Ein echter Mord im Burgtheater
Auf der Bühne des Burgtheaters haben zahlreiche Helden und Tyrannen ihr Leben gelassen. Sobald der Vorhang fiel, standen sie wieder auf, schminkten sich ab und gingen gemütlich nach Hause oder auf ein Glas Bier. Am 8. Mai 1925 kam es jedoch ganz anders, als während einer Vorstellung von Ibsens Drama „Peer Gynt“ mehrere Schüsse fielen. Nicht auf der Bühne, sondern in der zweiten Loge im dritten Rang rechts. Die meisten Zuschauer dachten, dass die Schüsse zur Inszenierung gehörten, doch ein Mann aus dem Publikum war tot.
Der fünfte Akt von „Peer Gynt“ hatte eben begonnen, als die 25-jährige Mazedonierin Mencia Carniciu aus ihrem Unterkleid eine Pistole zog und auf den Hinterkopf ihres vor ihr sitzenden Landsmannes Todor Panitsa schoss. Eine Kugel tötete den 42-jährigen bulgarisch-mazedonischen Freiheitskämpfer.
Betreffs des Leichnams
Einer der Schauspieler dieser Aufführung war Philipp von Zeska, der den Kriminalfall in seinen Memoiren so schildert: „Peer Gynts Schiff war eben mit Hilfe der Bühnentechnik untergegangen, als ich aus den Wogen in der Rolle des ,Fremden Passagiers‘ auftauchte. Mein Satz lautete: ,Ich komme betreffs des Leichnams!‘ Da knallten Schüsse, und während einige Zuschauer in der Nähe der Loge, wo die Schüsse gefallen waren, entsetzt aufschrieen, dachte der übrige Teil des Publikums zunächst wohl an einen besonders drastischen Inszenierungs-Effekt.“
Als dann aber im Zuschauerraum das Licht anging, war allen klar, dass sich tatsächlich ein Vorfall ereignet haben musste. Die der Tat verdächtigte Mencia Carniciu wurde verhaftet.
In den Zeitungen tauchten Spekulationen über das Motiv auf. Einiges sprach für ein Eifersuchtsattentat. Denn Mencia Carniciu hatte eine Affäre mit dem nach einem Militärputsch in Bulgarien nach Wien geflüchteten Revolutionär. Als dieser eine andere Frau heiratete, beschloss Mencia, ihn zu töten. Zur Ausführung des Plans lud sie ihr Opfer ins Burgtheater ein.
Mehrere Gründe
Es gab aber auch Hinweise auf ein anderes Motiv: Die Täterin war auch politische Weggefährtin Panitsas und wollte mit seinem Tod dessen angeblichen Verrat an den Serben bestrafen. Tatsächlich dürfte eine Mischung aus privaten und politischen Gründen ausschlaggebend gewesen sein.
Als Panitsas Leichnam aus dem Burgtheater gebracht war, forderte das Publikum durch lautes Klatschen die Fortsetzung der Aufführung. Man wiederholte den Beginn des fünften Akts, ließ aber Philipp von Zeskas Satz „Ich komme betreffs des Leichnams“ weg. Auch die Schlussworte der Szene „Man stirbt nicht mitten im fünften Akt“ unterblieben.
Haftunfähigkeit
Die Täterin wurde zu acht Jahren schwerem Kerker verurteilt, aber wegen Haftunfähigkeit – sie litt an Tuberkulose – in das Sanatorium Himmelhof in Ober-St.-Veit eingeliefert, das sie nach wenigen Monaten als genesen verlassen konnte. Mencia Carniciu verschwand unauffällig aus Österreich und soll später geheiratet haben und mehrfache Mutter geworden sein.
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