"Wir rufen um Hilfe": OP-Schwester aus NÖ rechnet mit Spitalssystem ab
Julia Rechtlehner hat keine Hoffnung mehr. Zu oft habe sie um Hilfe gerufen, zu oft sei nichts passiert, erzählt sie. Jetzt wirft die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, die zuletzt im Universitätsklinikum St. Pölten tätig war, hin.
„Für meinen Job, den ich anfangs so geliebt habe, musste ich immer mehr von meinem Leben aufgeben. Es geht einfach nicht mehr“, sagt sie.
Rechtlehner hat viel zu erzählen. Von 60-Stunden-Wochen mit fünf 12-Stunden-Diensten, immer mit einer FFP2-Maske über dem Gesicht. Von so viel Arbeit, dass oft nur kurze Pausen möglich sind, von berufsbedingten Auswirkungen auf das eigene Wohlbefinden.
„Gerade im Gesundheitsbereich ist es wichtig, dass das Personal auch zu seinen Pausen kommt, damit wir voll konzentriert sein können. Ist es normal, dass natürliche menschliche Bedürfnisse wie Essen, Trinken oder ein Toilettengang zeitlich sehr gut eingeteilt werden müssen, damit sie nicht mit den zu erbringenden Arbeitsleistungen kollidieren?“, fragt sich die 37-jährige OP-Schwester.
Alarmierende Situation
Tatsächlich ist die Situation im Pflegebereich eine äußerst schwierige und vor allem seit Jahren alarmierende. Eine Sonderauswertung des Österreichischen Arbeitsklima-Index zeigte 2021 auf, dass mehr als die Hälfte der Pflegekräfte unter Schlafstörungen leidet, sechs von zehn sind erschöpft und ausgelaugt.
Viele Pflegekräfte verspüren zudem eine Resignation im Beruf, noch etwas mehr berichten über Fälle von Burnout im eigenen Betrieb.
Dass die Regierung einen Gehaltsbonus für Pflegekräfte in der Höhe von 2.000 Euro (in Niederösterreich wurde dieser um 500 Euro aufgestockt, Anm.) ausbezahlte, war für Rechtlehner zudem nur ein schwacher Trost. „Kollegen, die aufgrund von Erschöpfungszuständen die Wochenarbeitszeit verringern mussten, bekamen diese Form der Sonderzahlung nur anteilsmäßig. Wir sind alle müde vom Kampf um jeden Euro“, erzählt sie.
Hotline
In der Landesgesundheitsagentur (LGA) weiß man um die massive Belastung im Pflegebereich. „Gerade die letzten Jahre waren aufgrund der Covid-Pandemie nochmals eine zusätzliche Belastung“, sagt eine Sprecherin.
Um die Anforderungen abzufedern, habe man aber auch reagiert, wird betont. „Mentoring, Coaching und Supervision sollen dabei helfen, schwierige Entscheidungen zu treffen und mit den herausfordernden Situationen im Berufsalltag umzugehen“, heißt es seitens der LGA. Zudem sei eine Hotline etabliert worden, wo alle Mitarbeiter „schnelle und anonyme Hilfe“ von Psychologen erhalten würden.
Mit Julia Rechtlehner würde man zudem gerne das persönliche Gespräch suchen. Dafür dürfte es nun wohl aber schon zu spät sein.
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"Liegen im Plan"
„Wir liegen im Plan“, heißt es seitens der Landesgesundheitsagentur zur aktuellen Personalsituation in den nö. Spitälern. Im heurigen Jahr seien bereits mehr als 650 Neueintritte zu verzeichnen, 2022 waren es 1.900. Frei seien derzeit landesweit 200 Stellen.
Dies bedeute „aktuell einen Höchststand bei ärztlichen und pflegerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“, so LGA-Vorstand Konrad Kogler. Er ergänzt jedoch: „Die Personalsuche ist aber, wie in vielen anderen Branchen, herausfordernd.“ Dies sei einerseits auf den großen Leistungsumfang der Spitäler zurückzuführen, andererseits auf die hohe Teilzeitquote von über 50 Prozent. „Dieser Trend zur Teilzeit löst weiteren Personalbedarf aus.“
Zudem hole man planbare Operationen, die während der Corona-Pandemie nicht stattfinden konnten, nun nach, betont Kogler. „Ebenso von wesentlicher Bedeutung sind standortspezifische Unterschiede im Personalbedarf.“
22.500 Mitarbeiter
Insgesamt seien in den Kliniken des Landes NÖ 22.500 Mitarbeiter beschäftigt. „Ihnen gebührt unser Dank für ihren enormen Einsatz. Durch diesen ist es möglich, dass in den Kliniken sowohl Notfallversorgung als auch der Betrieb gesichert sind“, sagt Kogler.
Intensivmediziner: "Im grünen Bereich"
Die extrem fordernde Belastung in der Zeit der Corona-Pandemie habe zur Folge gehabt, dass es speziell in der Intensivpflege zu einer „Verknappung der Personalressourcen“ gekommen ist, berichtet der Primar der Anästhesie, Notfall- und Intensivmedizin am Landesklinikum Wiener Neustadt, Helmut Trimmel. Die Nachfrage habe in diesem Bereich deutlich abgenommen.
Den wesentlichsten Unterschied zu früher sieht Trimmel im strengen Regulativ des Arbeitszeitgesetzes. „Bis zu 80 Wochenstunden waren früher im Krankenhaus durchaus üblich. Heute wird eine Überschreitung der Arbeitszeit nicht toleriert, daher braucht es mehr Köpfe“, sagt Trimmel. Insgesamt sei die Personalsituation auf seiner Abteilung aber „im grünen Bereich“.
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