Ärzte steigen gegen "medizinischen Unsinn" auf die Barrikaden

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Mediziner aus Waidhofen an der Ybbs kritisieren im NÖ Gesundheitsplan beschriebenen Umgang bei Notfällen und warnen sogar vor mehr Todesfällen.

Mit immer lauterer Kritik steigen Ärzte und Fachleute aus Waidhofen/Ybbs und dem alpinen Hinterland gegen angekündigte Maßnahmen im NÖ Gesundheitsplan 2040+ auf die Barrikaden. Gestützt auf Fachliteratur, behaupten die Mediziner, dass die Politik mit dem geplanten Abzug des Notarztstützpunktes in Waidhofen sogar Todesopfer riskieren würde.

Ambulance

In Waidhofen versteht man nicht, warum in Sparzeiten gut funktionierende Abteilungen wie die Herzkatheterstation und die Urologie abgesiedelt und im LKH Amstetten teuer wieder aufgebaut werden sollen – der KURIER berichtete. Doch nach genauerer Lektüre des Gesundheitsplans, der im NÖ Landtag einstimmig beschlossen wurde, verschärft sich nun der Ton.

Notarztstützpunkt

Vor allem die Schließung des Stützpunkts für das Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) ist aktuell der größte Aufreger. Im Gesundheitsplan ist ja landesweit eine Reduktion von 31 auf 21 Stützpunkte vorgesehen.

Im Waidhofener Gemeinderat und bei Terminen mit Politikern mache man vehement darauf aufmerksam, "dass ein Qualitätsverlust bei der medizinischen Versorgung droht“, sagt der Arzt Alfred Lichtenschopf. Er sowie die Primarärzte Martin Gattermeier und Klaus Katzensteiner, der bis zum Vorjahr zwölf Jahre lang das UKH Linz leitete, nehmen Passagen im Gesundheitsplan aufs Korn, die die Rettungsmaßnahmen bei Notfällen beschreiben.

Rettungssystem

Dort heißt es, dass binnen 20 Minuten ein Erstversorgungsteam per Hubschrauber oder Notarztwagen beim Patienten sein soll. Mit der Stabilisierung durch das Rettungsteam sei "die unmittelbare Lebensgefahr gebannt“, wird versichert. Dann folgt der Satz: "Nach einer erfolgreichen Stabilisierung ist es nicht mehr entscheidend, ob der Transport in die Klinik 15 oder 30 Minuten dauert.“

Das verschlägt den Ärzten fast die Sprache. "Das kostet Menschenleben“, behaupten Gattermeier oder Katzensteiner. "Für leichte Traumata oder einen allergischen Schock könnte man das gelten lassen. Für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall ist das medizinischer Unsinn“, so Gattermeier. Generationen von Kardiologen hätten nachgewiesen, "dass jede Minute für den Herzmuskel zählt, das gilt für das Gehirn ebenso“.

Tausende Publikationen, auch aus den nö. Kliniken, würden das bestätigen, so Gattermeier. Er verweist auf Arbeiten des bekannten Professors Michael Hirschl, der in den nö. Kliniken maßgeblich tätig war, ins Blickfeld. Die Grundsätze "Time is muscle“ oder "Time ist brain“ (Zeit ist Muskel, Zeit ist Gehirn) seien unumstößlich.

Oberflächlich 

Dass man trotz Hirschls Arbeit in NÖ "so ein Papier herausgibt, ist erschütternd“, wettert Gattermeier. Unterstützt wird er sogar vom früheren Geschäftsführer der NÖ Kliniken-Holding Helmut Krenn, der den Gesundheitsplan als "oberflächliches Papier“ bezeichnet. In der Fülle der Kritik äußert der Traumatologe Katzensteiner schwere Zweifel, dass Notfallopfer überhaupt zeitgerecht erstversorgt werden könnten.

Anfahrtszeit

Notärzte müssten ins hintere Ybbstal aus Amstetten eine Stunde anfahren, wenn der Notarzthubschrauber woanders eingesetzt oder wegen Schlechtwetter außer Gefecht ist. Notfallsanitäter von den Rettungsstellen hätten vielfach keine Berechtigung, zu intubieren und Infusionen zu setzen.

Mit den Ärzten kämpft auch Hollensteins Bürgermeisterin Manuela Zebenholzer (SPÖ), die eine Benachteiligung der Grenzregion samt steirischen Gebieten sieht. Die Mediziner und sie wollen eine Kampagne starten und Gesundheitslandesrätin Eva Prischl (SPÖ) damit befassen. Man wolle alle Bedenken an Experten weiterleiten, heißt es aus ihrem Büro. Allerdings liege ein Landtagsbeschluss vor. Noch im Sommer sollen die NEF-Stützpunkte präsentiert werden, sagt Prischl.

Aus der NÖ Landesgesundheitsagentur heißt es, dass der Gesundheitsplan von 50 Experten formuliert wurde. Die kritisierte Textpassage beziehe man auf andere Erkrankungsformen als Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Beide würden in einer geeigneten Klinik mit Herzkatheter oder Stroke Unit behandelt.

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