Es ist Eile geboten. Philipp hängt schon 20 Minuten im Raxgebirge in der Wand hilflos im Seil, nachdem ein Bohrhaken aus dem Fels gebrochen war. „Wenn ein Hängetrauma auftritt, kann die Lage rasch letal werden“, verrät Alpinpolizist und Flight Operator Roland Groll.
Unter Hängetrauma versteht man einen lebensbedrohlichen Schock, der auftreten kann, wenn man länger bewegungslos in einem Gurtsystem hängt und das Blut in die untere Körperregion sackt. Zeit für lange Diskussionen bleibt in so einer Situation daher nicht. Jetzt muss bei den Nachwuchs-Alpinpolizisten wie Ex-Skistar Marc Digruber jeder Handgriff sitzen. Ein Fehler könnte im Fels fatal enden.
Ein Mann wird abgeseilt, der Verunglückte an ein Sicherungsseil genommen und mit vereinten Kräften nach oben gezogen. Prüfung bestanden, erklärt Bernd Wagner, Landesausbildungsleiter für den Alpindienst der Polizei NÖ und staatlich geprüfter Polizei-Bergführer.
Zusammen mit dem Chef der Alpinpolizei, Major Michael Hochgerner, managt er dieser Tage die achttägige „Alpinausbildung im Fels“ – quasi das Einmaleins der Polizisten der Alpinen Einsatzgruppe (AEG). Nach einem aufwendigen Auswahlverfahren wurden sieben von 13 Bewerbern im vergangenen Herbst aufgenommen. Sie absolvieren nach der Ski-, Pisten- und Skitourenausbildung im Winter derzeit zusammen mit Beamten der Spezialeinheiten Cobra und Wega den Kurs im Fels – mit Gesteins- und Materialkunde, Seil- und Bergetechnik, Standplatzbau und mehr.
Über zu wenig Arbeit können die AEG-Beamten nicht klagen. Corona hat das Freizeitverhalten der Österreicher deutlich verändert. Bergtouren oder Klettern sind angesagter denn je, was sich auch deutlich in den Einsatzzahlen widerspiegelt. „Es herrscht eine gewisse Vollkasko-Mentalität. Es wird geklettert und gewandert, bis nichts mehr geht. Dann ruft man einfach Hilfe und hofft, dass der Hubschrauber kommt“, erklären Wagner und Hochgerner. Alleine in NÖ ereignen sich jährlich rund 600 Alpinunfälle. Zwei Drittel Österreichs sind alpines Gelände. Es braucht Polizisten mit Fachkenntnissen in allen Bergsportdisziplinen, sagt Wagner. Sie retten und bergen nicht nur, sondern ermitteln nach Lawinenunglücken, Kletter-, Mountainbike-, Rodel-, Canyoning- oder Forstunfällen oder leiten Suchaktionen mit Unterstützung des Hubschraubers.
Freizeit opfern
Im ersten Jahr nimmt die nötige Zusatzausbildung für den Alpindienst immerhin 44 Tage in Anspruch, 37 Tage im Jahr drauf. „Damit findet man aber nicht das Auslangen. Jeder muss bereit sein, in seiner Freizeit zu trainieren“, sagt Hochgerner. Besonders für die Fitness. Weil Lawinenkatastrophen und andere Unglücke auch vor Feiertagen nicht Halt machen, brauche man Beamte, die zu jeder Tages- und Nachtzeit ausrücken. „Ein gewisser Enthusiasmus ist Voraussetzung“, sagt Wagner.
Den bringt Ex-Weltcupläufer Marc Digruber mit. Nachdem er im Vorjahr seine Rennski mit der Polizeiuniform auf der Inspektion Scheibbs getauscht hat, war rasch klar, dass es ihn zum Alpindienst zieht. Genauso wie den 28-jährigen Lukas Zöchling aus Traisen (Bezirk Lilienfeld). Um überhaupt einen Platz im Team der AEG zu bekommen, war dieser sogar bereit, über eine Stunde nach Gaming (Bezirk Scheibbs) zu pendeln und dort die personelle Lücke im Alpindienst zu füllen. Was ihn motiviert? „Das breite Spektrum der Ausbildung.“
Dass der Job kein Honiglecken ist und nichts mit einer privaten Bergtour, wie viele glauben, zu tun hat, wird den Beamten laufend vor Augen geführt – so wie am 11. März 2022. An dem Tag war es am Ötscher zum größten Unglück des dortigen alpinen Bergsports gekommen. Das Drama ist bei der Alpinpolizei allgegenwärtig.
Drei erfahrene Alpinisten, Bergretter und Freunde starben bei geringster Lawinenwarnstufe in einer 38-Grad-Steilrinne, ein vierter Kamerad überlebte. Unter den Toten auch Alpinpolizist Hannes „Nachtl“ Nachbagauer. Das Unglück wurde auf und ab analysiert, von Sachverständigen untersucht. Alle kamen zu dem einen Ergebnis: Die Männer hatten alles richtig gemacht, zum Verhängnis geworden ist ihnen das berühmte Restrisiko, so Hochgerner. „So viel Pech zu haben, ist eigentlich unbegreiflich…“, hieß es im Nachruf.
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