Rund ein Drittel der 65 Jahre, die der KURIER diese Woche feiert, habe ich selbst miterlebt: in den 1970er-Jahren als Gerichts- und Lokalreporter und seit 2003 als Autor dieser Kolumne. Ich war dabei, als Wiens Polizeipräsident Josef Holaubek 1971 einen der drei Ausbrecher aus der Strafanstalt Stein mit den legendären Worten „I bin’s der Präsident“ festnahm und durfte Interviews mit bedeutenden Zeitgenossen führen, die mein Leben bereicherten. Ich habe aber auch etliche Journalistenkollegen kommen und gehen gesehen.
Jede Minute zählt
In keinem anderen Fall war der Abgang aber so dramatisch wie in diesem: In den 1970er-Jahren wurde eine Wiener Bank überfallen. Ein Jungreporter, erst seit wenigen Tagen tätig, wurde samt Fotograf im Redaktionsauto zum Tatort geschickt, um den überfallenen Kassier, Polizisten und mögliche Zeugen zu befragen. In solchen Fällen zählt jede Minute, ist es doch vorrangig, den Bericht noch vor Andruck der ersten Ausgabe ins Blatt zu rücken. Alle warteten an diesem Nachmittag gespannt auf die erhoffte Sensationsstory des Nachwuchsreporters.
Doch plötzlich, nach einer knappen Viertelstunde, kehrte der Fotograf allein und ohne jegliche Ausbeute in die Redaktion zurück, um dem fassungslosen Chronik-Chef mitzuteilen: „Wir sind von der Redaktion losgefahren, aber am Gürtel hat der Kollege dann plötzlich die Autotür aufgemacht und mir zugerufen: ,Sagen S’ denen in der Redaktion, das is doch ka Beruf für mich.’“
Er stieg aus und ward nie wieder gesehen. Das Ende einer Karriere – mitten im Einsatz.
Umstrittener Elfmeter
Die erste Ausgabe des „Neuen KURIER“ war am 18. Oktober 1954 mit einem „Blattaufmacher“ erschienen, der heute ganz aktuell wirkt: die FPÖ-Vorgängerpartei VdU hatte bei Landtagswahlen schwere Verluste erlitten. Die Chronik-Redaktion meldete an diesem Tag, dass der Direktor der Orient-Bar festgenommen wurde und der Sport berichtete über einen umstrittenen Elfmeter, der dem Sportklub zu einem 4:4 gegen die Austria verhalf.
Hans Dichand war der erste Chefredakteur des „Neuen KURIER“ (davor gab’s schon den „Wiener KURIER“, der von der amerikanischen Besatzungsmacht herausgegeben wurde). Der „Neue KURIER“ war gerade ein halbes Jahr alt, als er mit der Schlagzeile erschien, auf die das Land sehnsüchtig gewartet hatte: „Österreich wird frei“, stand auf Seite 1 einer Sonderausgabe vom 14. April 1955, nachdem ÖsterreichsRegierung bei Verhandlungen in Moskau den Durchbruch erzielt hatte.
Nun gab’s einen KURIER mit einem Exklusivbericht über den bevorstehenden Staatsvertrag, aber es gab keine Kolporteure, die abends die Zeitung an die Leser brachten. Daraufhin ist die gesamte Redaktion durch die Stadt gelaufen und hat die Sonderausgabe um 50 Groschen pro Stück verkauft. Chefredakteur Dichand und sein Stellvertreter Hugo Portisch waren auf der Kärntner Straße im Einsatz.
Torberg, Doderer, Weigel
In der Kulturredaktion schrieben in dieser Zeit drei der bedeutendsten österreichischen Autoren: Friedrich Torberg, Heimito von Doderer und Hans Weigel. Letzterer war damals bereits eine Berühmtheit, weil ihn die Schauspielerin Käthe Dorsch am 13. April 1956 auf offener Straße geohrfeigt hatte, da sie in einer seiner Kritiken nicht besonders gut weggekommen war. Es kam zum Prozess Weigel gegen Dorsch, im Zuge dessen der als Zeuge geladene Mime Raoul Aslan mit angemessenem Pathos „die Todesstrafe für Hans Weigel“ forderte. Verurteilt wurde dann aber die Dorsch „zu einer Geldstrafe von öS 500,- im Nichteinbringungsfalle drei Tage Arrest.“
Als Dichand 1958 die Kronen Zeitung gründete, wurde Hugo Portisch neuer KURIER-Chef (großes Bild). Über die Journalistenlegende gibt es zahllose Geschichten, ich will hier eine erzählen, die aufzeigt, dass es im harten Zeitungsgeschäft durchaus Beweise menschlicher Größe gibt:
Heribert Meisel, durch Funk, Fernsehen und als KURIER-Sportchef bekannt geworden, war zweifellos der populärste Sportreporter seiner Zeit. Doch Meisel wurde nur 46 Jahre alt, er starb einen langen, qualvollen Tod, aber er wollte bis zuletzt seine Kolumne „Heribert unterwegs“ schreiben, weshalb in seinem Spitalzimmer ein Fernsehapparat aufgestellt wurde, der es ihm ermöglichte, die aktuellen Ereignisse mitzuverfolgen. Neben seinem Bett stand eine Schreibmaschine, in die er jeden Tag unermüdlich seine KURIER-Kolumne hämmerte.
Dramatischer Verlauf
Die Krebserkrankung nahm einen dramatischen Verlauf, und zuletzt stand Meisel unter dem Einfluss schwerster Morphine, die seine Schmerzen erträglicher machen sollten. Doch er schrieb unbeirrt weiter, auch im Herbst 1966 noch, als die Texte immer kryptischer wurden und nicht mehr in Druck gehen konnten.
Chefredakteur Hugo Portisch wollte verhindern, dass sein treuer Mitarbeiter eines Morgens die Zeitung aufschlagen würde, in der seine Kolumne fehlte. Und so ließ er in Meisels letzten Wochen täglich eine eigene KURIER-Ausgabe drucken, die nur im Kaiser-Franz-Josef-Spital ausgeliefert wurde. Der Sportreporter konnte auf diese Weise bis zum letzten Tag seines Lebens seine Kommentare lesen.
„Papst schon wieder tot“
Zeitungsleute können, es muss hier selbstkritisch vermerkt werden, sehr zynisch sein. Als Papst Paul VI. im August 1978 verstorben war, kam der KURIER mit der Schlagzeile heraus: „Die Welt trauert um den Papst“. Als wenige Wochen später die Nachricht vom Ableben seines Nachfolgers Albino Luciani (Johannes Paul I.) einlangte, machte man sich in der Redaktionskonferenz Gedanken darüber, welcher Titel diesmal zu verwenden wäre, zumal man ja nicht schon wieder „Die Welt trauert um den Papst“ schreiben konnte.
Da schlug der damalige KURIER-Karikaturist Rudolf Angerer vor: „Papst schon wieder tot!“
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