Volkspartei: Wenn Partei-"Freunde" beim Rücktritt mithelfen
Auch Sebastian Kurz hat sich seinen Rücktritt als Bundeskanzler wohl anders (oder eigentlich gar nicht) vorgestellt. Und die Umstände, unter denen sein Vorgänger Reinhold Mitterlehner als ÖVP-Chef gegangen wurde, waren auch nicht von der feinen Art.
Aber die hat’s in der mehr als 75-jährigen Geschichte der Volkspartei ohnehin so gut wie nie gegeben. Kaum ein schwarzer Kanzler, Vizekanzler oder Parteichef hat freiwillig den Hut genommen.
Säulenheilige
Staatsmänner wie Figl und Raab zählen zu den Säulenheiligen der Republik und haben den Wiederaufbau des Landes mitermöglicht. Aber auch sie wurden von der eigenen Partei eiskalt abserviert.
Leopold Figl wurde 1945 ÖVP-Chef, er war der erste Bundeskanzler und beliebteste Politiker des Landes, und doch wurde auch Figl hinterrücks durch einen parteiinternen Putsch entmachtet. Zuerst warf man ihm vor, der SPÖ gegenüber zu kompromissbereit zu sein, dann verzieh man ihm nicht, dass der Sozialist Theodor Körner 1951 Bundespräsident wurde. Figl wurde durch seinen besten Freund Julius Raab 1952 als Parteichef und nach wilden Intrigen auch als Bundeskanzler abgelöst.
„Neu und dynamisch“
Raab erging es nicht besser. In seine Regierungszeit fallen Wirtschaftswunder, Vollbeschäftigung, Staatsvertrag, doch auch er wurde brutal aus dem Amt gedrängt. Das Muster wiederholte sich: 1957 war ihm die Partei gram, weil schon wieder ein Roter, diesmal Adolf Schärf, Bundespräsident wurde. ÖVP-Granden forderten einen „neuen, dynamischen Obmann“, ohne über einen geeigneten zu verfügen. So wurde der blasse Alfons Gorbach (rechts im Bild unten) Parteichef und Kanzler. An seinem Sessel sägten die Partei-„Freunde“ fast vom ersten Tag an, sodass auch er 1963 gehen musste.
Josef Klaus, der Gorbach folgte, bescherte seiner Partei den größten Triumph und die größte Niederlage: 1966 schaffte er erstmals in der Zweiten Republik die absolute Mehrheit, dafür rutschte die ÖVP vier Jahre später hinter Bruno Kreisky auf Platz 2.
Klaus ging von sich aus. Dafür verliefen die VP-Obmann-Intrigenspiele in den 13 Kreisky-Jahren besonders brutal. Auf Josef Klaus folgte Hermann Withalm, der nach nur einem Jahr das Handtuch warf, als SP-Chef Kreisky 1971 die absolute Mehrheit erreichte.
Nun kam Karl Schleinzer, dem die parteiinterne Kritik durch ein tragisches Schicksal erspart blieb: Er starb 1975 bei einem Autounfall.
Entmachtung der Bünde
Sein Nachfolger Josef Taus verlor zwei Mal gegen Kreisky – und hätte dennoch Parteichef bleiben sollen. Er knüpfte dies jedoch an die Bedingung, die ÖVP-Bünde – Wirtschaftsbund, ÖAAB und Bauernbund – zu entmachten, da deren Intrigen immer wieder zu Turbulenzen in der Partei führten. Die Bünde lehnten ab, und Taus musste gehen.
Ihm folgte 1979 Alois Mock als Parteichef, der den Abwärtstrend der ÖVP stoppte und Bruno Kreisky 1983 die „Absolute“ nahm. Doch die SPÖ blieb die stärkste Partei. Der neue rote Kanzler Fred Sinowatz bildete die Regierung mit Norbert Stegers FPÖ, die 1986 von Franz Vranitzky nach dem „Haider-Putsch“ beendet wurde. Die ÖVP kam wieder in die Regierung, in der sich Außenminister Mock als „Vater des EU-Beitritts“ Verdienste erwarb. Da er aber nicht Vranitzkys Popularität erlangte, war’s – wie so oft – die steirische ÖVP, die den Bundesobmann 1989 drängte, „freiwillig“ nicht mehr zu kandidieren. Bei Alois Mock kamen allerdings auch gesundheitliche Probleme dazu.
Als neue Hoffnung wurde Josef Riegler an die Parteispitze gehievt, der ein Jahr später gegen Vranitzky die Wahlen verlor. Riegler trat – oder wurde vielmehr zurückgetreten.
Sein Nachfolger Erhard Busek blieb bei den Wahlen im Herbst 1994 glücklos, womit sein Ende besiegelt war. Der neue Parteichef Wolfgang Schüssel wollte 1999 als Drittstärkster in die Opposition – und wurde mit Jörg Haiders Hilfe Kanzler.
Schüssel errang 2002 mehr als 42 Prozent und damit einen der größten Wahlerfolge der Parteigeschichte. Vier Jahre später drehte sich der Spieß um und SP-Obmann Alfred Gusenbauer stellte den Kanzler.
„Es reicht“
Schüssel machte jetzt Wilhelm Molterer Platz, der nach nur eineinhalb Jahren mit den Worten „Es reicht“ die Koalition mit der SPÖ platzen ließ. Aber „es reichte“ bei den Wahlen nur zum Debakel für die ÖVP, worauf Molterer von sich aus ging, um dem traditionellen Abstrafen des Parteichefs zuvorzukommen.
Sein Nachfolger Josef Pröll legte den Vorsitz nach drei Jahren infolge eines Lungeninfarkts zurück. Und Michael Spindelegger ging 2014 „wegen parteiinterner Kritik“, wie er sagte. Die unterschiedlichen Standpunkte mit dem Koalitionspartner hätte er ja durchgestanden, meinte der zurückgetretene VP-Chef, „nicht jedoch die in der eigenen Partei“.
„Mobbing und Intrigen“
Wie immer schwor man sich in den Reihen der Volkspartei, dass ein solcher Abgang „nie wieder“ vorkommen dürfte. Bis dann eben der nächste Parteichef und Vizekanzler, Reinhold Mitterlehner, im Mai 2017 aus seinen Ämtern gedrängt wurde, Er selbst spricht von „Mobbing“ und „Intrigen“ innerhalb der Partei und schreibt in seinem Buch Haltung von „Umsturz“ und „Machtergreifung“.
Dann kam Sebastian Kurz als Parteiobmann und unverwundbar scheinender Erlöser. An seinem Abgang als Bundeskanzler wird die ÖVP noch längere Zeit zu kiefeln haben.
Kommentare