Noch überschlägt sich das später so berühmte Organ und vom legendären Hohen C ist noch keine Rede. Doch Caruso, der immer noch in der Fabrik arbeitet, kämpft sich mit unglaublicher Zähigkeit zu seiner späteren Ausdruckskraft und erhält mit 19 Jahren in Neapel sein erstes Engagement. Von da an geht’s Schlag auf Schlag.
Bei einem La Traviata-Gastspiel in Livorno verliebt er sich in die – verheiratete – Sopranistin Ada Giachetti, mit der er fortan leben und zwei gemeinsame Söhne haben wird. Sobald er reich und berühmt ist, wird Caruso von Adas Ehemann ob der damals schockierenden „wilden Ehe“ erpresst.
Aber noch singt er für einen Hungerlohn. Wie sehr das Publikum in dieser Zeit mit jedem Ton, jedem Wort einer Oper mitlebte, erkennt man an einem Zwischenfall, der sich am Teatro Garibaldi in Trapani ereignet. Enrico Caruso tritt dort in der öffentlichen Generalprobe von Donizettis Lucia di Lammermoor auf und verhaspelt sich bei einem einzigen Wort. Er wird daraufhin vom Publikum ausgepfiffen und von der Theaterdirektion fristlos entlassen. Doch als am nächsten Abend ein anderer Tenor für ihn einspringt, rufen die Zuschauer, dass sie Caruso wieder haben wollen, worauf er vom Theater zurückgeholt wird. Zeitungen berichten von dem „Skandal“, Caruso erregt zum ersten Mal Aufsehen.
Im Alter von 25 Jahren beginnt mit der Rolle des Loris in der Premiere von Umberto Giordanos Oper Fedora im Mailänder Teatro Lirico sein unaufhaltsamer Aufstieg. Der Dirigent Arturo Toscanini sitzt in der Vorstellung und holt ihn sofort an die Scala. Es folgen Auftritte in St. Petersburg, Buenos Aires, Monte Carlo, Rom und an der Covent Garden Opera in London. Wo immer er hinkommt, herrscht unbeschreiblicher Jubel, oft muss er seine großen Arien zwei, drei Mal singen. Caruso Timbre war einzigartig und seine Stimme, oft als Wunder bezeichnet, so klar und kräftig, dass die Zuhörer jedes Wort verstehen konnten.
Caruso – der übrigens auch ein begabter Karikaturist war – hatte in seiner Glanzzeit 500 Lieder und 67 Opernpartien im Repertoire, darunter La Bohème, Carmen, Cavalleria rusticana, Bajazzo, Tosca, Aida, Manon Lescaut…, die er alle und ohne Vorbereitung jederzeit beherrschte.
Den großen internationalen Durchbruch schafft Caruso 1903 an der New Yorker Metropolitan Opera mit Verdis Rigoletto. Insgesamt tritt er im Laufe seines Lebens mehr als 800 Mal an der „Met“ auf.
Als er zwischen 1906 und 1913 – insgesamt 14 Mal – an der Wiener Hofoper gastiert, liegt ihm die Stadt zu Füßen. Keinem anderen ist je ein derartiger Empfang bereitet worden. Der Schriftsteller Robert Weil drückte die Stimmung in einem Gedicht mit dem Titel „Caruso in Wien“ aus: Was rennt das Volk, was wälzt sich dort/Die langen Gassen brausend fort?/Steht etwa gar der Ring in Flammen?/Es läuft die halbe Stadt zusammen/Fahrzeuge schießen her und hin/In hellem Taumel steht ganz Wien/Nie vor der Oper ging's noch zu so/Heut Abend singt C a r u s o !“
Der bestbezahlte Opernstar aller Zeiten erhält pro Vorstellung an der Wiener Oper bis zu 12.000 Kronen (entsprechen rund 50.000 Euro), das ist mehr als jeder heutige Weltstar bekommt.
Carusos letzte Lebensjahre sind nicht von Glück gesegnet. Ada Giachetti verlässt den permanent untreuen Geliebten nach elfjähriger Beziehung und geht mit seinem Chauffeur durch, was Caruso nie überwunden hat. Danach hat er ein Verhältnis mit Adas Schwester Rina, ehe er die amerikanische Millionärstochter Dorothy Park Benjamin heiratet, die ihm eine Tochter schenkt.
Im Sommer 1920 klagt Caruso über stechende Schmerzen, er schont sich aber nicht, sondern geht auf Tournee. Er singt weiter, auch als er während einer Aufführung Blut hustet. In seinen letzten Vorstellungen muss er von den Bühnenpartnerinnen gestützt werden. Ein Arzt diagnostiziert eine Rippenfellentzündung, doch es ist zu spät. Caruso stirbt am 2. August 1921 in seiner Geburtsstadt Neapel im Alter von nur 48 Jahren.
Marcel Prawys Einschätzung wurde auch von Luciano Pavarotti – Carusos legitimem Nachfolger – geteilt, der 1995 sagte: „Caruso ist und bleibt der Größte. Er war der Wahrhaftigste von allen Tenören, er wäre auch heute noch modern, es hat nie einen Besseren gegeben.“ Pavarotti wusste das so genau, weil er mit ihm aufgewachsen ist: „Mein Vater hat mir alle seine Platten vorgespielt, und wir haben im Radio immer nur Carusos Stimme gesucht. Er war mein Leitstern auf dem Weg zur Bühne.“
georg.markus
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