Sozialexperiment: Wenn obdachlose Menschen Geld haben

Sozialexperiment: Wenn obdachlose Menschen Geld haben
Durch die Geldsumme gelang es den Testpersonen schneller als andere in eine Wohnung zu ziehen. Und sie sparten dem Sozialsystem dadurch sogar Geld.

Was passiert, wenn arme Menschen plötzlich Geld hätten? Kurz gesagt: Sie finden den Weg zurück ins normale Leben um einiges leichter und schneller.  Das zeigte zumindest das „New Leaf Project“ in Kanada. 50 obdachlose Menschen bekamen jeweils 7.500 Dollar (etwa 6.200 Euro) einmalig ausbezahlt.  Wie positiv sich ihre Lebenssituation daraufhin  entwickelte, wurde durch den Vergleich mit einer Kontrollgruppe – obdachlose Menschen, die kein Geld bekamen – deutlich. 

Die Menschen, die Geld erhielten, konnten schneller in eine eigene Wohnung ziehen als andere. Im ersten Monat des Experiments fiel der Anteil der Tage, die sie in Obdachlosigkeit verbrachten, von 77 Prozent auf 49 Prozent. Im selben Zeitraum stieg jener Anteil in der Gruppe ohne Geld. Über ein Jahr hinweg betrachtet verbrachten die 50 Menschen aus der „Cash-Gruppe“ insgesamt 4.396 weniger Tage und Nächte in Obdachlosigkeit.   

Geld für Essen, Miete und Mobilität

Man beobachtete außerdem, dass die „Cash-Gruppe“ das Geld mit einer „hohen Priorität“ für Miete, Essen und Mobilität ausgab. Durchschnittlich verwendeten die Leute 52 Prozent des Geldes für Essen und Miete, 16 Prozent für Kleidung und Mobilität und 15 Prozent für Medikamente oder andere Rechnungen. 

Und um mit Stigmata zu brechen, gibt es im Papier auch den Hinweis: Die Ausgaben für Alkohol, Zigaretten und Co verringerten die Menschen aus der „Cash-Gruppe“ um 39 Prozent. 

Die Menschen gaben das Geld auch nicht auf einmal aus, sondern nutzten es über einen längeren Zeitraum hinweg. Etwa 1.000 der ursprünglichen 7.500 Dollar waren im Durchschnitt auch nach einem Jahr noch auf die Seite gelegt.  „Das Geld gab mir die Mittel, um aus der Obdachlosenunterkunft herauszukommen und an den notwendigen Sozialprogrammen und dem Computerunterricht teilzunehmen. Es war ein wichtiges Sprungbrett und schenkte mir eine Chance“, sagt Ray, ein Teilnehmer des Projekts.  

Geld im Sozialsystem gespart

Die Forscher konnten außerdem zeigen: Die Auszahlung von 7.500 Dollar pro Teilnehmer stellte kein Verlustgeschäft dar – im Gegenteil. Weil die Menschen weniger Nächte in Notunterkünften verbringen mussten, sparten sie dem dortigen Sozialsystem 8.100 Dollar pro Person bzw. 405.000 Dollar insgesamt über ein Jahr hinweg. Im Vergleich wurden durch die einmalige Auszahlung von 7.500 Dollar also etwa 600 Dollar pro Person im Sozialsystem eingespart (im Beobachtungszeitraum über ein Jahr hinweg).

„Das ‚New Leaf-Projekt‘ zeigt, dass eine direkte Barauszahlung eine mutige und innovative Lösung für Menschen ist, die vor Kurzem obdachlos geworden sind, und liefert solide Beweise dafür, dass ein Pauschalbetrag eine transformative Veränderung bewirken kann“, heißt es abschließend in der Aussendung von Foundations for Social Change (FSC), der Organisation, die  hinter dem Projekt steht. 

Wertschätzung

Kurt Gutlederer, Leiter der Wiener Wohnungslosenhilfe, kann der Idee aus dem Experiment Gutes abgewinnen: „Ich glaube ausschlaggebend ist, dass man den Menschen in diesem Projekt auch eine große Wertschätzung vermittelt. Mit dieser Idee haben wir keine Erfahrung, aber ich kann mir grundsätzlich vorstellen, dass das gut funktioniert.“ In der Wiener Wohnungslosenhilfe steht derzeit aber der „Housing first“-Ansatz im Mittelpunkt. Betroffene bekommen dabei ohne Vorleistung ihren eigenen Wohnraum. „Da gab es anfangs viele Bedenken: Schaffen die Leute das denn, alleine zu wohnen? Aber die Erfahrung zeigt, ja, das geht, sie können das“, so Gutlederer.

Auch Erich Steurer von der Caritas stimmt zu – er ist unter anderem verantwortlich für die Gruft und andere Nothilfestellen der Caritas: Geld ist die Voraussetzung für den Weg aus der Obdachlosigkeit. „Unsere oberste Priorität ist Hilfe  zur Selbsthilfe. Die Menschen sollen wieder selbstständig wohnen können. Dafür ist vor allem ein gesichertes Einkommen wichtig – also Geld auf lange Sicht.“ 

Über die Studie

FSC ist eine in Vancouver (Kanada) ansässige Wohltätigkeitsorganisation. Die Studie wurde in Kooperation mit der University of British Columbia durchgeführt. Insgesamt wurden für die Studie 112 Personen willkürlich ausgesucht. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei 42 Jahren (mit einer Spannweite von 19 bis zu 64 Jahren). 60 Prozent waren Männer, 40 Prozent Frauen, ein Drittel der Testpersonen hatte Kinder. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren im Schnitt seit sechs Monaten obdachlos bevor der Versuch startete. Eine von vier Personen stand in einem Berufsverhältnis. Ein Kriterium war auch ein geringes Risiko für psychische Probleme oder Substanzmissbrauch. 

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