Er ist ihr auf den Grund gegangen. In Haydns Geburtshaus in Rohrau (Bezirk Bruck/Leitha) wird Tremetsberger am 15. August einen Vortrag „Über das Leiden und Sterben Joseph Haydns“ halten, Schauspielstar Karl Markovics und das „Artel Quartett“ in Haydns Taufkirche über den Grabraub berichten.
„Schädelkult“
„Schädel zu sammeln war damals allgemein üblich. Es gab sogar einen regelrechten Wettlauf, wer den berühmtesten Schädel in seiner Sammlung hatte“, erzählt Tremetsberger. Schuld daran war Doktor Franz Joseph Gall. Laut seiner Schädellehre könne man das Wesen eines Menschen an dessen Kopfform ablesen. Das war um 1800 sehr modern und führte zu einer regelrechten „Gall-Sucht“.
Doch zurück zu Haydn. Dessen Enthauptung hatte noch ganz andere Gründe, erzählt Tremetsberger. „Er hatte in seinem Testament ein Begräbnis erster Klasse in Wien angeordnet. Doch wegen des Kriegs (Wien war am 13. Mai von Napoleon besetzt worden, Anm.) war dies nicht möglich. Einen Tag nach seinem Tod am 31. Mai wird Haydn am Hundsthurmer Friedhof bestattet. Das Begräbnis ist spartanisch.“
Unter den wenigen Gästen ist auch Joseph Carl Rosenbaum. Dieser hatte Haydn gekannt, war wie der Komponist am Hof des Fürsten Nikolaus II. Esterházy in Eisenstadt beschäftigt gewesen, doch dann entlassen worden. Und nun setzt er einen kühnen Plan um: Er besticht den Totengräber, bringt den Schädel ins allgemeine Spital und lässt ihn präparieren. „Er beschreibt das sehr genau in seinem Tagebuch“, sagt Tremetsberger.
Jahrelang bleibt der Diebstahl unerkannt. Dann, am 20. Oktober 1820, wird das Haydn-Grab wieder geöffnet. Diesmal ganz offiziell von Fürst Nikolaus II. Esterházy. „Er wollte den Leichnam nach Eisenstadt überführen lassen, doch im Grab lag kein Kopf, nur die Perücke“, erzählt Tremetsberger.
Der kopflose Haydn kommt nach Eisenstadt, die Ermittlungen der Polizei führen bald zu Rosenbaum. „Schließlich gab er einen Schädel her, es war aber der Falsche.“ Die Täuschung gelingt, obwohl „der echte Schädel nicht versteckt wurde, sondern in Wien durchaus bekannt war“, so Tremetsberger.
Schließlich landet Haydns Kopf bei der Gesellschaft der Musikfreunde – und bleibt dort bis 1954. Am 5. Juni wird der Schädel von Wien nach Eisenstadt überführt. Der Bildhauer Gustinus Ambrosi hat die Ehre, Haydns Schädel zu den Gebeinen zu legen.
Tremetsberger hat aber noch viel mehr über Haydn zu erzählen. Etwa dass dieser als Sängerknabe beinahe kastriert worden wäre, um seine hohe Bubenstimme zu erhalten. Dass er nicht den Porträts entsprach, sondern sein Gesicht von Pockennarben gezeichnet war. Oder dass er an Polypen litt, die aus seiner Nase wuchsen und dreimal operiert wurden.
„Es fasziniert mich, welche Behandlungen früher angewendet wurden, welche Möglichkeiten die Ärzte hatten. Und wie Krankheiten das Leben der Menschen bestimmten. Geburten wurden etwa so geplant, dass sie nicht zwischen Mai und September stattfanden. Weil da das Risiko für Infektionen am größten war“, sagt Tremetsberger. Und: „Ich belächle die früheren Ärzte nicht, sie haben nach dem Stand der Wissenschaft gehandelt.“
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