Kurioses Industrieviertel: Vom Mini-Museum aufs Luxus-WC

In Mönichkirchen stellt Ernst Faller (73) Rekonstruktionen mehr oder minder berühmter Bauwerke aus.
Buchtipp: Alexandra Gruber und Wolfgang Muhr erkundeten kaum bekannte Attraktionen des Industrieviertels.

„EU-freie Zone. Hier gilt der gesunde Hausverstand.“ Der Hinweis am Eingang zur Steinwandklamm zeugt von der EU-Skepsis des bekennenden Querulanten Franz Singer. Und die Preispolitik verdeutlicht, was der 79-jährige Betreuer der beliebten Wanderstrecke südwestlich von Wien von Politikern hält: die zahlen nämlich den 20-fachen Eintritt, also 98 Euro.

Singer ist ein Original – das es mit dem größten Spiegelei der Welt (8 , zubereitet aus 2.500 Eiern) ins Guinness-Buch der Rekorde schaffte. Liebevoll kümmert er sich um die steile Klamm, inspiziert drei Mal pro Woche Stege und Brücken, die über tosende Wasserfälle führen.

Nur ein Mal pro Jahr – am 1. April – führt er die Besucher bewusst aufs Glatteis. So vermeldete der 79-Jährige via Homepage den Einbau einer Rolltreppe in der Steinwandklamm, die Installierung einer „Selfie-Elevator-Anlage“ (eines Handy-Aufzugs, der Besteigern der Felswand Selbstporträts erleichtert) oder den Fund eines 983 Meter langen Stollens zwischen der Klamm und den nahe gelegenen Myrafällen.

Kurioses Industrieviertel: Vom Mini-Museum aufs Luxus-WC

Steinwandklamm-Chef Franz Singer ist für seine April-Scherze bekannt.

Singer ist eines von 50 Kapiteln im Buch „Vom Wienerwald zur Buckligen Welt“ von Alexandra Gruber und Wolfgang Muhr gewidmet. Für die informative wie amüsante Lektüre über das nö. Industrieviertel legten die Autoren rund 5.000 Kilometer zwischen Wiener Becken und Wiener Alpen zurück; besuchten spannende Orte und außergewöhnliche Zeitgenossen.

Geschenke für Ghega

So wie Georg Zwickl, seines Zeichens Gründer des Ghega-Museums. Beim Kalte-Rinne-Viadukt (das auf der Rückseite des 20-Schilling-Scheins zu sehen war) renovierte der ehemalige Busfahrer ein ausrangiertes Bahnwärterhäuschen an der Semmeringbahn, um die Erinnerung an deren Erbauer, Carl Ritter von Ghega, am Leben zu halten.

Am 10. Jänner wird hier traditionell der Geburtstag des bedeutenden Ingenieurs gefeiert und „Lang lebe Ghega“ gerufen. Zwickls Lebensgefährtin Helene (die laut Gruber und Muhr die besten Palatschinken der Welt zubereitet und diese im angeschlossenen Café kredenzt) bäckt eine Torte, und der Jubilar bekommt Geschenke. Voriges Jahr etwa eine Biedermeier-Uhr, die seither im Museum zu besichtigen ist.

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Der ewige Wächter der Kalten Rinne: Georg Zwickl richtete an der Semmeringbahn ein Ghega-Museum ein.

Viel zu erzählen gibt es auch über den 73-jährigen Ernst Faller, der Anfang 30 infolge einer schweren Krankheit, die Muskelschwund verursacht, in Frühpension ging. Um das prognostizierte Leben im Rollstuhl hinauszuzögern, empfahl ihm ein Arzt damals ein Hobby, bei dem er in Bewegung bleibe. Also begann der gebürtige Steirer, aus Bauplatten und Polyester Modelle von Bauernhäusern und bekannten Sehenswürdigkeiten zu bauen.

Zu bestaunen sind die bis zu vier Meter hohen, detailgenauen Nachbauten von Belvedere, Gloriette, Karlskirche, Grazer Uhrturm oder Bad Ischler Kaiservilla beim Café Kernstockhaus in Mönichkirchen am Wechsel. Faller sitzt an der Kassa der Miniaturwelt – aber nicht im Rollstuhl. Er kann noch immer gehen.

Ein Haus in zwei Ländern

Für ihr Buch ließen Gruber und Muhr kein Örtchen des Industrieviertels aus, nicht einmal die stillsten. Unter anderem besuchten sie das 1976 geschlossene Südbahnhotel in Semmering. Hier gab es auf der Herrentoilette zwischen Marmor-Pissoirs einst ein ein Meter hohes Becken, das im Volksmund „Papst“ genannt wurde, weil man zur Nutzung davor kniete: ein luxuriöses Kotzbecken also.

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Im 1882 eröffneten Südbahnhotel gab es ein luxuriöses Kotzbecken, das Papst genannt wurde.

Ihr Streifzug führte die Autoren auch nach Tauchen am Wechsel. Dass ein Teil des 230-Seelen-Ortes in Niederösterreich und der andere in der Steiermark liegt, sorgt für etliche Kuriositäten – wie etwa ein von der Landesgrenze geteiltes Einfamilienhaus, in dem die ehemaligen Bewohner in NÖ kochten und in der Steiermark schliefen. Die Küche war deshalb in den Landesfarben Gelb und Blau gestrichen und das Schlafzimmer grün-weiß. Gruber und Muhr erörtern zudem, warum das Dorf irrtümlich eine burgenländische Postleitzahl besitzt.

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Das Buch ist im Styria Verlag erschienen und kostet 23 Euro.

Weiters stoppten die Autoren für ihr Buch an einer Haltestelle in Breitenstein, die nur ein Mal im Jahr ein Bus anfährt. Sie besuchten in Stift Heiligenkreuz die Boygroup Gottes, statteten der Wallfahrtskirche Hafnerberg, in der die Madonna nur an sonnigen Christtagen auf wundersame Weise erstrahlt, einen Besuch ab. Und erklären außerdem, warum Ludwig van Beethoven in Wiener Neustadt als Landstreicher verhaftet wurde.

Ebendort wird das Buch am 10. Oktober um 18 Uhr in der Buchhandlung Thiel präsentiert.

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