Mit Gewehrlauf niedergeschlagen
Der Rekrut soll im Zuge eines heftigen Streits den einschreitenden Offizier vom Tag (OvT) mit dem Gewehrlauf niedergeschlagen und das Sturmgewehr 77 auf ihn gerichtet haben. Der Vizeleutnant sagte aus, dass er verletzt am Boden liegend einen Schuss „in Notwehr“ auf den über ihn gebeugten Rekruten abgab. Dies decke sich auch mit dem Schießgutachten sowie mit dem Obduktionsergebnis des sachverständigen Gerichtsmediziners Wolfgang Denk.
Demnach verlief der Schusskanal von unten in einem etwa 45 Grad aufsteigenden Winkel. Laut der Rekonstruktion erfolgte die Schussabgabe „gegen den stehenden Rekruten aus einer am Boden liegenden Position“.
Auch für ein bisheriges Rätsel hat das Schießgutachten Lösungen parat. Der 54-jährige OvT hat in den Einvernahmen nur von einem einzigen abgegebenen Schuss gesprochen, obwohl es in Wirklichkeit drei Schüsse waren. Im Zuge des Kampfes soll der Rekrut versucht haben, an die Dienstpistole des Vizeleutnants zu kommen. In dem Kampf um Leben und Tod wurde im Handgemenge der Abzug mehrmals betätigt, so die Expertise. Die Wahrnehmung in dieser Ausnahmesituation könne eine andere gewesen sein. „Dies ist ein häufig beobachtetes Phänomen bei solchen traumatischen Ereignissen“, erklärt ein Mordermittler des niederösterreichischen Landeskriminalamtes.
Das erklärt auch, weshalb die Version eines Zeugen eine völlig andere ist. Ein geschockter Wachkollege des Getöteten sagte aus, dass der Rekrut zunächst mit seinem Sturmgewehr 77 schoss und, nachdem er vom OvT erfolgreich entwaffnet wurde, dessen Pistole entriss.
Kein Schuss aus dem Sturmgewehr
Die Sachverständigen im Bundeskriminalamt haben auch diese Version geprüft. Laut Schießgutachten wurde kein Schuss mit dem Sturmgewehr abgegeben. Unklar ist nach wie vor die Frage, aus welchen Gründen der Wachsoldat aggressiv auf seine Kameraden und den Vorgesetzten losgegangen ist. Der renommierte Sachverständige für Chemie, Günter Paul Gmeiner, hat bei dem 20-jährigen Soldaten zwar Rückstände von THC (Cannabis), MDMA (Ecstasy) und Trazodon (Antidepressiva) nachgewiesen. Allerdings in so einer geringen Konzentration, dass er am Tatmorgen des 6. Jänner nicht davon beeinträchtigt gewesen sein kann.
Gmeiner spricht von einer „gelegentlichen, jedoch nicht regelmäßigen bzw. häufigen Aufnahme“. Im Gutachten heißt es: Da MDMA sowie Trazodon nur im Haar, aber nicht in Blut, Harn bzw. Gehirngewebe nachgewiesen wurde, ist von einer in Bezug auf den Todeszeitpunkt länger zurückliegenden Aufnahme im Bereich von Tagen bzw. Wochen auszugehen.
Wie Markus Bauer von der Staatsanwaltschaft erklärt, werden aktuell alle Ergebnisse noch inhaltlich geprüft. „Wir klären, ob der Sachverhalt durch die Gutachten hinreichend geklärt ist. Erst danach wird entschieden, ob noch eine Tatrekonstruktion in der Kaserne nötig ist“, sagt Bauer zum KURIER.
Ermittelt wird gegen den Vizeleutnant zwar nach wie vor wegen Mordverdachts. Derzeit läuft aber alles darauf hinaus, dass der 54-Jährige vermutlich in Notwehr gehandelt hat. Er versieht mittlerweile wieder Dienst in der Kaserne in Wiener Neustadt.
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