Atomkraftwerk Temelin: Ausbaupläne im Nebel
Stängel für Stängel stehen die Überbleibsel vom geernteten Mais auf dem Feld. Sie verwelken langsam – ist doch der Herbst sichtbar eingezogen: Eine dicke Nebeldecke hängt darüber und verdeckt (fast) die riesigen Türme, die dahinter 155 Meter in die Höhe ragen. Es sind die Kühltürme des Atomkraftwerks (AKW) Temelin in Tschechien, das nur etwa 65 Kilometer Luftlinie von der oberösterreichischen Grenze entfernt liegt.
Die Grünen OÖ und die Anti-Atom-Bewegung kämpfen schon lange darum, dass das AKW abgeschaltet wird. Nun soll es, wie Medien kolportieren, jedoch ausgebaut werden. „Small Modular Reactors (SMR)“, umgangssprachlich Mini-AKWs, sollen auf dem Feld entstehen. Wie lange auf den 19 Hektar noch Mais angebaut wird, ist somit fraglich.
Dalibor Strasky steht am Mittwoch vor dem Feld und blickt auf das riesige Kraftwerk. Er wohnt bei der tschechischen Stadt Budweis. Angst von Strahlung oder gar einem „Supergau“ hat er nicht mehr: „Es ist Gewohnheit.“ Als Anti-Atom-Beauftragter des Landes OÖ beschäftigt er sich täglich mit dem Thema und Temelin.
Versuchsobjekt?
Zwei Reaktorblöcke sind dort in Betrieb. Für zwei weitere werden die Papiere vorbereitet. „Die kommen aber frühestens nach 2036“, so Strasky. Denn vorher sei noch ein Reaktor beim zweiten tschechischen AKW in Dukovany geplant. „Und zwei so große Projekte gleichzeitig können sie nicht stemmen.“
Das Kraftwerk
Das Atomkraftwerk Temelín ist das größte Kraftwerk Tschechiens.
Der Bau
1979 bis 1980 fiel die Entscheidung für den Bau, die Bauarbeiten starteten im März 1987.
125 Hektar misst das Areal. Zentral sind zwei Blöcke, jeweils bestehend aus Reaktor- und Maschinengebäude. Auf Fotos von Temelín sind aber meist die vier Kühltürme zu sehen, die 155 Meter hoch sind.
Dafür stehen nun Mini-AKW zur Debatte. Die konkreten Pläne dazu kennt Strasky aber noch nicht. Denn Mini-AKW können viel bedeuten. Prinzipiell erbringen sie eine Leistung von weniger als 300 Megawatt. (Ein Temelin-Reaktor 1.000). Die Idee für solche Mini-AKW stamme bereits aus den 1950ern. 130 Konzepte solle es mittlerweile dafür geben. In Betrieb sei so ein SMR jedoch noch nicht.
Während große AKW einen großen Planungsaufwand bedeuten und meist jahrelange Verzögerungen mit sich bringen, wirbt die Atomlobby bei den Mini-AKW damit, dass diese fast wie am Fließband produziert werden können: Module werden je nach Bedarf zusammengesetzt.
Gefahr nicht gebannt
Das mache die Sache noch problematischer: „Atomkraftwerke sind viel zu gefährlich, um sie schnell zusammenzubauen“, sagt der grüne oö. Umweltlandesrat Stefan Kaineder, der – für die spätherbstlichen Temperaturen sichtlich zu kalt bekleidet – zwischen Bäumen im Laub steht. Er hat zu dem Lokalaugenschein eingeladen.
Nur weil die Kraftwerke kleiner seien, banne das nicht die Gefahr. Dazu komme die ungeklärte Endlagerung. Derzeit wird der Atommüll in einem grau-roten Gebäude am Eck des Areals zwischengelagert. „Ich habe ein Schreiben an den südböhmischen Kreishauptmann Martin Kuba verfasst. Wir wollen wissen, was geplant ist“, sagt Kaineder. Denn eine Reaktion zu den Spekulationen kam von der tschechischen Regierung bis dato keine.
Ambitioniert
„Tschechiens Energiestrategie umfasst schon erneuerbare Energien, aber nur mit Atomstrom“, sagt Strasky. Kaineder hofft nun auf die Klage, die Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) für die Republik Österreich gegen die EU-Taxonomie-Verordnung (die Atomstrom als „grünen“ Strom ausweist) eingebracht hat. Wird dieser recht gegeben, so komme auch Tschechien unter Zugzwang, ist sich Kaineder sicher.
Ansonsten setze man vor allem auf Druck aus der Bevölkerung. In Tschechien gestaltet sich das laut Strasky schwierig: „Nur 30 Prozent sind gegen Atomstrom.“ Vereine, die sich gegen Atomkraft einsetzen, gebe es nur wenige, umso wichtiger sei die Kooperation mit OÖ. 100.000 Euro fließen vom Land OÖ jährlich in die Anti-Atom-Bewegung, 50.000 davon in tschechische Partner.
In Oberösterreichs Grenzgemeinden schlagen hingegen schon jetzt die Alarmglocken. Zum Protest bereit ist etwa Leopoldschlag. Denn komme es zum Gau, mache dieser keinen Halt vor der Grenze. Vorerst ist jedoch noch völlig offen, wann die Mini-AKW in Betrieb gehen sollen. „Stimmen die Spekulationen von 2032, ist das sehr ambitioniert“, so Kaineder. Vielleicht wächst ja doch noch länger Mais am Feld.
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