Experiment in Gymnasium: 21 Tage ohne Smartphone, geht das?

21 Tage ohne Smartphone
Weniger Stress, besserer Schlaf, mehr Familienleben und Seelenfrieden: Biologie-Lehrer Fabian Scheck und seine Schüler schalteten ihre Handys aus.

71 Schüler besuchten im vergangenen Schuljahr die 6. Klassen des Konrad-Lorenz-Gymnasiums in Gänserndorf. 70 entschieden sich, bei einem einzigartigen Projekt mitzumachen, das der ORF und der KURIER begleiteten.  Die Gymnasiasten haben 21 Tage ohne Smartphone er- und überlebt. Durchgehalten haben 47 Schüler – und ihr Biologielehrer Fabian Scheck, der das Projekt initiierte.

In den 6. Klassen geht es im Biologieunterricht um den Schwerpunkt Sucht, Abhängigkeit und Drogen. „Wir alle sind selbst auch abhängig“, dachte Scheck ans Smartphone. Durch Dokumentationen wurde der Bio-Lehrer zum „Handy-Entzug“ inspiriert. Er fand die Idee cool, war aber nicht sicher, ob seine Schüler mitmachen würden. Die waren naturgemäß skeptisch, als er ihnen seine Idee vorstellte. Doch es entwickelte sich eine Dynamik, die Schüler waren motiviert und Ende April war es dann so weit: Alle versammelten sich auf den Sitzstiegen in der Aula, gemeinsam schalteten sie ihre Smartphones aus. Mit dabei das Filmteam der ORF-Sendereihe Dok 1.

Keine Smartphones, aber Handys mit echten Tasten

„Alles hat auf Freiwilligkeit basiert“, betont Scheck. Die Jugendlichen sollten auch nur auf ihre Smartphones verzichten. Alte Tastenhandys waren für Notfälle erlaubt. Der örtliche Handyshop schenkte einigen Schülern sogar die SIM-Karten für diese alten Geräte, weil er das Experiment gut fand.

Fabian Scheck

Fabian Scheck ist Biologielehrer am Konrad-Lorenz-Gymnasium in Gänserndorf. Mit den 6. Klassen machte er im vergangenen Schuljahr ein Experiment: Alle schalteten das Smartphone für 21 Tage aus.

Warum genau 21 Tage? "In der ersten Woche löst man sich vom Gerät, eine Woche dauert es, um etwas Neues zu finden und in der dritten Woche ist der neue Alltag etabliert", schildert der Pädagoge.

Klar war, dass alles gut vorbereitet sein muss: Es gab Informationen an die Eltern, Zug- und Busfahrpläne wurden in der Schule ausgedruckt. Scheck selbst verzichtete auch auf sein Smartphone und stellte so fest, dass die großen Aufgaben zwar organisiert waren, aber Kleinigkeiten - wie Handyparken - nicht bedacht wurden. "Dann muss man eben Lösungen finden." Er selbst genoss die Zeit ohne sein Handy von Beginn an. "Ich steuer' jetzt selbst, wann ich welche Nachrichten konsumiere."

„Nach vier bis sieben Tagen hat sich der Entzug bei einigen Schülern mit körperlichen Symptomen gezeigt“, schildert Scheck. Kopfschmerzen und Nervosität stellten sich ein. "Wir haben das alles theoretisch besprochen. Jetzt stellen wir es an uns selbst fest, das ist Biologie live", ist er froh, dass die Schule den Schülern diese Erfahrung ermöglichte.

Spontaner Besuch bei Freunden, das gab's vorher nie

Wichtig war auch, dass die Gymnasiasten ehrlich sind und sagen, wenn sie das Experiment abgebrochen haben. Eine davon ist Lena, die die 6C besuchte. "Ich hab abgebrochen, weil ich nicht mehr nicht erreichbar sein wollte und wissen wollte, was los ist", erzählt die Schülerin im KURIER-Gespräch. "Ich find's cool, dass wir das machen. Am Anfang hab ich noch automatisch zum Handy gegriffen", berichtet Sophie von ihren Erfahrungen, als sie einige Tage ohne Smartphone war. "Ich geh jetzt einfach spontan zu Freunden und frage, ob sie Zeit haben, das habe ich früher nie gemacht", sagt sie.

"Für mich ist es nicht so schlimm. Ich war nie viel am Handy und bin gerne draußen", beschreibt Linda ihre Erfahrungen. Ihr fällt aber auf, dass es jenen Mitschülern schwer fällt, aufs Handy zu verzichten, die viel alleine zu Hause sind. "Ich hab meinen Hund und meine Familie, wir machen viel mit einander", schmunzelt die Gymnasiastin. 

Dennis war beim ersten KURIER-Gespräch am 30. April sicher, er würde das Projekt noch am selben Tag abbrechen. "Ich hab dem eine Chance gegeben, aber es fehlt mir, meine Kontakte zu pflegen." Aufgegeben hat er dann aber doch nicht. 

Das Experiment wurde nicht nur von Medien begleitet, sondern auch wissenschaftlich: Vor dem Start, mittendrin und nach den 21 Tagen füllten die Schüler wissenschaftliche Fragebögen aus und führten auch Tagebuch. Begleitet hat dies der Klinische- und Gesundheitspsychologe Oliver Scheibenbogen.

"Man gewöhnt sich schnell, offline zu sein", sagt Scheck eine Woche nach Ende des Experiments. Die Dauerereichbarkeit habe er abgelegt: "Ich habe alle Benachrichtigungen ausgeschalten." Nur Anrufe gehen durch, WhatsApp und Co. muss er aktiv ansehen. "Ich wünsche mir, dass etwas Nachhaltiges bleibt", hofft der Bio-Lehrer, dass die Schüler aus diesem Experiment etwas mitnehmen. Der Mittwoch wird in der Oberstufe jedenfalls handyfrei bleiben.

Denn was sie selbst bemerkten: Sie sind ruhiger geworden, verbringen mehr Zeit mit ihrer Familie und ihren Freunden, haben weniger Stress. Das waren nicht nur Eindrücke, das zeigten auch die Auswertungen der wissenschaftlichen Fragebögen. Die Schüler gehen bewusster mit dem Smartphone um, sind kommunikativer geworden.

"Ich hätte gern schnell nach Zügen geschaut; aber ich hatte ohne Smartphone mehr Seelenfrieden."

von Marie

Gymnasiastin, die 21 Tage ohne Smartphone war

"Es war viel mehr Leben in den Klassen", beobachtete KLG-Direktorin Eva Zillinger, während die 6. Klassen auf ihre Smartphones verzichteten. Es wurden Spiele angekauft, und die Jugendlichen tratschten einfach miteinander, anstatt sich mit Snapchat und Co. zu beschäftigen. Zillinger hat die Idee ihres Biologie-Lehrers gern unterstützt: "Er ist einer, der immer gute und wertvolle Ideen hat", ist sie stolz. Das Experiment war natürlich Thema im Haus. Die anfängliche Skepsis ist schnell der Bewunderung gewichen. 

Wohlbefinden steigt, depressive Symptome gehen zurück

Zurück zu den Ergebnissen: Die Auswertungen der Fragebögen hat Scheck in den Sommerferien erledigt. Manche Daten sind erstaunlich: So wurde das Wohlbefinden der Schüler abgefragt, dieses ist enorm angestiegen. Nach drei Wochen ohne Handy war das Wohlbefinden um einiges höher, als jenes der Schüler der Kontrollgruppe nach zwei Wochen Sommerferien. 

In einem anderen Fragebogen wurden depressive Symptome abgefragt: Diese sind bei Handy-Entzug um ein Drittel zurückgegangen. "Die Kurve steigt dann zwar wieder, wird aber nicht mehr so hoch wie vorher", ist Scheck von diesen Zahlen schockiert. Selbst Scheibenbogen sei von diesen Ergebnissen überrascht gewesen.

Wie geht's den Schülern, wenige Tage vor der Dok1-Ausstrahlung? "Ich wollte vorher schon meine Bildschirmzeit einschränken, darum war das Experiment gut", sagt Katharina, die jetzt die 7. Klasse besucht. "Es hat uns sehr geholfen, dass wir die ersten 24 Stunden zusammen verbracht haben." Die Telefone wurden gemeinsam abgedreht, Pizza bestellt und in der Schule übernachtet. "Man hat einfach mehr vom Tag", stellte Katharina fest, die es zwar schon vermisst  hat, schnell einmal auf den Zugfahrplan zugreifen zu können, aber: "Ich war traurig, als die Zeit zu Ende war."

Snapchat als "Endgegner" vieler Jugendlicher

So ging es auch Ina: "Wir haben wieder mehr miteinander gesprochen; das hat unsere Gemeinschaft gestärkt." Eine App, die Scheck als "Endgegner" der Schüler bezeichnete, war Snapchat. Da mussten täglich Fotos verschickt werden, um Flammen zu sammeln, die durfte man nicht verlieren. "Für mich war es sehr befreiend, kein Snapchat mehr haben zu müssen", sagt Ina.

Marie durfte, ebenso wie Katharina und Ina, ihre Tagebucheinträge für die Dok1 vertonen. "Ich hab's ohne Tastenhandy gemacht. Manchmal hätte ich schon gern für nur zehn Minuten aufgedreht, um zu sehen, was in der Welt passiert." Das geht natürlich auch am Fernseher oder am Computer, sei aber mühsamer. Marie spricht von einem Zwiespalt: "Ich hätte gern schnell nach Zügen geschaut; aber ich hatte ohne Smartphone mehr Seelenfrieden."

Schüler reduzierten "sinnloses Scrollen" nach Handy-Experiment

Die drei Gymnasiastinnen sind sich einig: Sie sind froh, das Experiment mitgemacht zu haben und haben viele positive Erfahrungen mitgenommen. Jetzt nutzen sie ihr Smartphone bewusster, "das sinnlose Scrollen ist viel weniger geworden".

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