Volksanwalt: Zu wenig Betreuung für psychisch kranke Flüchtlinge

St.-Gabriel-Leiter Norbert Fuchs kritisiert, dass viele Flüchtlinge im Asylheim „übrig bleiben“
Endstation Asylheim. Unbehandelte Kranke könnten eine Gefahr werden.

Stundenlang geht Yetullah (Name von der Redaktion geändert) den Gang auf und ab. Wenn die Medikamente wirken, liegt er apathisch im Bett. Der Kosovare leidet an paranoider Schizophrenie. Ein eigenständiges Leben wird er nie führen können.

43 kranke Asylwerber und Flüchtlinge wohnen mit 50 Angehörigen im Flüchtlingsheim St. Gabriel in Maria Enzersdorf, NÖ. Knapp 20 sind psychisch krank. Für viele von ihnen ist in St. Gabriel "Endstation". Denn ausreichende psychologische Betreuung oder geeignete Heimplätze für ein selbstbestimmtes Leben fehlen, kritisieren Hilfseinrichtungen. Und so bleiben sie dauerhaft in Heimen, die nur für kurzzeitige Betreuung ausgelegt sind; in Zimmern kleiner als Gefängniszellen, ohne Integration.

"Man hat aus dem Fall Brunnenmarkt nichts gelernt"

Volksanwalt: Zu wenig Betreuung für psychisch kranke Flüchtlinge
Caritas, Flüchtlingsunterkunft St. Gabriel, psychisch- und körperlich kranke Flüchtlinge, Leiter Norbert Fuchs
"Wir haben Menschen, die leben seit mehr als zehn Jahren bei uns", sagt Leiter Norbert Fuchs. Die Möglichkeiten für seine Schützlinge, selbstständig zu werden, würden geringer. "Man hat aus dem Fall Brunnenmarkt (ein psychisch kranker Afrikaner erschlug eine Frau, Anm.) nichts gelernt", warnt er. Natürlich bestehe die Gefahr, dass die Betroffenen ohne ausreichende Versorgung abtauchen – und eine Gefahr für sich selbst und andere werden.

"Dass wir in diesem Bereich eklatante Defizite haben, wird niemand bestreiten", sagt Volksanwalt Günther Kräuter. Er hat bereits auf die Missstände in der Versorgung behinderter und kranker Flüchtlinge hingewiesen. Auch bei der Caritas sieht man Handlungsbedarf. Ohnehin gäbe es zu wenig Angebot für psychiatrisch erkrankte Patienten, nun verschärfe sich die Situation, sagt der ärztliche Leiter Thomas Wochele. Die Politik habe die Problematik unterschätzt, glaubt Kräuter. Wie viele psychisch kranke Flüchtlinge in Österreich leben, ist nicht bekannt. In NÖ etwa sind 220 von 250 Sonderbetreuungsplätzen für körperlich und psychisch Kranke belegt. Einrichtungen erhalten für diese Gruppe 44 Euro Taggeld. Zu wenig, urteilt Lydia Krob vom Integrationshaus. "Wir bräuchten mindestens das Doppelte."

Wenig Personal

In St. Gabriel kümmern sich untertags zwei Psychologen, zwei Sozialarbeiter und eine Krankenschwester um 43 Kranke. Dabei schieße die Caritas jährlich Geld zu, sagt Fuchs. Verschärfend kommt hinzu, dass sowohl psychisch als auch körperlich Kranke betreut werden. Die Folgen sind dramatisch: "Ich bin sicher, dass wir zwei Todesfälle kranker Asylwerber hatten, die auf mangelnde hygienische Versorgung zurückzuführen sind", sagt Petra Fischerlehner-Freiler, die mit ihrem Mann, einem Arzt, die Asylwerber betreut.

"Unser Fachpersonal müsste verdoppelt werden", stellt Fuchs klar. Vor allem bräuchte es Sonderpädagogen. "Wir versuchen, den Betroffenen Zugang zur Psychotherapie zu gewähren, aber die Warteliste ist zu lang", sagt Fuchs. Laut Barbara Preitler vom Wiener Verein Hemayat, der sich auf die Unterstützung traumatisierter Flüchtlinge spezialisiert hat, wären alleine bei ihnen 400 Menschen vorgemerkt. Dazu komme, dass es kaum adäquate Deutschkurse gäbe.

Für Fuchs bräuchte es jedoch mehr: Plätze in betreuten Wohneinheiten oder Heimen, wo es eine Tagesstruktur gibt. Diese sind aber für Flüchtlinge, die subsidiären Schutz (kein Asylstatus, aber Abschiebeverbot, Anm.) erhalten – und die werden immer mehr – nicht vorgesehen. Dafür hat Volksanwalt Kräuter kein Verständnis. "Die Mindeststandards der Menschenwürde sind einzuhalten. Wir brauchen strukturelle Einrichtungen, damit diese Menschen selbstbestimmt leben können." Die Politik müsse Mittel frei machen. In NÖ etwa würde Geld durch die Kürzung der Mindestsicherung der Asylwerber frei.

Dort sieht man das Problem nicht so dramatisch. Es gäbe wenige Länder mit derart hochwertiger Versorgung, heißt es aus dem Büro von Landesrat Maurice Androsch. Asylwerber und subsidiär Schutzberechtigte könnten den Kassen-Therapeuten aufsuchen. Zudem würden Angebote, etwa mit muttersprachlichen Therapien, finanziert. Auch das Androsch-Büro betont, dass eine Flüchtlingsunterkunft niemals "Endstation" sein kann. Gleichzeitig wird erklärt, dass jene, die nicht am Arbeitsmarkt vermittelbar sind, Anspruch auf ein Grundversorgungsquartier haben. "Also St. Gabriel", sagt Fuchs trocken. Allerdings will sich das Land für Fälle, in denen die 44 Euro samt möglicher Zusatzleistungen nicht ausreichen, Maßnahmen überlegen.

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