Endlose Strafverfahren: Gerichtsgutachter dringend gesucht

Zwei 18-Jährige sind tot, ein 18- und ein 16-Jähriger wurden schwer verletzt. Acht Monate sind seit dem tragischen Böller-Unglück in der Silvesternacht im nö. Ternitz (Bezirk Neunkirchen) vergangen. Und die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt weiß immer noch nicht, ob sich Beteiligte wegen grob fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten müssen.
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Zahlreiche Aufträge
32 Wochen nach der Tragödie wartet die Ermittlungsbehörde immer noch auf ein wesentliches Puzzlestück der Erhebungen – das detaillierte Obduktionsgutachten des Gerichtsmediziners Wolfgang Denk. Dass seine Expertise so rekordverdächtig lange dauert, hat nichts mit dem Fall an sich oder dem Arbeitstempo von Denk zu tun.
Es liegt schlichtweg an der Fülle an Aufträgen, die der gerichtliche Sachverständige zu bearbeiten hat. „Wir haben einen Engpass bei Gutachtern, insbesondere auch im Bereich der Gerichtsmedizin“, erklärt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, Erich Habitzl.

Denk ist nur einer von vier gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Gerichtsmedizin und forensische Molekularbiologie für Wien, Niederösterreich und das Burgenland. Autopsien an Toten nehmen überhaupt nur zwei davon vor. In Niederösterreich landet jeder bedenkliche Todesfall auf dem Seziertisch von Denk. Nachwuchs gibt es in dem Fachgebiet so gut wie keinen, Bewerber für die Facharztausbildung an den medizinischen Fakultäten sucht man vergebens.
Tarife zu niedrig
Wieso das so ist, weiß man beim Hauptverband der Gerichtssachverständigen nur zu gut. Die Gerichtsmedizin ist ein begutachtendes Fach, andere Einnahmequellen gibt es nicht. Und die Bezahlung sei „bemerkenswert niedrig“, stellt Johann Guggenbichler vom Hauptverband fest. Obwohl man seit Jahren im Justizministerium interveniert, wurde das Gebührenanspruchsgesetz kaum angepasst. Der Wille im Ministerium sei vorhanden, es scheitere allerdings am grünen Licht des Finanzministeriums, heißt es beim Hauptverband.
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Besonders die Tarife für die medizinischen Fachrichtungen seien zu gering, um damit überhaupt jemanden von der Tätigkeit zu überzeugen. Für eine normale Autopsie mit dem entsprechenden Gutachten werden laut Tarifblatt 130,90 Euro bezahlt.
Eine „besonders zeitaufwendige körperliche, neurologische, psychiatrische Untersuchung“ samt Gutachten wird im Höchstfall mit 195,40 Euro abgegolten. Laut Guggenbichler mitunter ein Grund, weshalb Fachärzte aus der Psychiatrie eher in ihren angestammten Ordinationen bleiben.
Zeugen, gerichtlich beeidete Sachverständige, Dolmetscher, Geschworene oder Schöffen haben in gerichtlichen und in Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Anspruch auf Gebühren. Die letzte Tarifanpassung erfolgte im Jahr 2007 und ist seither nahezu unverändert, kritisiert der Hauptverband der beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen.
30,30 Euro ist beispielsweise der Tarif für eine gewöhnliche medizinische Untersuchung. Eine Leichenöffnung wird mit 93,50 Euro abgegolten. Für eine histologische Untersuchung von Organen gibt es 20,90 Euro extra.
Laut dem Tarifblatt sind für die Nutzung externer Untersuchungsräume 130 Euro Entschädigung vorgesehen. 195,40 Euro werden etwa für ein psychiatrisches Gutachten bezahlt.
Kein Urologe
Angeheizt wurde die Debatte durch eine weitere Verschärfung. Das neue Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz sieht nämlich vor, dass Gerichtspsychiater in Prozessen, in denen es um Anstaltsunterbringungen geht, für die gesamte Dauer des Prozesses anwesend sein müssen. Das können mitunter mehrere Tage sein, an denen sie ihrer sonstigen beruflichen Tätigkeit nicht nachkommen können.
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Wie die Vizepräsidentin des Landesgerichts Wiener Neustadt Birgit Borns erklärt, lähmt der Engpass an Sachverständigen besonders das Arbeits- und Sozialgericht – also Fälle, in denen es unter anderem um die Feststellung der Berufsunfähigkeit geht. „Es ist beispielsweise weit und breit kein Urologe zu finden“. Eingetragen ist in der Sachverständigenliste überhaupt nur ein einziger.
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