Risikoprognosen können irren

Justizanstalt Wien-Simmering, Gefängnis,Simmering
Franz S. saß zwei Mal lebenslang im Gefängnis, zwei Mal galt er laut Gutachten als „ungefährlich“, ein Mal wurde er rückfällig.

Franz S. hat einen Großteil seines Lebens im Gefängnis verbracht. Brandstiftung, Diebstahl, zwei Mordversuche und drei nachgewiesene Morde, davon zwei an Kindern (der KURIER berichtete). Zwei Mal wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt, zwei Mal wurde er bedingt entlassen. Der heute 83-jährige Welser ist wieder auf freiem Fuß. Wie ist das möglich?

„Sachverständige sind zu dem Schluss gekommen, dass er auch aufgrund seines Alters und seiner gesundheitlichen Verfassung keine Gefahr mehr darstellen wird“, erklärt Alexander Wojakow, Sprecher des zuständigen Haftgerichts in Steyr. In der Justiz spricht man von „spezialpräventiven Gründen“, die beim Betroffenen laut Gutachten nicht vorliegen.

Unberechenbar

Bereits 1981 wurde ein solches Gutachten erstellt, der Gefangene bedingt freigelassen. 1984 wurde S. rückfällig. Er tötete eine Mutter und ihre dreijährige Tochter auf bestialische Weise.

Risikoprognosen können irren
Psychiaterin Gerichtssachverständige Adelheid Kastner, Wagner Jauregg, OÖ
„Kein Messinstrument kann menschliches Verhalten sicher vorhersagen“, sagt Psychiaterin Heidi Kastner. Gefährlichkeitsprognosen müssten deshalb mit Vorbehalt behandelt werden. Um zu untersuchen, ob ein Straftäter rückfällig werden könnte, werden Faktoren wie die situative Eingebundenheit der Tat, die Bereitschaft, dafür Verantwortung zu übernehmen, und das soziale Umfeld berücksichtigt. Ein Beispiel: „Wenn jemand seine Gattin nach jahrelanger Streitbeziehung ermordet hat, ist ein Rückfall eher unwahrscheinlich. Wenn aber ein Raubmörder nach der Haft zurück zu seinen Saufbrüdern geht, sieht sie Sache anders aus.“

Kriminelle Energie

Bei Mord liege die Rückfallsquote bei etwa einem Prozent, bei Eigentumsdelikten hingegen bei 60 bis 70 Prozent. „Wenn man nur von der Rückfälligkeit ausginge, müsste man Mörder häufiger und Diebe fast nie entlassen“, erklärt sie das Dilemma.
Am gefährlichsten seien laut Statistik Männer in ihren Zwanzigern. Franz S. ist 83 Jahre alt. „Mit zunehmendem Alter nimmt die kriminelle Energie ab“, sagt sie. Aber: „Es gibt eine sehr kleine Gruppe auch therapeutisch unveränderbarer Menschen, die immer ein Risiko darstellen werden.“

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