Sozialhilfe in NÖ: Gesetzesreparatur gefordert
Als Herr G. nach Jahren des Wartens im Juli 2020 endlich seine Aufenthaltsberechtigung bekam, änderte sich alles. Der schwerkranke 89-Jährige war ab Herbst nicht mehr versichert. Denn nachdem er aus der Grundversorgung entlassen worden war, hatte er keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Diese steht seit der Gesetzesänderung am 1.1.2020 in Niederösterreich Menschen mit humanitärem Bleiberecht nicht mehr zu (der KURIER berichtete mehrfach). Herr G. lebte in einem Pflegeheim, plötzlich war sein Platz dort nicht mehr sicher. Nur dank Spendern, die für Medikamente aufkamen, und der Initiative des Trägers und des Arztes konnte er weiter versorgt werden.
Der Mann aus dem Kosovo ist mittlerweile verstorben, doch seine Geschichte steht exemplarisch für immer mehr Menschen, die plötzlich vor dem Nichts stehen. Immer mehr Organisationen fordern nun dringend die Reparatur des Gesetzes.
Brisanz der Lage bekannt
„Wir versuchen, auf mehreren Ebenen zu helfen und das menschliche Leid zu hindern“, sagt Igor Gordyi von der Caritas Wien. „Es gibt Dialysepatienten, die plötzlich ohne Krankenversicherung waren.“ Familien mit Babys, die aus der Grundversorgung entlassen wurden und ohne private Unterstützer auf der Straße gestanden wären. Das Perfide: Die Regelung trifft Menschen, die seit Jahren hier leben, ein schützenswertes Privatleben ausgebaut haben – nur die bekommen die Aufenthaltsberechtigung. Und darunter sind viele, die eben nicht arbeiten können: Alte, Kranke, Familien mit Kindern.
Zuletzt hatte schon die Diakonie das Land zum Handeln aufgefordert. Dort – im Büro des zuständigen Landesrates Gottfried Waldhäusl (FPÖ) sowie beim Landesverfassungsdienst – ist man sich der Brisanz der Lage zwar bewusst, sieht aber den Bund am Zug, der die Rahmenbedingungen der Auslegung der Landes-Sozialhilfegesetze vorgibt. Allerdings: Andere Bundesländer, wie OÖ, die ihre Sozialhilfegesetze schon angepasst haben, schließen diese Personengruppe nicht aus.
Notfallklausel gestrichen
Verschärft wird die Situation dadurch, dass das neue Gesetz in NÖ auch die sogenannte „Notfallklausel“ gestrichen hat. Damit konnten Behörden im Einzelfall auch ohne Rechtsanspruch auf eine Sozialleistung unbürokratisch helfen. Das trifft übrigens nicht nur Migranten, sondern auch Österreicher. Und die Corona-Krise verschärfe die Situation. „Wenn die Regierung ihr selbstgesetztes Ziel, Armut in Österreich zu halbieren, tatsächlich erreichen möchte, dann geht das nicht ohne eine grundlegende Überarbeitung des Sozialhilfegrundsatzgesetzes, sodass sie wieder eine würdige Existenz sichert“, fordert etwa Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner.
Die Sozialhilfe Neu, die für eine alleinstehende Person maximal 949,46 Euro beträgt, brachte Verschärfungen. So werden laut Caritas kaum mehr Zusatzleistungen wie Energierückstände übernommen. „Ein Drittel bis 50 Prozent der Anfragen drehen sich um das Thema“, so Experte Martin Litschauer. Aktuell setzt sich die Sozialhilfe aus 60 Prozent für den Lebensbedarf und 40 Prozent Wohnkosten zusammen.
Drei Monate Wartezeit
Vielfach wird bei den Wohnkosten eben etwa wegen hoher Energiekosten auf Geld, das eigentlich für den Lebensbedarf gedacht ist, zurückgegriffen. Litschauer: „Das Problem ist, dass die Richtsätze zu gering sind.“ Die Mietzuschüsse müssten endlich den tatsächlichen Wohnkosten angepasst werden, so der Experte.
Seit einem Jahr werden zudem Wohnkosten – je nach BH – als Sachleistungen abgerechnet. Das heißt, der Vermieter bekommt das Geld für die Miete direkt überwiesen. Den Restbetrag – je nach Monatslänge unterschiedlich – müssen die Bezieher Monat für Monat zahlen – und die dürfen nie vergessen, sonst droht rasch die Kündigung.
Aktuell würden Menschen in die Armutsspirale geraten, bei denen es vor Kurzem noch undenkbar schien. Die Caritas fordert zudem, dass die Sozialhilfe rascher ausbezahlt wird. Drei Monate Wartezeit seien zu lange.
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