Der Polizeipräsident im gestohlenen Dienstauto
Vor 75 Jahren schwappte über Österreich eine Kriminalitätswelle herein, wie sie kaum je da gewesen ist. Der Krieg war aus, viele Menschen hungerten und froren, hatten ihre Arbeit und ihre Wohnung verloren. So kam es vor allem in den ersten beiden Nachkriegsjahren zu einer Unzahl von Diebstählen, Delikten im Schwarzmarkthandel und zu Raubüberfällen. 1946 wurden allein in Wien 117 Menschen ermordet (zum Vergleich: 2019 waren es 23).
Kriminelle Polizisten
Nach der Befreiung Österreichs durch die Alliierten gab es in der völlig zerstörten Hauptstadt praktisch keinen organisierten Polizeidienst. Entsprechend entwickelte sich die Kriminalität. Von den Sowjets wurden zunächst „Freiwillige Hilfspolizisten“ eingesetzt, unter denen sich, wie sich bald herausstellte, auch entlassene Kriminelle befanden. Einige von ihnen wurden verhaftet, weil sie „im Dienst“ Wohnungen geplündert und andere Straftaten verübt hatten. Von 8.000 Exekutivbeamten, die nach dem Krieg aufgenommen wurden, mussten mehr als die Hälfte infolge mangelnder Eignung gekündigt werden.
Zu den gefährlichsten Kriminellen dieser Zeit zählte die sogenannte „Simon-Bande“, die ganz Wien in Angst und Schrecken versetzte. Die Bande war noch in der Nazizeit gegründet worden und hatte sich auf Autos, Pelze und Schmuck spezialisiert.
Nach einem Raubüberfall am 2. April 1946 konnte eines der Bandenmitglieder festgenommen werden, das bei der Einvernahme die Namen sämtlicher Komplizen nannte – insgesamt fast 70 Personen.
August Simon, der Kopf der Bande, wurde zwei Wochen später nach einem Überfall in einer Wohnung in Wien-Ottakring erwischt. Er erschoss bei seiner Verhaftung einen Polizeibeamten, einen weiteren verletzte er schwer. Zuletzt wurde er selbst durch eine Kugel tödlich getroffen.
Simon konnten fünf Morde nachgewiesen werden, die übrigen Bandenmitglieder wurden von Gericht gestellt. Ihnen wurden 20 Morde und Mordversuche zur Last gelegt, weiters Raubüberfälle, Betrugsdelikte, Einbrüche und Diebstähle.
Moderner Polizeiapparat
Die Situation innerhalb der Exekutive besserte sich erst 1947, als der bisherige Branddirektor Josef Holaubek zum Polizeipräsidenten von Wien ernannt wurde. Holaubek baute einen modernen Polizeiapparat auf und erinnerte sich später, wie schwierig das war, weil viele junge Männer im Krieg gefallen, in Konzentrationslagern umgekommen waren oder als ehemalige Nazis Berufsverbot hatten.
Bei seiner ersten Ausfahrt wurde Holaubek vor dem Allgemeinen Krankenhaus aufgehalten. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei seinem Dienstwagen, einem alten Daimler, um Diebsgut, das im Chaos der Nachkriegszeit sichergestellt worden war. Der Polizeipräsident von Wien war somit in einem gestohlenen Dienstauto unterwegs.
Kommentare