16 traumatisierte Heimkinder verloren über Nacht ihre Bleibe, 80 Mitarbeiter ihren Job. Im Saal 5 des Landesverwaltungsgerichts (LVwG) St. Pölten könnte dieser Tage ein letztes Kapitel in einer brisanten Causa geschrieben werden, die schon seit sieben Jahren diverse Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Politik in Niederösterreich beschäftigt.
Es geht um die Zwangsschließung von drei Kinder- und Jugendheimen und vor allem um die Frage, ob es politischen Druck oder Einflussnahme auf Beamte gegeben hat, diese Sperre zu veranlassen. Ob alles rechtens war, versucht derzeit das LVwG zu klären.
Eine, die in die Schließung der drei Heime der Therapeutischen Gemeinschaft (TG) an den Standorten Jaidhof (Bezirk Krems), Ebenfurth (Bezirk Wiener Neustadt) und Sitzendorf an der Schmida (Bezirk Hollabrunn) direkt involviert war, stand dieser Tage dem vorsitzenden Richter Rede und Antwort. Die Juristin des Landes war es auch, die das Ende der Einrichtungen besiegelte, allerdings nur aufgrund des Berichtes einer eingesetzten Sonderkommission und nicht nach eigenem Ermessen der Fachabteilung. Ein Bericht, der selbst im Land NÖ als streng geheim galt, und nur von einem ganz kleinen Kreis gelesen werden durfte. "In dem Bericht ging es um schwerwiegende Vorwürfe, es ging um Gewalt gegen Minderjährige und um Misshandlungen“, sagt die Juristin im Zeugenstand.
Interessant sind die Aussagen der Spitzenbeamtin deshalb, weil sie noch vor dem Bericht der Sonderkommission vor Ort war, um die Heime selbst zu überprüfen. Sie erzählt von Personalmangel in den Einrichtungen, von einem Betreuer, der pro Woche mehr als 100 Stunden arbeitete und im Gespräch mit ihr den Tränen nahe war. Und sie erzählt vom Suizidversuch eines Kindes und vom "rauen Umgangston“.
Wovon sie nicht berichtet, sind die angeblichen Misshandlungen, die in den Heimen stattgefunden haben sollen. Davon ist übrigens auch in der Mängelliste, die nach den Kontrollen durch die Fachabteilung des Landes erstellt worden sind, keine Rede. Diese Vorwürfe tauchen erst im Bericht der Sonderkommission auf. "Nach diesem Bericht war klar, dass die Heime geschlossen werden müssen“, sagt sie. Wurden diese Vorwürfe der SOKO eigentlich in weiterer Folge überprüft, fragt der Anwalt der TG die Juristin? Nein, antwortet sie.
Nach der Schließung der TG-Kinderheime wurde vor dem Landhaus in St. Pölten demonstriert
Keine Rede ist bei der Verhandlung von einem politischen Druck, den es auf die betroffene Abteilung gegeben haben könnte. Die Sonderkommission unter der Leitung der Wiener Familienanwältin Simone Metz wurde im Auftrag des damals zuständigen Landesrates und späteren Landeshauptfrau-Stellvertreter, Franz Schnabl (SPÖ), eingesetzt. Schnabl ließ die Einrichtungen im März 2018 über Nacht schließen und die Kinder von der Polizei abholen. Wegen der Vorgangsweise hagelte es schwere Kritik, Mitarbeiter gingen aus Protest auf die Straße.
Franz Schnabl (SPÖ) war der politisch Verantwortliche für die Sonderkommission und die Zwangsschließung der Heime
Wie im Verfahren am LVwG zu erfahren war, herrschte generell ein "raues Klima“ in den Heimen. Schließlich galt es "sehr problematische und verhaltensauffällige“ Minderjährige zu betreuen, die teilweise in öffentlichen Schulen gar nicht mehr genommen wurden. Die zuständige Beamtin der Fachaufsicht von der Kinder- und Jugendhilfe des Landes war jahrelang für die Überprüfung aller drei TG-Jugendheime zuständig. In dieser Zeit hätte es nie derartig schlimme Mängel gegeben, die eine Schließung gerechtfertigt hätten, sagt sie. Ein Einblick in den Bericht der Sonderkommission sei ihr selbst verweigert worden. "Er war streng geheim. Ich kenn den Inhalt nicht“, so die Zeugin.
Das Verfahren geht im März in St. Pölten weiter. Kommt das Landesverwaltungsgericht zum Schluss, dass die Heimschließungen nicht vorschriftsmäßig abgelaufen sind, könnte dies für die Sonderkommission und Schnabl ein unschönes Nachspiel haben. Denn die Betreiber sind durch die Zwangsschließung finanziell ruiniert. Die drei betroffenen Vereine, die mit den TG-Heimen bankrott gingen, haben bereits beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien Schadenersatzklagen in der Höhe von 700.000 Euro gegen die vier Mitglieder der Soko eingebracht. Diese Klage ist bis zu einer Entscheidung am LVwG ruhend gestellt.
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