Nach und nach enthüllt die Forschung, wie sich das Handy auf Sprachentwicklung, Konzentrationsfähigkeit und Co. auswirkt – doch man weiß noch erstaunlich wenig.
Mehr als 3,5 Stunden – oder genau genommen 213 Minuten – verbringen Österreichs Schülerinnen und Schüler jeden Tag am Smartphone. Eine Zahl, die niemanden schockiert, ist man doch selbst meist nicht besser. Während Sie diese Zeilen lesen, sind zwei Drittel der Menschen auf dieser Welt online. Fast 20 Jahre nach Einführung des ersten iPhones ist das ständige Starren aufs Display Normalität.
Während die Politik überlegt, wie sie junge Menschen wieder raus aus der digitalen Welt holen kann, damit sie dem Unterricht folgen können, tappt die Wissenschaft noch weitgehend im Dunkeln, was die Auswirkungen auf das Gehirn betreffen.
„Relativ gut erforscht ist die Evidenzlage puncto Sprachentwicklung bei sehr jungen Kindern. Hier geht exzessiver Medienkonsum mit Sprachverzögerung einher“, sagt Christian Montag, Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm. Abseits davon wird es dünn, vor allem in Bezug auf Langzeitstudien über die Veränderungen im Gehirn.
Wie das sein kann – in Anbetracht des Stellenwerts von Smartphones in unserer Gesellschaft? Es gebe wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter, die neurowissenschaftliche Forschung rund um die sozialen Medien mittels MRT-Bildgebung machen. Dies sei sehr aufwendig und da es sich um Minderjährige handle, werde es ethisch oft schwierig, sagt er.
Hirnvolumen verringert
Doch das, was man bereits weiß, ist tatsächlich alarmierend. So stellten Forscher fest, dass übermäßige Smartphonenutzung mit einem geringeren Hirnvolumen im Zusammenhang steht. Je nach Areal kann das zum Beispiel mehr Stress im Alltag oder eine verringerte Selbstregulation verursachen.
In einer neuen Studie aus den USA wurde den Teilnehmern die Internetverbindung vom Smartphone gekappt. Bereits nach einer Woche ging die Konzentrationsfähigkeit nach oben.
Und verbannt man Handys von den Schulen, werden die Noten der Schüler besser. „Außerdem wird das Cyberbullying weniger, in den Pausen bewegen sich die Kinder wieder mehr und beschäftigen sich miteinander – was wichtig für die Entwicklung der Grobmotorik und die soziale Interaktion ist“, sagt Montag. Ein Smartphone-Verbot an Schulen mache also durchaus Sinn.
Rund 5,5 Milliarden Menschen sind weltweit online, berichtet die UN-Fernmeldeunion ITU. Das entspricht zwei Drittel der Weltbevölkerung.
Die meistbesuchten Webseiten in Österreich sind: Google, Youtube und Amazon. Bei den Social-Media-Plattformen liegt Facebook vor Instagram.
6.700 Schülerinnen und Schüler wurden bei einer Erhebung des „Vereins zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien“ 2024 zur Nutzung des Smartphones befragt. Das Ergebnis: Sie verbringen 213 Minuten pro Tag am Handy.
Die Forschung zeigt aber noch etwas Beachtliches: Das Leseverständnis ist über das Buch besser als über das Tablet. Und das stellt die Digitalisierung an Schulen prinzipiell infrage. Schweden, das lange Vorbild in Sachen digitale Schule war, rudert mittlerweile zurück und verbannt digitale Geräte aus den Klassenzimmern. Finnland und Dänemark kehren ebenfalls zu Stift und Papier zurück.
Mit der Frage, wo digitales Lernen überhaupt Sinn macht, hat sich Psychologe Montag unter anderem in seinem neuen Buch „Digitales Dilemma“ auseinandergesetzt. Er hält fest: Es sei vor allem wichtig, Wissen über Digitalisierung zu vermitteln – wie soziale Medien funktionieren, wie man Fake News entlarvt, was künstliche Intelligenz ist.
Psychologe Christian Montag forscht zu den Auswirkungen von Medienkonsum
Social Media als Treiber
Denn klar sei auch: Es bringe nichts, Smartphones zu verteufeln. Wir leben in einer digitalen Welt und die hat auch Vorteile. „Wir müssen eher überlegen, was auf den Geräten genau das Problem ist. Ich kenne niemanden, der von der Kartendienst-App abhängig ist“, sagt er.
Ausschlaggebend für das exzessive Scrollen am Handy sind unter anderem die sozialen Medien. Und die seien für Kinder völlig ungeeignet, auch wenn die Plattformen selbst das Gegenteil behaupten. Meta, der Konzern hinter Facebook und Instagram, wollte sogar eine eigene Kinderversion ab zehn Jahren herausbringen. Nach massiver Kritik wurde das Projekt pausiert.
Generell, rät Christian Montag, sei 13 möglicherweise ein geeignetes Alter für den Einstieg ins Smartphone. Davor ist der Spieltrieb stark ausgeprägt, was wichtig für die Entwicklung ist.
Um Kinder zu schützen, sieht er in erster Linie Regierungen und die Plattformen selbst in der Pflicht. Sinnvoll wäre eine Ausweispflicht bei Kontoerstellung (sowohl für das Kind als auch für den Erziehungsberechtigten). Und für die Eltern gelte, sich mit den sozialen Netzwerken ihrer Kinder auseinanderzusetzen, um mitreden zu können. Und natürlich nicht selbst ständig am Handy zu hängen – Stichwort Vorbild.
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