Würden Sie diesen Mann einstellen?

Würden Sie diesen Mann einstellen?
Viele Konzerne würden es nicht. Weil sie glatt gestriegelte Konformisten und Anzugtypen suchen. Ein Plädoyer für die Querdenker.

Ein Mittdreißiger erscheint vor versammelter Führungsmannschaft zum Bewerbungsgespräch im Axel Springer Verlag. Er telefoniert, spricht in unverständlicher New-Media-Sprache, fuchtelt mit den Händen, ist laut. Der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner schaut seinen Sitznachbarn irritiert an. Nach einiger Zeit beendet der Bewerber das Telefonat und stellt nach dem Einleitungssatz "Seid ihr bereit, oder seid ihr bereit!?" klar: "Content ist king. The medium is the fucking message!". - Wer will diesem Mann einen Job anbieten?

Vermutlich wenige. In der Realität würde der junge Mann sanft, aber bestimmt vom Sicherheitspersonal hinausgeleitet werden. Er hätte sich selbst disqualifiziert, weil er zu laut, zu wenig konform, zu proaktiv ist - und vor allem nicht das Ideal der Chefs bedient, ihnen zu wenig ähnlich ist. Denn obwohl sich viele Unternehmen Diversität, Kreativität und Querdenkertum in der Theorie auf die Fahnen schreiben, erinnert die Praxis oftmals an den Blockbuster "Matrix". Dort klont sich der Agent im schwarzen Anzug ungezählte Male selbst, weil er seiner Meinung nach Nonplusultra darstellt.

Homosoziale Reproduktion

"Gleich und gleich gesellt sich gerne. Das erlebe ich in der Praxis immer wieder", sagt Judith Novak, Gründerin von Anova Human Ressource Management. Tatsächlich stellt nur jeder vierte Unternehmer einen Querdenker ein, der Rest gibt sich mit konformen Mitarbeitern zufrieden, bestätigt die Studie "Erfolgsfaktor Innovationskultur". Dieses Phänomen, die Bevorzugung des Gewohnten, wird in der Fachsprache "Homosoziale Reproduktion" genannt. Die Gründe dafür sind nur allzu menschlich: "Man versucht, sich ein warmes, kuscheliges Umfeld zu bauen. Das geht am besten, wenn man sich mit Menschen umgibt, die genauso ticken, wie man selbst", sagt Peter Kreuz, Mitgründer des Labors für Querdenker. Die Krux an der Welt im Wattebausch: Sie ist brutal, langweilig und entbehrt jeder Innovation. "Innovation entsteht aus Reibung. Immer dann, wenn unterschiedliche Geschlechter, Hobbys, Lebenserfahrungen, Ausbildungen zusammenkommen", sagt Kreuz. Verschiedene Persönlichkeiten sind für Unternehmen, der Garant, "geistiger Inzucht" vorzubeugen.

Anders und doch gleich

Manche Unternehmen suchen bereits gezielt Mitarbeiter, die nicht dem Standard-Angestellten entsprechen. Sie wollen keine Kopien des Vorhandenen, sie suchen Persönlichkeiten. "Das unterscheidet eine gute Führungskraft von einer schlechten: Dass sie auch Nonkonformisten ins Unternehmen holt", sagt Elisabeth Leyser, Geschäftsführerin von Hill International.

Trotzdem sind auch in modern denkenden Konzernen bestimmte Regeln und Persönlichkeitseigenschaften notwendig. Joachim Burger, HR-Vorstand von T-Mobile: "Bei uns rennen nicht alle 1500 Mitarbeiter in grauen Anzügen herum, aber wer nicht gerne Kontakt mit Kunden hat, wird bei T-Mobile nicht viel Erfolg haben." Der Konzern ist einer der beliebtesten Arbeitgeber Europas. Hier steht die Persönlichkeit der Mitarbeiter weit oben, aber die muss sich entwickeln. "Eine Persönlichkeit ist wie ein guter Wein: Sie muss reifen. Doch das entspricht nicht dem Zeitgeist", sagt Burger.

Schwarz-weiß

Unternehmen brauchen Querdenker, die ihre Kreativität auch ohne Ringelsocken aktivieren können. Immerhin tragen auch Architekten und Designer bevorzugt schwarz. Und: Nur eine Persönlichkeit kann eine andere Persönlichkeit neben sich ertragen und fördern. Beim Axel Springer Verlag will man, mit dem eingangs beschriebenen Werbespot, junge Kreative anziehen. Dort gesteht man sich die innerbetriebliche Homogenität ein, man thematisiert sie humorig - und will jetzt neue Wege gehen.

Lücken haben im Lebenslauf nichts verloren

Personalisten achten auf Schwächen - das ist ihr Job. Umso wichtiger ist es, die vermeintlichen Lücken zu verspachteln. Doch bitte nicht verschönern, so dass Lügenbaron Münchhausen neidisch werden würde. Ehrlich sein. Niemand ist unfehlbar.

Auszeiten, Orientierungsphasen, Bildungskarenz - all das hat seine Berechtigung. Aber Lücken regen die Fantasie der Personaler an, wenn sie nicht ausreichend erläutert werden. Daher: Im Bewerbungsschreiben die Gründe für die Auszeit erklären und die positiven Konsequenzen darbringen: Musste etwa die kranke Mutter gepflegt werden, zeugt das von sozialer Kompetenz. Wer nach dem Studienabschluss ein Jahr auf Reisen verbracht hat, wird Verständnis und Erfahrung mit anderen Kulturen und im besten Fall eine außergewöhnliche Sprache mitbringen. Elisabteh Leyser, Geschäftsführerin von Hill International: "Man muss erklären können, was man gemacht hat. Es sollte so geschildert sein, dass es in irgendeiner Art und Weise für das Unternehmen interessant ist." So werden "Lücken" zu Stärken.

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