Als Kind missbraucht: Wenn die Erinnerung zurückkommt

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Melanie (Name von der Redaktion geändert) ist sieben Jahre alt, als sie bei einem befreundeten Ehepaar ihres Stiefvaters in St . Pölten übernachtet. Sie schläft mit ihnen im selben Bett, als der Mann ihr in die Unterhose fasst.
Mehr als 20 Jahre sind seit dem Vorfall nun vergangen. Doch erst als die heute 27-Jährige selbst Mutter wird, kehren die Erinnerungen an den sexuellen Missbrauch zurück.
Verdrängen als Schutz für die Psyche
Kein seltenes Phänomen wie Psychologin Hedwig Wölfl weiß: „Menschen neigen dazu unangenehme Erlebnisse zu verdrängen“, erklärt die Geschäftsführerin der Kinderschutzzentren „Die Möwe“.
„Das ist sozusagen ein Notmechanismus der Psyche, um unerträgliche Situation aushalten zu können.“ Erst durch sogenannte Flashbacks kann das Geschehene wieder erinnerlich werden.
"Jedes Kind setzt Signale"
Doch auch wenn die Opfer die Situation verdrängen, gibt es Anzeichen so Wölfl. „Jedes Kind, dem so etwas widerfährt, setzt Signale.“
Plötzliche Verhaltensänderungen, sozialer Rückzug, neue Ängste, aggressives, aber auch sexualisiertes Verhalten oder sexuelle Bemerkungen des Kindes können Anzeichen sein“, so die Psychologin.
Auch Melanie zeigte nach dem Vorfall Auffälligkeiten in der Schule und wurde immer verschlossener.
Offen als Vertrauensperson
Erst viele Jahre später öffnete sie sich gegenüber ihrer Familie. „Oft kommt es vor, dass die Familie solche Vorfälle nicht wahrhaben will. Es kommt zu einer Schuldumkehr auf das Opfer, was dieses verunsichert“, so Wölfl.
Dabei sei es, vor allem auch im Gespräch mit Kindern, immer wichtig offenzubleiben und als Vertrauensperson, die nicht urteilt zur Verfügung zu stehen.
Rechtlicher Klarstellung
Melanie zeigte die Tat Ende des Vorjahres auch bei der Polizei an. „Eine rechtliche Klarstellung kann helfen, dass Erlebte aufzuarbeiten“, bestätigt auch die Expertin. Werden Vorfälle aber erst nach Jahren aufgerollt, kann es zu Problemen kommen, denn: auch Missbrauch verjährt.
Um Opfer (sexualisierter) Gewalt auf dem rechtlichen Weg optimal unterstützen zu können, gibt es in Österreich das Konzept der Prozessbegleitung. Während „Die Möwe“ dieses Angebot für Minderjährige übernimmt, werden Erwachsene an Gewaltschutzzentren verwiesen.
Individuelle Begleitung
Grundsätzlich beginnt die psychologische Prozessbegleitung mit einem Erstgespräch und einer eventuellen Anzeigenerstattung. „Es muss immer abgewogen werden, ob der Klient oder die Klientin auch wirklich bereit ist, diesen Weg zu gehen“, erklärt Michaela Egger, Geschäftsführerin der Gewaltschutzzentrum NÖ.
„Wenn ja, stehen unsere Juristinnen und Sozialarbeiterinnen den Opfern während der Ermittlungen, aber auch im Strafverfahren selbst zur Seite.“
Schuldig
Melanies Fall wurde vor Kurzem vor dem Landesgericht St. Pölten verhandelt. Der 57-jährige Angeklagte bestritt die Tat und gab an, dass Melanie niemals bei ihm übernachtet hätte. Auch seine Frau bekräftigte dies. Doch für das Gericht war Melanies Einvernahme aussagekräftiger. Der Mann wurde nicht rechtskräftig verurteilt.
Hilfe für Gewalt-Betroffene gibt es hier: Frauenhelpline 0800/222 555 oder Männernotruf 0800 / 246 247.

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