicht nehmen"

Erfahrung. Wenn er das Vermögen anderer verwaltet, braucht es absolute Diskretion. Deswegen ist Jürgen Konyen auch froh, ein eigenes Büro in der Wohnung zu haben. Der 29-Jährige ist Anleihe-Portfolio-Manager bei den Kepler Fonds. Derzeit arbeitet der Paschinger hauptsächlich von zu Hause aus. Und dort ist er nicht alleine. Seine Partnerin macht jeden Morgen den Ess- zum Schreibtisch. Sheida Briedl ist im Personalmanagement der Österreichischen Post tätig, auch sie arbeitet mit sensiblen Daten. Aktuell betreut die 34-Jährige ein großes Lehrlingsprojekt, sichtet Bewerbungen und vermittelt vielversprechende Kandidatinnen und Kandidaten innerhalb des Unternehmens weiter.

Eigener Raum

„In unseren  Jobs ist es im Homeoffice wichtig, dass jeder einen eigenen Raum zur Verfügung hat. Bei uns befinden sich die Büros auf unterschiedlichen Stockwerken, das ist wirklich ideal“, erklärt Jürgen Konyen.

Entscheidend für ein erfolgreiches Arbeiten im Homeoffice sei unter anderem  eine schnelle, sichere Internetverbindung und  technisches Equipment – „ich bekomme beides von meinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt“, sagt Sheida Briedl.

Konflikte aufgrund des gemeinsamen Arbeitens zu Hause habe es von Anfang an nie gegeben: „Man muss einfach aufpassen, den anderen nicht zu stören. Wenn ich mir einen Kaffee aus der Küche hole, achte ich zum Beispiel darauf, nicht in eine Videokonferenz von Sheida zu platzen. Andererseits holt sie sich ihre ausgedruckten Zettel bei mir im Büro, weil dort der Drucker steht. Da nimmt sie natürlich auch Rücksicht“, sagt Konyen.

Sozialkontakte

Und wie sieht es mit der Arbeitsbelastung im Homeoffice aus? Da sind sich die beiden einig: „Man spart sich den Weg ins Büro, aber arbeitet von zu Hause aus mehr, weil es eine flexible Zeiteinteilung ist.“ Soziale Kontakte, wie etwa ein Mittagessen mit Kolleginnen und Kollegen, würden fehlen: „Das ist natürlich schade, denn dadurch vernetzt man sich auch innerhalb des Unternehmens, stößt gemeinsame Projekte an, tauscht sich  aus und profitiert voneinander“, so der Fondsmanager, „aber das kommt ja bestimmt wieder.“

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