„Die Corona-Hilfen sind Scheingeschichten“

Landesrätin und SPÖ-Vorsitzende Birgit Gerstorfer
Die SPÖ-Landesparteivorsitzende Birgit Gerstorfer übt vernichtende Kritik am Corona- Hilfspaket des Landes. Aufgrund der sozialen Lage hofft sie auf einen Aufschwung der Partei.

Birgit Gerstorfer ist seit 2016 Landesrätin und Landesvorsitzender der SPÖ Oberösterreich. Zuvor war die 56-Jährige Chefin des Arbeitsmarktservice.

KURIER: Ihre Parteichefin Joy Pamela Rendi Wagner hat sich kürzlich einer Urabstimmung der Parteimitglieder gestellt. Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger hat sich von den Parteimitgliedern zum Spitzenkandidaten für die Gemeinderatswahl 2021 küren lassen. Werden Sie sich als mögliche Spitzenkandidatin für die Landtagswahl ebenfalls einer Wahl durch die Mitglieder stellen? Birgit Gerstorfer: Ich kann mir das grundsätzlich vorstellen. Durch die Corona-Krise hat sich der Landesparteitag jedoch von Mai auf den November verschoben. Es ist das nun kein Thema mehr, weil wir den Parteitag mit den Themen der Landtagswahl verbinden. Die Entscheidung über die Spitzenkandidatur wird dort fallen.

Sie hatten für das Frühjahr 50 sogenannte Town-Hall-Meetings in den Bezirken geplant. Was ist nun mit ihnen?

Wir führen nun eine Art Ersatzprogramm durch. Ich besuche nun schon seit ein paar Samstagen die Regionen. Ich habe den Kontakt zu Personen gesucht, die in irgendeiner Weise von der Corona-Krise betroffen sind. Zum Beispiel Arbeitssuchende. Wir machen nun von Mitte Juli bis Oktober eine Hausbesuchsaktion. Dem Großteil der Menschen geht es aufgrund von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit schlechter. Der zweite Punkt ist die Kinderbetreuung. Viele Mamas und Papas haben plötzlich keinen Kindergarten oder keine Schule mehr. Frauen haben plötzlich Vier- bis Fünffach-Belastungen.

Sind die Mütter die Hauptbetroffenen der Krise?

Weitestgehend schon. Es gibt schon Situationen, wo sie systemrelevant und der Papa in Kurzarbeit ist.

Georg Brockmeyer ist seit einem Jahr Landesgeschäftsführer. Hat er Ihre Erwartungen erfüllt?

Es hat sich innerorganisatorisch viel verändert. Ich bin sehr zufrieden mit all’ dem, was wir in Arbeit haben.

Die Arbeitslosigkeit ist für oberösterreichische Verhältnisse mit 6,4 Prozent relativ hoch, aber dennoch die niedrigste aller Bundesländer. Wirtschaftsforscher Christoph Badelt rechnet erst für 2024 mit einer Rückkehr zu den früheren Verhältnissen. Sehen Sie das als Arbeitsmarktexpertin ähnlich?

Ja. Seit 1945 gab es in Oberösterreich noch nie eine Zeit, in der die Arbeitslosigkeit so hoch war. Das Land verharmlost die Arbeitslosigkeit, man muss sich nur die Wortwahl von Landesrat Achleitner oder anderen ÖVP-Politikern anhören. Arbeitslosigkeit produziert in den Familien sehr große Sorgen. Die Menschen werden unglücklicher, kränker, ärmer und perspektivenloser. Wir müssen sie möglichst schnell wieder in Beschäftigung bringen.

Ich bin von den Landespolitikern hochgradig enttäuscht. In der vergangenen Landtagssitzung haben wir in schönen Worten über die Arbeitslosigkeit diskutiert, und was tun ÖVP und FPÖ? Sie bringen zwei Anträge ein, die nichts kosten: Eine Resolution für eine dritte Welle der Kurzarbeit, und ein Antrag auf eine Stiftung. Dabei gibt es schon jede Menge Stiftungen. Es wird die große Klappe geführt und es gibt null Euro. Damit hilft man den Menschen nicht. Man hilft ihnen, wenn man den Pakt für Arbeit und Qualifizierung quantitativ hochfährt.

Das Land nimmt kein Geld in die Hand. Wir haben vermeintliche Hilfspakete in der Höhe von 580 Millionen Euro, die, wenn es gut hergehen wird, einen dreistelligen Millionenbetrag ausmachen werden.

Warum?

Das sind Scheingeschichten. 400 Millionen Euro sind Haftungen. Sie werden wahrscheinlich nur in einem marginalen Ausmaß in Anspruch genommen. 80 Millionen sind für den Ankauf von Hilfsmaterialien, die der Bund refinanziert. Dann sind sieben Millionen für Soziales, das sind Taschengelder für Menschen mit Beeinträchtigungen und Vorschusszahlungen. Es bleibt de facto nichts.

Was würden Sie als Landeshauptfrau tun?

Ich würde massiv in die Arbeitsmarktpolitik investieren.

Was heißt das?

Ich würde eine Corona-Stiftung einrichten, damit jene, die arbeitslos geworden sind, Bildungschancen erhalten. Ich mache mit meinem Ressort eine Kooperation mit dem Arbeitsmarktservice, es wurden 5000 Arbeitslose angeschrieben, die darüber informiert werden, dass es eine Reihe an Pflegeausbildungen gibt.

Die Gruppe der geringfügig Beschäftigten ist überhaupt vergessen worden. Sie erhalten weder Arbeitslosengeld noch Kurzarbeit.

Man muss bei den Gemeinden investieren. Sie werden aber ausgehungert. Dabei machen sie 15 Prozent der Aufträge der Bauwirtschaft aus. Wir haben großen Nachholbedarf bei den Schulbauten bzw. bei ihren Sanierungen. 2009 ist das passiert, jetzt passiert nichts. Alles, was geschieht, ist Placebo.

Die SPÖ liegt sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene auf niedrigem Niveau. Woran liegt das?

Wir haben aktuell einen massiven Ausnahmezustand. Die Menschen sind mit anderen Frage beschäftigt als mit der, wie gut es der SPÖ geht. Habe ich am Monatsende genug Geld am Konto, wie kann ich die Kinder betreuen?

Soziale Fragen kommen politisch aber eher der SPÖ zugute.

Das sieht man aber nicht innerhalb von drei Tagen. Migration und Klimaschutz waren die wichtigsten Themen vor der Corona-Krise, sie sind jetzt eher im Hintergrund. Wichtig sind jetzt der Arbeitsplatz, vor allem dann, wenn er weg ist, und soziale Sicherheit. Das sind dann unsere Themen. Der Zuspruch zur Sozialdemokratie wird größer.

Wer ist in der Landespolitik ihr Hauptgegner?

Die ÖVP. Die FPÖ hat null Präsenz. Bei Haimbuchner liest man nur, ob er die Bundespartei übernimmt, sonst sieht man nicht viel von den Freiheitlichen. Nicht zuletzt deshalb, weil sie jedem Wunsch der ÖVP entsprechen. Die ÖVP ist in Oberösterreich die federführende Partei, die ihr Netzwerk der Macht jeden Tag weiter und engmaschiger strickt. Es werden bei der Beschaffung von Schutzmaterialien ÖVP-Mitarbeiter bedient. ÖVP-nahe Mitarbeiter werden in führende Funktionen gehievt. Wir sind im Land der Gegenpol.

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil zeigt, dass man als Sozialdemokrat auch in Zeiten wie diesen erfolgreich sein kann.

Das zeigt nicht nur Doskozil, das wird im Herbst auch in Wien so sein. Auch in Kärnten hat die SPÖ ein sattes zweistelliges Plus verzeichnet. Es ist natürlich viel leichter, sich als Landeshauptmann zu profilieren als hier in OÖ, wo wir nur einen Sitz in der Regierung haben.

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