Computer, Graffitis und Start-ups im Kirchenschiff

Die Digitalchurch in Aachen ist ein außergewöhnliches Büro
Unterschiedlicher können Kirchen nicht sein: Die eine dient als moderner Arbeitsplatz, die andere beherbergt Marias Reliquien

Sind Technik und Digitalisierung die Tempel der Neuen Welt? In der deutschen Stadt Aachen bilden Religion und Moderne zumindest in einem Gebäude eine Einheit: Denn in der „Digitalchurch“ finden sich im traditionellen Kirchengebäude nicht wie üblich Bänke, Altar und Beichtstühle, dafür aber Neonröhrenbeleuchtung, farbige Sitzmöbel, Graffitikunst, eine Küche und zahlreiche Computerarbeitsplätze.

Digital Church

2017 wurde aus der ehemaligen Kirche Sankt Elisabeth die Digitalchurch – der deutschlandweit erste Coworking Space (Großraumbüro, in welchem verschiedene Personen und Firmen zusammenarbeiten, Anm.) in einem Kirchenschiff. Diese Einzigartigkeit ließ sich auch Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner (ÖVP) mit einer Delegation im Zuge einer Forschungsreise in die Stadt Aachen nicht entgehen.

Computer, Graffitis und Start-ups im Kirchenschiff

Landesrat Markus Achleitner (re.) und Wilfried Enzenhofer (Upper Austrian Research) in der  Digitalchurch

„Früher kamen die Menschen in diese Kirche um zu beten, heute um dort zu arbeiten“, erklärt ihm Roman von der Lohen, Manager der Digitalchurch. Ora et Labora – bete und arbeite – bekommt so eine neue Bedeutung.

Das ehemalige Sankt Elisabeth, war bereits vor der Digitalchurch in Privatbesitz und von einem Bischof entweiht worden. Sie soll nun vor allem mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit bieten mit Start-ups (innovative Jungunternehmen, Anm.) zusammenzuarbeiten. 300 Mitglieder hat die Digitalchurch. 180 davon sind Start-ups, das größte hat 30 Mitarbeiter. 24 Stunden, 7 Tage die Woche ist die Kirche beheizt und für die Mitglieder zugänglich.

"Gesegnete Unternehmen"

Maximilian (20) macht sich gerade auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz, einem „Flexdesk“. 18 bis 20 von diesen befinden sich in der Kirche. Sie sind ausgestattet mit einem Computer, nötigen Anschlüssen und einer Lampe. „Wer zuerst ins Büro kommt, malt zuerst“, erklärt Maximilian. Er ist erst seit ein paar Tagen als Helfer bei einem der Start-ups angestellt. „Beim Bewerbungsgespräch fand ich es komisch, mittlerweile find’ ich die Kirche ziemlich cool“, sagt er.

Benjamin (30) und Philipp (26) machen hingegen gerade eine Pause. Sie sitzen auf der Couch bei einem Kaffee: Als Gründer des Start-ups „SAYM“, die mit einer App Fahrgemeinschaften optimieren möchte, verbringen sie viel Zeit an ihrem Arbeitsplatz.

Dass sie in einer Kirche sitzen stört sie nicht. „Seitdem wir hier arbeiten freut es uns jeden Tag und wenn jetzt unser Unternehmen nicht gesegnet ist, dann weiß ich es auch nicht“, sagt Benjamin. Vor allem den Austausch mit anderen Start-ups schätzen sie sehr. „Jedes Start-up kämpft mit ähnlichen Problemen. Hier können wir andere fragen, wie sie das bewältigt haben“, sagt Philipp.

Vernetzung

Beide besuchten zuvor die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) in Aachen, denn Aachen genießt in Bezug auf technologische Kompetenz international hohes Ansehen. Jeder fünfte Aachener ist Student. Allein an der RWTH studieren 45.000 Menschen. An der Fachhochschule weitere 14.000.

Die Vernetzung zwischen den Hochschulen untereinander – national sowie international – und mit der Wirtschaft, sieht Achleitner als ausschlaggebendes Moment für Tempo und Realisierung. Bei seinem Besuch in der RWTH am Dienstag unterzeichnete er deshalb ein Memorandum zur Zusammenarbeit.

Computer, Graffitis und Start-ups im Kirchenschiff

Landesrat Markus Achleitner (m.) will künftig verstärkt mit der  RWTH Aachen zusammenarbeiten

Aber auch in der Fachhochschule Aachen holte sich Achleitner Inspiration. Diese entwickeln Agrarroboter, die Felder düngen, Roboter, die auf Windräder klettern um Beschädigungen festzustellen, oder fliegende Reinigungsroboter, die Fensterflächen von Gebäuden säubern.

Große Fenster zum Saubermachen hat etwa der Aachener Dom. Denn neben dem modernen Aachen hat die Stadt auch historisch viel zu bieten.

Aachener Dom

Glaubt man einer Sage, ist am Eingang des Wahrzeichens der Daumenabdruck des Teufels zu sehen. Karl der Große ließ die Pfalzkapelle – den Mittelpunkt des Doms in Form eines Oktogons – um 800 errichten. Es war der größte Kuppelbau der damaligen Zeit. 600 Jahre später entstand schließlich aufgrund von Platzmangel die Chorhalle im gotischen Stil.

Wie der Linzer Mariendom ist auch der Aachener Dom Maria geweiht. Marienstatuen befinden sich deshalb an jedem Eingang und auch an einer Säule des Oktogons. Diese hat ein besonders Versteck: Da nur noch die Köpfe von Maria und Jesus erhalten werden konnten, wurde der Statue ein neuer Leib angefertigt. In einer Schublade am Rücken verstecken sich die Überreste ihres vorherigen Körpers.

Der Königsthron

56 Kleider hat diese Marienstatue im Laufe der Jahre von Herrschern geschenkt bekommen. Immer wieder wird sie deshalb umgezogen. Zurzeit trägt sie ein schlichtes violettes Kleid, passend zur Fastenzeit. Zudem liegt in einem goldenen Schrein neben drei weiteren Tuchreliquien das Kleid Mariens.

Computer, Graffitis und Start-ups im Kirchenschiff

Die Pfalzkapelle des Aachener Doms wurde um 800 von Karl dem Großen errichtet

Mit Blick auf den Schrein steht auf der Empore der Königsthron. Schlicht und einfach ist er aus Marmorplatten aus der Grabeskirche Jerusalems gefertigt. 31 Könige wurden hier gekörnt.

Auch wenn der Aachener Dom sicher nicht betroffen ist, ob Technik und Digitalisierung die Tempel der Zukunft werden wird sich zeigen. Fakt ist: Während Kirchenaustritte steigen, expandiert die Digitalchurch in das leer stehende Caritasgebäude nebenan.

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