In Wiener Neustadt stand nun erstmals ein Mitglied einer solchen kriminellen Organisation vor Gericht: der 40-jährige türkische Staatsbürger war angeklagt, für die Abholung der deponierten Wertgegenstände an mehreren Orten im Bezirk Mödling gesorgt zu haben. Golddukaten, Bargeld, Taschenuhren und 30 Philharmoniker-Goldmünzen wurden erbeutet. Das bestritt der Mann jedoch. Er sei von Unbekannten aus der Türkei telefonisch kontaktiert worden, erzählte er. Man habe ihm zunächst einen lukrativen Verdienst dafür in Aussicht gestellt, telefonisch durchgegebene Adressen genau zu beobachten und über seine Wahrnehmungen zu berichten.
"Familie bedroht"
In weiterer Folge hätten die unbekannten Hintermänner dann jedoch ihn und seine Familie bedroht, schilderte der Angeklagte. Daher habe er weiterhin Beobachtungen gemeldet, Wertsachen habe er jedoch nie von einer der Adressen abgeholt, beteuerte er. "Und was soll dann Ihr Wert für die Organisation gewesen sein?", wollte der vorsitzende Richter wissen. "Sie haben mich ausgenützt", lautete die wenig aufschlussreiche Antwort. "Wieviel wurde Ihnen schlussendlich bezahlt?", hakte der Richter nach. Knappe Antwort: "Gar nichts. Ich schwöre."
Dem Schöffensenat schien das wenig plausibel. Er verurteilte den 40-Jährigen zu drei Jahren Haft - nicht rechtskräftig. Unter anderem, weil er sich laut Auswertung seiner Mobilfunkdaten zu mehreren Tatzeitpunkten in unmittelbarer Nähe zu den Tatorten aufgehalten hatte und dort schließlich auch festgenommen wurde. Nicht nachgewiesen werden konnte ihm jedoch die ursprünglich angeklagte Schadenssumme von mehr als 300.000 Euro. Diese wurde nach unten korrigiert.
Callcenter statt Polizei
Näheres zu den Machenschaften der Kriminellen berichtete im Prozess ein leitender Ermittler, der den international agierenden Banden schon seit Längerem auf der Spur ist. Die vermeintlichen Anrufe von Polizeibeamten kämen in Wahrheit aus türkischen Callcentern, in denen dutzende "Keiler" nichts anderes tun, als potenzielle Opfer aus Telefonbüchern auszuwählen. "Man sucht nach älteren Vornamen - am besten in Kombination mit einer Festnetztelefonnummer, weil das auf betagte Menschen hinweist", schilderte er. Die Opfer würden dann zunächst in Angst versetzt, woraufhin ein anderer Keiler empathisch auftrete, um die Angerufenen dazu zu bringen, ihre Wertsachen auszuhändigen.
Seien mehrere Telefonnummern vorhanden, würden die Betroffenen auf allen Leitungen angerufen, um zu verhindern, dass diese parallel Kontakt zur Polizei aufnehmen können. Weigere sich ein Opfer oder schöpfe es Verdacht, würde es massiv unter Druck gesetzt, erzählte der Ermittler. "Eine Dame, der das passiert ist, ist noch immer völlig verängstigt und traut sich kaum noch auf die Straße."
Eigentlich hätten am Dienstag zwei Angeklagte am Landesgericht Wiener Neustadt vor dem Kadi stehen sollen, doch der verdächtigte Mittäter des 40-jährigen Türken, ein russischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Österreich, war nicht zum Prozess erschienen. Wo er sich aufhält, ist unklar. Nach ihm wird nun gefahndet.
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