Carl Honoré: Ein Lobpreis der Langsamkeit

Carl Honoré: Man sollte in jedem Fall schnelle Antworten auf komplexe Probleme vermeiden.
Der Bestsellerautor empfiehlt, richtige statt schnelle Entscheidungen zu treffen

Carl Honoré ist kanadischer Bestsellerautor. Bekannt wurde er mit dem Titel In Praise of Slow. Sein neues Buch lautet The Slow fix. Seine These: Wir treffen wichtige Entscheidungen zu rasch, weil wir es gewohnt sind, rasche Entscheidungen zu fällen. Dadurch passieren aber oft gravierende Fehler und wir müssen viel Zeit, Geld und Energie aufwenden, um sie zu korrigieren.

Honoré war auf Einladung der Denkfabrik academia superior im Frühjahr zu Gast in Gmunden. Er ist in Schottland geboren und in Kanada aufgewachsen. Heute lebt er in London. Er hat in Schottland studiert. Er arbeitete als Journalist in Schottland, Kanada, Argentinien, u. a. für den Economist, für den Miami Herald und für das Time Magazine. „Derzeit schreibe ich mehr Bücher als für Zeitungen“, sagt er im Gespräch mit dem KURIER. Und: „Ich hatte immer schon eine große Affinität zu Europa.“

KURIER: Warum ist es wichtig, die Geschwindigkeit zu drosseln?

Carl Honoré: Meine Philosophie der Verlangsamung bedeutet nicht, alles langsam zu tun. Man soll die Dinge in der richtigen Geschwindigkeit machen: zu lieben, zu arbeiten, Sport zu betreiben, zu schreiben. Die Dinge schnell zu tun, bedeutet nicht automatisch, sie besser zu erledigen. Bei schwierigen, komplizierten Zugängen ist es in gewissen Phasen notwendig, das Tempo zu drosseln, herunterzukommen, sich Zeit zu nehmen, die Zusammenhänge herzustellen, auf Qualität statt auf Quantität zu setzen. Man muss sich an bestimmten Punkten einfach die Zeit nehmen, um die Dinge richtig zu machen.

Das moderne Leben erfordert viele alltägliche Entscheidungen. Im Supermarkt werden beispielsweise viele verschiedene Produkte angeboten. Oder beim Autofahren muss man ebenfalls viele Entscheidungen rasch treffen. Ist es nicht schwierig, hiefür sich die notwendige Zeit zu nehmen?

Die meisten Entscheidungen müssen wir rasch treffen. Das ist auch kein Problem, denn ob wir einen Kaffee oder einen Tee bestellen, ist nicht so wichtig. Das Problem entsteht dann, wenn man alle Entscheidungen rasch trifft. In unserer raschlebigen Kultur sind wir überzeugt, nie genug Zeit zu haben. Das ist die Hintergrundmusik der modernen Kultur. Werbung und Medien sagen uns, dass wir nicht genug Zeit hätten. Beschäftigt und im Stress zu sein gilt als ehrenvoll. Zeit zu haben wird als Faulheit interpretiert. Es ist eine unserer großen Illusionen zu meinen, nie genug Zeit zu haben. Später müssen aber die Zeit dafür finden, die Fehler, die wir aufgrund unserer schnellen Entscheidungen machen, aufzuarbeiten und zu beseitigen. Wir finden dann dafür die Zeit, das Geld und die Ressourcen. Wir sollten aber die Zeit und die Ressourcen jetzt dafür finden, gute Lösungen zu treffen und zu vermeiden, dass die Dinge in ein, zwei Jahren explodieren. Wir haben oft mehr Zeit als wir glauben.

Wie viel Zeit benötigt man, um die richtigen Entscheidungen zu treffen?

Das ist unterschiedlich. Das kann eine Woche sein. Manchmal genügt es, eine Nacht darüber zu schlafen. Wenn man zum Beispiel eine schwierige eMail bekommt, sollte man sie nicht gleich beantworten. Oft fällt einem die Lösung während der Nacht ein. Manchmal genügt es, zwei Minuten nachzudenken, wenn man die Möglichkeit hat, zwischen einer guten und schlechten Lösung zu wählen. Oft genügen auch zwei Minuten, damit man die Argumente der Menschen besser versteht. Man sollte in jedem Fall schnelle Antworten auf komplexe Probleme vermeiden.

Es tun sich oft zwei Entscheidungsmöglichkeiten auf. Da ist einerseits die rationale Überlegung und andererseits die emotionale Reaktion aus dem Bauch heraus. Wie reagiert man richtig?

Das ist nicht so einfach. Manchmal kann die instinktive Entscheidung die bessere sein. Aber es ist nicht immer die beste. Wir wissen das aus vielen Untersuchungen. Es ist wichtig, Bauchentscheidungen kritisch gegenüber zu stehen. Damit Sie sicher sind, dass Ihre instinktive Reaktion richtig ist, sind eine Menge von Expertisen notwendig. Es benötigt 10.000 Stunden, um in einer Materie zum Experten zu werden. Selbst wenn Sie diese Stunden investiert haben, haben sie Filter in ihrem Bauch. Unsicherheit ist ein großes Problem. Selbst wenn man meint, die richtige Entscheidungen getroffen zu haben, muss man wachsam bleiben. Es kann auch eine Entscheidung zu gut sein, um wahr zu sein. Die Entscheidung sollte eine bescheidene und skeptische sein. Unsere Gesellschaft ist alles andere als bescheiden. Die Menschen präsentieren sich auf facebook und erklären, wie großartig sie sind.

Ist das nicht die Philosophie der Amerikaner? Europäer sind hier skeptischer.

Sie haben recht. Wenn man die beiden Gesellschaften vergleicht, sind die Amerikaner sicherlich anfälliger dafür. Sie neigen auch eher zu raschen Entscheidungen. Die Europäer sind zynischer und skeptischer. Europa ist eine ältere Kultur, so manche rasche Entscheidung hat sich in der Geschichte als falsch herausgestellt. Amerika ist eine jüngere Kultur, alles ist von Hoffnung und Großartigkeit getragen. Aber auch in Europa gibt es eine Menge zu rascher Entscheidungen.

Wie kamen Sie zur Philosophie der Langsamkeit?

Als Journalist war ich immer mit Abgabeschlüssen und Fertigstellungsterminen konfrontiert. Alles rauschte an mir vorüber. Ich fühlte, dass da etwas nicht stimmte. Ich hatte dann eine Offenbarung, als ich meinem Sohn am Bett Geschichten vorlas. Auf einem Flughafen las ich eine Zeitung, die Tipps gab, wie man die Dinge noch schneller erledigen könnte. Hier wurde unter anderem die Ein-Minuten-Bettgeschichte empfohlen. Ich las das und dachte mir, ist das nicht großartig? Das ist einer jener Momente, wo man sich von der Seite selbst ansieht und denkt, ich habe meine Orientierung verloren. Das war der Moment der Wahrheit. Ich frage mich, wie ich in diesen Geschwindigkeitsrausch verfallen konnte? Außerdem hatte ich Probleme mit meinem Nacken, woraufhin mir meine Akupunkturspezialist erklärte, dass dies mit meiner Lebensweise zu tun habe.

Carl Honoré ist kanadischer Bestsellerautor. Bekannt wurde er mit dem Titel In Praise of Slow. Sein neues Buch lautetThe Slow fix. Seine These: Wir treffen wichtige Entscheidungen zu rasch, weil wir es gewohnt sind, rasche Entscheidungen zu fällen. Dadurch passieren aber oft gravierende Fehler und wir müssen viel Zeit, Geld und Energie aufwenden, um sie zu korrigieren. Honoré war auf Einladung der Denkfabrik academia superior im Frühjahr zu Gast in Gmunden. Er ist in Schottland geboren und in Kanada aufgewachsen. Heute lebt er in London. Er hat in Schottland studiert. Er arbeitete als Journalist in Schottland, Kanada, Argentinien, u. a. für den Economist, für den Miami Herald und für das Time Magazine. „Derzeit schreibe ich mehr Bücher als für Zeitungen“, sagt er im Gespräch mit dem KURIER. Und: „Ich hatte immer schon eine große Affinität zu Europa.“ KURIER: Warum ist es wichtig, die Geschwindigkeit zu drosseln? Carl Honoré: Meine Philosophie der Verlangsamung bedeutet nicht, alles langsam zu tun. Man soll die Dinge in der richtigen Geschwindigkeit machen: zu lieben, zu arbeiten, Sport zu betreiben, zu schreiben. Die Dinge schnell zu tun, bedeutet nicht automatisch, sie besser zu erledigen. Bei schwierigen, komplizierten Zugängen ist es in gewissen Phasen notwendig, das Tempo zu drosseln, herunterzukommen, sich Zeit zu nehmen, die Zusammenhänge herzustellen, auf Qualität statt auf Quantität zu setzen. Man muss sich an bestimmten Punkten einfach die Zeit nehmen, um die Dinge richtig zu machen. Das moderne Leben erfordert viele alltägliche Entscheidungen. Im Supermarkt werden beispielsweise viele verschiedene Produkte angeboten. Oder beim Autofahren muss man ebenfalls viele Entscheidungen rasch treffen. Ist es nicht schwierig, hiefür sich die notwendige Zeit zu nehmen? Die meisten Entscheidungen müssen wir rasch treffen. Das ist auch kein Problem, denn ob wir einen Kaffee oder einen Tee bestellen, ist nicht so wichtig. Das Problem entsteht dann, wenn man alle Entscheidungen rasch trifft. In unserer raschlebigen Kultur sind wir überzeugt, nie genug Zeit zu haben. Das ist die Hintergrundmusik der modernen Kultur. Werbung und Medien sagen uns, dass wir nicht genug Zeit hätten. Beschäftigt und im Stress zu sein gilt als ehrenvoll. Zeit zu haben wird als Faulheit interpretiert. Es ist eine unserer großen Illusionen zu meinen, nie genug Zeit zu haben. Später müssen aber die Zeit dafür finden, die Fehler, die wir aufgrund unserer schnellen Entscheidungen machen, aufzuarbeiten und zu beseitigen. Wir finden dann dafür die Zeit, das Geld und die Ressourcen. Wir sollten aber die Zeit und die Ressourcen jetzt dafür finden, gute Lösungen zu treffen und zu vermeiden, dass die Dinge in ein, zwei Jahren explodieren. Wir haben oft mehr Zeit als wir glauben. Wie viel Zeit benötigt man, um die richtigen Entscheidungen zu treffen? Das ist unterschiedlich. Das kann eine Woche sein. Manchmal genügt es, eine Nacht darüber zu schlafen. Wenn man zum Beispiel eine schwierige eMail bekommt, sollte man sie nicht gleich beantworten. Oft fällt einem die Lösung während der Nacht ein. Manchmal genügt es, zwei Minuten nachzudenken, wenn man die Möglichkeit hat, zwischen einer guten und schlechten Lösung zu wählen. Oft genügen auch zwei Minuten, damit man die Argumente der Menschen besser versteht. Man sollte in jedem Fall schnelle Antworten auf komplexe Probleme vermeiden. Es tun sich oft zwei Entscheidungsmöglichkeiten auf. Da ist einerseits die rationale Überlegung und andererseits die emotionale Reaktion aus dem Bauch heraus. Wie reagiert man richtig? Das ist nicht so einfach. Manchmal kann die instinktive Entscheidung die bessere sein. Aber es ist nicht immer die beste. Wir wissen das aus vielen Untersuchungen. Es ist wichtig, Bauchentscheidungen kritisch gegenüber zu stehen. Damit Sie sicher sind, dass Ihre instinktive Reaktion richtig ist, sind eine Menge von Expertisen notwendig. Es benötigt 10.000 Stunden, um in einer Materie zum Experten zu werden. Selbst wenn Sie diese Stunden investiert haben, haben sie Filter in ihrem Bauch. Unsicherheit ist ein großes Problem. Selbst wenn man meint, die richtige Entscheidungen getroffen zu haben, muss man wachsam bleiben. Es kann auch eine Entscheidung zu gut sein, um wahr zu sein. Die Entscheidung sollte eine bescheidene und skeptische sein. Unsere Gesellschaft ist alles andere als bescheiden. Die Menschen präsentieren sich auf facebook und erklären, wie großartig sie sind. Ist das nicht die Philosophie der Amerikaner? Europäer sind hier skeptischer. Sie haben recht. Wenn man die beiden Gesellschaften vergleicht, sind die Amerikaner sicherlich anfälliger dafür. Sie neigen auch eher zu raschen Entscheidungen. Die Europäer sind zynischer und skeptischer. Europa ist eine ältere Kultur, so manche rasche Entscheidung hat sich in der Geschichte als falsch herausgestellt. Amerika ist eine jüngere Kultur, alles ist von Hoffnung und Großartigkeit getragen. Aber auch in Europa gibt es eine Menge zu rascher Entscheidungen. Wie kamen Sie zur Philosophie der Langsamkeit? Als Journalist war ich immer mit Abgabeschlüssen und Fertigstellungsterminen konfrontiert. Alles rauschte an mir vorüber. Ich fühlte, dass da etwas nicht stimmte. Ich hatte dann eine Offenbarung, als ich meinem Sohn am Bett Geschichten vorlas. Auf einem Flughafen las ich eine Zeitung, die Tipps gab, wie man die Dinge noch schneller erledigen könnte. Hier wurde unter anderem die Ein-Minuten-Bettgeschichte empfohlen. Ich las das und dachte mir, ist das nicht großartig? Das ist einer jener Momente, wo man sich von der Seite selbst ansieht und denkt, ich habe meine Orientierung verloren. Das war der Moment der Wahrheit. Ich frage mich, wie ich in diesen Geschwindigkeitsrausch verfallen konnte? Außerdem hatte ich Probleme mit meinem Nacken, woraufhin mir meine Akupunkturspezialist erklärte, dass dies mit meiner Lebensweise zu tun habe.

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