Die Geburt der niederösterreichischen Landeshauptstadt
Es war bereits eine lebhafte Diskussion im Gange, als sich Wilhelm Steingötter im Jahr 1951 bei einer Landtagssitzung zu Wort meldete. Steingötter bezeichnete die Trennung von Wien und Niederösterreich zwar als einen „historischen Fehler“, machte aber dennoch Werbung in eigener Sache.
Weil diese Entscheidung sowieso nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, so Steingötter, schlug er die Gründung einer eigenen Hauptstadt vor. St. Pölten würde sich doch gut eignen, meinte der damalige SPÖ-Bürgermeister von St. Pölten, um dafür umgehend Kritik einstecken zu müssen. Widerspruch kam unter anderem von Johann Zach, ÖVP-Abgeordneter aus Wiener Neustadt.
Schwere Geburt
Beschrieben wird diese Episode in dem Buch „Unsere Landeshauptstadt“. Sie verdeutlicht, dass bereits früh klar war, dass die Geburt der nö. Landeshauptstadt eine schwere werden würde.
Mehr als 30 Jahre und viele hitzige Debatten, Machbarkeitsstudien und Nachdenkpausen später, setzte dann Landeshauptmann Siegfried Ludwig (ÖVP) zum Überraschungscoup an. Bei einer Pressekonferenz am 15. Februar 1984 in Wien, bei der es eigentlich um den Autobahnausbau gehen sollte, gab Ludwig bekannt, dass man das Thema Landeshauptstadt nun ernsthaft und mit klaren Vorgaben diskutieren werde. Die Resonanz war enorm. Die Bürgermeister von Krems und Baden wurden plötzlich hellhörig, St. Pölten bot dem Land sogar unverzüglich mehrere Grundstücke an.
Die Wahl
Während neun Gemeinden ihr Interesse bekundeten, startete Ludwig eine Kampagne, die in die Geschichtsbücher eingehen sollte. „Ein Land ohne Hauptstadt ist wie ein Gulasch ohne Saft“ lautete der Slogan, der in der Bevölkerung auf großes Echo stieß.
Denn als das Volk am 1. und 2. März 1986 befragt wurde, wo nun denn das Zentrum Niederösterreichs sein solle, fiel die Wahlbeteiligung mit 61,36 Prozent der Stimmberechtigten recht hoch aus. 44,63 Prozent votierten für St. Pölten, 29,28 für Krems, auf Tulln entfielen 5,27 und auf Wiener Neustadt 4,11 Prozent.
101 Tage danach war man sich auch politisch einig. Bis tief in die Nacht wurde die „Jahrhundertentscheidung“ in St. Pölten gefeiert, während hinter den Kulissen bereits an der Erstellung eines Projektteams gearbeitet wurde. Die Masterminds hinter dem Mega-Vorhaben waren Architekt Ernst Hoffmann und Planer Norbert Steiner (NÖPLAN), der viele Jahre später noch den Skylink am Flughafen Wien vor einem Total-Desaster retten musste.
Vom Papier zum Arbeitsplatz für 3.000 Menschen
Bis Landeshauptmann Ludwig am 13. September 1992 unter dem Jubel von 20.000 Besuchern auf dem Gelände des ehemaligen Rennbahnstadions zum Spatenstich ansetzte, hatte das Team um Hoffmann und Steiner auf rund 5.000 Laufmetern Papier ihre Vorstellungen vom Regierungsviertel aufgezeichnet.
Der Rest ist Geschichte.
Heute arbeiten mehr als 3.000 Menschen in dem riesigen Komplex an der Traisen, hier werden die wichtigsten politischen Entscheidungen im Bundesland getroffen.
Turbo
Die Ernennung St. Pöltens zur Landeshauptstadt war zudem ein Turbo für die Region. Lebten 1991 hier noch knapp 50.000 Menschen, so sind es heute fast 57.000. Rechnet man die Zweitwohnsitzer mit, wurde die 60.000er-Marke bereits geknackt. Und alleine von 1991 bis 2001 wurde bei den Beschäftigten ein Plus von 31,1 Prozent verzeichnet.
Das Regierungsviertel selbst hat sich hingegen nicht ganz nach Wunsch entwickelt. Groß waren einst die Hoffnungen auf ein belebtes Areal, doch nach Dienstschluss ist der Platz zwischen Landhausschiff und dem Tor zum Landhaus rasch verwaist. Die Idee, direkt auf der Traisen ein schwimmendes Restaurant zu eröffnen, ging im Streit der Parteien unter.
Es mag auch eine vertane Chance gewesen sein, die Fachhochschule nicht im Regierungsviertel zu integrieren. Die Stadt entschied sich für den Norden der Stadt, wo die Studenten nun unter sich bleiben. Versuche, den Polit-Sitz des Landes besser an die Innenstadt anzubinden, scheiterten bislang. Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ) will sich bis 2024 neue Wege in die City überlegen. Dann wird St. Pölten Landeskulturhauptstadt sein. Ein Titel, den sich Stadt und Land aber bereits selbst verliehen haben.
Alle Nachrichten aus St. Pölten jeden Montag im Postfach mit dem KURIER St. Pölten-Newsletter:
Kommentare