Aggression unter der Oberfläche

Streetworker der von SeeYou in Lerchenfeld
Ein Filmprojekt über den Todesschuss rückte Lerchenfeld wieder in den Blickpunkt. Ein Lokalaugenschein.

Vier Jahre sind seit dem tragischen Tod eines 14-Jährigen im Kremser Stadtteil Lerchenfeld in Niederösterreich vergangen. Er wurde während eines Einbruchs in einen Supermarkt von einem Polizisten erschossen. Die Ankündigung des Regisseurs Stephan Richter, die Ereignisse zu verfilmen, holt verdrängte, für viele Menschen auch sehr schmerzhafte Erinnerungen zurück.

Aggression unter der Oberfläche
Lerchenfeld

Spätestens seit damals können Mario, 18, und Jürgen, 17 (Namen von der Redaktion geändert) Polizisten nicht leiden. Die beiden haben sich beim bunt bemalten Container eingefunden, den eine soziale Organisation gespendet hat, damit Streetworker wenigstens einen Treffpunkt anbieten können.

Hass

Mario macht sich Luft: „Die glauben, sie sind etwas Besseres mit ihren Uniformen und der Waffe. Immer wieder schicken sie uns ohne Grund weg, wenn wir irgendwo stehen. Voriges Jahr habe ich vor einem Supermarkt gewartete, da hat mich einfach einer von dem Platz weggeschickt. Du kannst ja nix machen. Wenn du sagst, schleich dich, hast eine Beamtenbeleidigung am Hals. Ich hasse sie.“ Auch Jürgen wurde schon mehrmals von einem Platz verwiesen. Grundlos, er hätte weder gelärmt noch etwas angestellt, sagt er.

Aggression unter der Oberfläche

„So etwas könnte an Einzelpersönlichkeiten liegen“, vermutet Bezirkspolizeikommandant Manfred Matousovsky. Von nennenswerten Problemen mit Jugendlichen in Lerchenfeld ist ihm nichts bekannt.

Jürgen ist damals bei der Demonstration mitgegangen, bei der rund 60 Jugendliche von Lerchenfeld ins Stadtzentrum zogen. Dabei machten sie ihrem Zorn darüber Luft , dass einer aus ihrem Freundeskreis getötet worden war. Was sich die Jugendlichen wünschen? „Jobs“, ist das erste, was Mario einfällt, denn er sucht schon einige Zeit nach passender Arbeit. Jürgen hat demnächst immerhin ein Vorstellungsgespräch, macht aber nicht viele Worte darum.

Alles ruhig

„Bei uns ist alles ruhig, es gibt kaum Schwierigkeiten mit jungen Leuten. Zumindest nicht mehr als anderswo. Das war damals ein Einzelfall, ein Ausreißer“, sagt eine Frau auf der Straße. Mehrere in der Nähe stehende Personen stimmen energisch zu. „Ich fühle mich in der Nacht in Lerchenfeld auf der Straße bedeutend sicherer als im Stadtpark im Zentrum oder im Beislbezirk“, betont Bewohnerin Angelika Jascha.

Aggression unter der Oberfläche
Lerchenfeld

Aber es gibt auch andere Stimmen in Lerchenfeld: „Die Mädchen und Burschen lungern im Park und auf dem Spielplatz genauso herum, wie vorher. Wenn die da sind, weiche ich aus, gehe mit dem Kind anderswo hin. Ich will nicht, dass mein kleiner Sohn die Jugendlichen saufen sieht. Leuten, die hier aufgewachsen sind, fällt das wahrscheinlich nicht auf“, meint ein junger Vater.

„Ich habe nicht das Gefühl, dass seit dem Vorfall mehr für Jugendliche getan wird“, meint Regisseur Stephan Richter nach Recherchen in Lerchenfeld. Er ortet einen Konflikt, der seither – auch anderswo – zwischen Jugend und Polizei besteht.

Hans Pollack, Obmann des Vereins, der im Auftrag der Stadt die Jugendarbeit erledigt, sagt: „Wir haben seither das gleiche Budget.“ Das muss auch Anna Wegl, für Jugendwohlfahrt zuständige Stadträtin, zugeben. „Ich bemühe mich, irgendwie das Geld für einen zusätzlichen Sozialarbeiter im Budget unterzubringen“, erklärt die Mandatarin. Allerdings sei Lerchenfeld aus ihrer Sicht kein Problem-Brennpunkt mehr. „Wie ich höre, ist es ziemlich ruhig. Es könnte aber sein, dass sich im Stadtteil Rehberg Probleme anbahnen, weil dort viel gebaut wurde und viele Familien hin gezogen sind. Dort wollen wir schon vorbeugend aktiv werden“, meint Wegl.

Volkshilfe Chef Ewald Sacher, selber ein Ur-Lerchenfelder, betont: „Das war damals ein Einzelfall. Lerchenfeld ist nicht die triste Vorstadt, wie es in dem Filmprojekt dargestellt werden soll, sondern lebenswerter als beispielsweise die Altstadt.“

Anders erlebt Sabine Fischer, eine der Leiterinnen des offenen Ateliers „Funkundküste“ die Situation. Das Team veranstaltet seit Jahren in Lerchenfeld Kunstworkshops mit sozialem Anspruch. Zuletzt Kinder mit fünf verschiedenen Muttersprachen. „Ich glaube, wir haben das einzige Angebot, wo Kinder sich wirklich frei ausdrücken können. Aber wir nähern uns der Grenze unserer Ressourcen, die Unterstützung reicht nicht aus.“

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