Getöteter Wachsoldat: Schießgutachten spricht für Notwehr-Situation

Was hat einen 20-jährigen Wachsoldaten am Dreikönigstag derart in Rage gebracht, dass die Sache für ihn in der Jagdkommandokaserne in Wiener Neustadt mit einem Lungendurchschuss tödlich endete?
Dieser Frage gehen seit mehr als drei Monaten Ermittler, Sachverständige und die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt nach. Wesentliche Aufschlüsse zur Klärung der Bluttat vom 6. Jänner erwarteten sich Ermittler und Staatsanwalt vom ausstehenden Schießgutachten. Die Expertise der Sachverständigen des Bundeskriminalamtes (BK) liegt nun auf dem Tisch. Und das Papier bestätigt, wovon man bisher ausgegangen ist. Wie Markus Bauer, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gegenüber dem KURIER erklärt, wurden drei Schüsse aus der Dienstpistole 80 (Glock 17) des 54-jährigen Vizeleutnants abgegeben. Ein Projektil traf den Rekruten Konstantin D. tödlich in die Brust, die beiden anderen Kugeln schlugen im Wachlokal ein, erklärt Bauer.

Mit Gewehrlauf niedergeschlagen
Der Rekrut soll im Zuge eines heftigen Streits den einschreitenden Offizier vom Tag (OvT) mit dem Gewehrlauf niedergeschlagen und das Sturmgewehr 77 auf ihn gerichtet haben. Der Vizeleutnant sagte aus, dass er verletzt am Boden liegend einen Schuss „in Notwehr“ auf den über ihn gebeugten Rekruten abgab. Dies decke sich auch mit dem Schießgutachten sowie mit dem Obduktionsergebnis des sachverständigen Gerichtsmediziners Wolfgang Denk.
Demnach verlief der Schusskanal von unten in einem etwa 45 Grad aufsteigenden Winkel. Laut der Rekonstruktion erfolgte die Schussabgabe „gegen den stehenden Rekruten aus einer am Boden liegenden Position“.
Auch für ein bisheriges Rätsel hat das Schießgutachten Lösungen parat. Der 54-jährige OvT hat in den Einvernahmen nur von einem einzigen abgegebenen Schuss gesprochen, obwohl es in Wirklichkeit drei Schüsse waren. Im Zuge des Kampfes soll der Rekrut versucht haben, an die Dienstpistole des Vizeleutnants zu kommen. In dem Kampf um Leben und Tod wurde im Handgemenge der Abzug mehrmals betätigt, so die Expertise. Die Wahrnehmung in dieser Ausnahmesituation könne eine andere gewesen sein. „Dies ist ein häufig beobachtetes Phänomen bei solchen traumatischen Ereignissen“, erklärt ein Mordermittler des niederösterreichischen Landeskriminalamtes.

Das erklärt auch, weshalb die Version eines Zeugen eine völlig andere ist. Ein geschockter Wachkollege des Getöteten sagte aus, dass der Rekrut zunächst mit seinem Sturmgewehr 77 schoss und, nachdem er vom OvT erfolgreich entwaffnet wurde, dessen Pistole entriss.
Kein Schuss aus dem Sturmgewehr
Die Sachverständigen im Bundeskriminalamt haben auch diese Version geprüft. Laut Schießgutachten wurde kein Schuss mit dem Sturmgewehr abgegeben. Unklar ist nach wie vor die Frage, aus welchen Gründen der Wachsoldat aggressiv auf seine Kameraden und den Vorgesetzten losgegangen ist. Der renommierte Sachverständige für Chemie, Günter Paul Gmeiner, hat bei dem 20-jährigen Soldaten zwar Rückstände von THC (Cannabis), MDMA (Ecstasy) und Trazodon (Antidepressiva) nachgewiesen. Allerdings in so einer geringen Konzentration, dass er am Tatmorgen des 6. Jänner nicht davon beeinträchtigt gewesen sein kann.
Gmeiner spricht von einer „gelegentlichen, jedoch nicht regelmäßigen bzw. häufigen Aufnahme“. Im Gutachten heißt es: Da MDMA sowie Trazodon nur im Haar, aber nicht in Blut, Harn bzw. Gehirngewebe nachgewiesen wurde, ist von einer in Bezug auf den Todeszeitpunkt länger zurückliegenden Aufnahme im Bereich von Tagen bzw. Wochen auszugehen.
Wie Markus Bauer von der Staatsanwaltschaft erklärt, werden aktuell alle Ergebnisse noch inhaltlich geprüft. „Wir klären, ob der Sachverhalt durch die Gutachten hinreichend geklärt ist. Erst danach wird entschieden, ob noch eine Tatrekonstruktion in der Kaserne nötig ist“, sagt Bauer zum KURIER.
Ermittelt wird gegen den Vizeleutnant zwar nach wie vor wegen Mordverdachts. Derzeit läuft aber alles darauf hinaus, dass der 54-Jährige vermutlich in Notwehr gehandelt hat. Er versieht mittlerweile wieder Dienst in der Kaserne in Wiener Neustadt.
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