Angeworben wird also über das Internet?
Eine große Rolle spielen Influencer Preacher, also salafistische Onlineprediger auf sozialen Medien. Sie verkünden in kurzen Videos einfache, aber oftmals falsche Antworten auf Glaubensfragen. Algorithmen führen zu einem Echokammereffekt, sodass die Jugendlichen nur noch inkriminierte Inhalte in ihren Timelines vorgeschlagen bekommen. Der Besuch einer radikalen Moschee ist nicht mehr notwendig, um radikalisiert zu werden.
Einige islamistische Terrorverdächtige kamen aus einem katholischen Haus. Wie passt das?
Jugendliche, die zum Islam konvertieren, sind für eine Radikalisierung tatsächlich viel anfälliger, besonders weil sie keinerlei Kenntnisse über die Religion haben. Influencer Preacher sprechen diese Konvertiten online an. Die Propaganda ist sehr geschickt und ganz gezielt auf das Anwerben ausgerichtet. Jugendliche suchen in dieser Lebensphase nach ihrer Identität, Zugehörigkeit und Anerkennung. Hier greift die islamistische Ideologie und macht den frustrierten jungen Menschen gewissermaßen ein verführerisches Angebot der Orientierung, Gemeinschaft und Stärke. Der Glaube spielt dabei zumeist nur eine untergeordnete Rolle. Manchmal besteht die Attraktivität dieses Phänomens für Jugendliche auch in der einfachen Möglichkeit einer bewussten, pubertären Provokation ihrer Eltern.
Schlagen auch Eltern Alarm, wenn sie Veränderungen bei ihren Kindern erkennen?
Ja, vielfach wenden sich Eltern aus Angst, ihre Kinder könnten sich einer Terrororganisation anschließen, in ein Kriegsgebiet ausreisen oder Gewaltakte verüben, Hilfe suchend an die Polizei.
Wie groß ist das Problem des islamistischen Extremismus?
2024 haben wir Fälle im dreistelligen Bereich bearbeitet. Auf jede Anzeige erfolgt eine Gefahrenerforschung. Teilweise stellt sich dabei heraus, dass tatsächlich keine Gefahr vorliegt. Diese Ermittlungen erfordern ausreichend Staatsschutzerfahrung, operative Taktiken und besonderes Fingerspitzengefühl.
Was sind typische Anzeichen einer Radikalisierung ?
Radikalisierungen erfolgen nicht linear, sondern durchwegs unterschiedlich. Manchmal geht es sehr rasch, in anderen Fällen läuft die Radikalisierung über einen längeren Zeitraum und in unterschiedlichen Phasen ab. Anzeichen können ein abrupter Wechsel im Freundeskreis, Veränderungen im Kleidungsstil, in der Haarpracht bzw. beim Bartwuchs oder über die Knöchel aufgekrempelte Hosen sein. Natürlich kann bei Mädchen auch ein Kopftuch oder eine Vollverschleierung auf eine Radikalisierung hindeuten.
Heißt das: Vorsicht bei jedem langen Bart?
Alle diese Anzeichen können, müssen aber nicht auf eine Radikalisierung hindeuten. Eine klare Unterscheidung zwischen Radikalisierung und Religionsausübung ist wichtig. Das freiwillige Tragen eines Kopftuches oder das bewusste Wachsenlassen eines Bartes können völlig harmlose religionsbedingte oder auch religionsunabhängige Entwicklungen darstellen. Die Alarmglocken sollten aber schrillen, wenn jemand terroristische Straftaten gutheißt oder wenn Eltern und Freunde belehrt werden, oder Mädchen strenge Bekleidungsvorschriften auferlegt werden.
Es heißt oft, Österreich hat zu wenig Befugnisse bei Ermittlungen. Ist das so?
Die Gefahr des islamistischen Terrorismus wird in den letzten Jahren immer präsenter. Wir sehen, dass sich Extremisten vor allem in geschlossenen Messengerdiensten austauschen. Auf diese Kommunikation haben wir derzeit keinen Zugriff und können daher auch nicht darauf reagieren. Ein Paradebeispiel für die Sinnhaftigkeit dieser Ermittlungsmaßnahme ist natürlich der geplante Anschlag auf die Taylor-Swift-Konzerte im Vorjahr.
Sie fordern also auch die Messenger-Überwachung?
Ich halte sie für absolut sinnvoll bzw. notwendig und verstehe die Bedenken dagegen überhaupt nicht. Die Onlineüberwachung von Messenger-Diensten wäre eine moderne Ermittlungsmethode, die nur im Einzelfall, bei besonderer Gefahr und nach den gesetzlichen Vorgaben zum Einsatz kommt. Selbstverständlich in Kombination mit den Kompetenzen des Staatsschutzes.
Sorgen Fälle wie Taylor Swift für Nachahmer?
Ja, absolut. Aufsehenerregende Fälle oder Anschläge lösen in extremistischen Kreisen einen Vorbildeffekt aus. Das gilt allerdings nicht nur für den islamistisch motivierten Terrorismus, sondern auch für den Rechtsterrorismus. Ich denke da an Anders Breivik und Fälle wie Christchurch. Die Berichterstattung über Ermittlungserfolge stärkt sicher das Vertrauen in die Polizei und sorgt gleichzeitig für ein nicht unerhebliches Abschreckungspotenzial. Hochradikalisierte Personen wird dies allerdings nicht abhalten.
Glauben Sie, dass mit der Generation Z das Phänomen der Gefährder und radikalisierten Szene ausstirbt?
Das Verschwinden dieses Phänomens ist sehr unwahrscheinlich, es kann maximal eingedämmt werden. Die Generation Z ist in einer digitalen Welt aufgewachsen und somit der Gefahr der Onlineradikalisierung ausgesetzt. Für die Generationen davor bestand diese Gefahr nicht, für die Generationen danach besteht sie sehr wohl.
Das heißt, es braucht Konzepte gegen diesen Trend in den Schulen?
Auch hochgebildete Personen radikalisieren sich, Bildung allein scheint daher nicht eine umfassende Antwort zu sein. Ich bin aber davon überzeugt, dass Aufklärung und Präventionsarbeit – sei es im gesamtgesellschaftlichen oder im Staatsschutzkontext – den Trend positiv beeinflussen können. Ohne Repression wird es allerdings nicht gehen. Dafür sind die Staatsschutz- und Strafverfolgungsbehörden zuständig.
Auch der Rechtsextremismus nimmt zu. Wieso ist das so?
Ich denke, dass die Migrationswelle von 2015 noch immer eine hohe Relevanz hat. Beide Extremismusformen begünstigen sich durch die Verwendung von Narrativen wechselseitig. Die oft von Rechtsextremisten geschürte Angst vor ungezügelter Zuwanderung und die dadurch ausgelöste gesellschaftliche Unsicherheit in Teilen der Bevölkerung haben in den letzten Jahren der rechtsextremen und mitunter auch gewaltbereiten Szene Zulauf gebracht. Gleichzeitig sind erlebte Diskriminierungen und Schwierigkeiten bei der Integration ein Nährboden für islamistische Radikalisierung.
Gibt es eine Verbindung zwischen Rechten und Islamisten?
Wenn man so will, sind Rechtsextremismus und islamistischer Extremismus kommunizierende Gefäße, die sich mitunter gegenseitig unterstützen. Vielfach verherrlichen Islamisten nicht nur terroristische Straftaten, sondern auch den Nationalsozialismus. Und umgekehrt gibt es Fälle, bei denen Personen, die sich zunächst im rechtsextremen Bereich bewegt haben, zum Islam konvertieren und sich in weiterer Folge islamistisch radikalisieren. Ermittlungen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schließen Ermittlungen nach dem Verbotsgesetz nicht aus, ebenso nicht umgekehrt. Rechtsextremisten und Islamisten sind sich aber auch in ihren Methoden ziemlich ähnlich.
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