Zu Besuch in Österreichs billigster Schnitzel-Gemeinde
Im südburgenländischen Bezirk Jennersdorf ist die Leibspeise der Österreicher am preiswertesten. So wirklich freuen können sich darüber aber nur die Besucher aus dem Westen.
Als wär’s die einzige Attraktion, die es im satten Grün der südburgenländischen Hügellandschaft zu entdecken gibt, erliegen die Gäste aus der schroffen Tiroler Bergwelt einem Lachanfall und fotografieren, was sie da auf der Speisekarte lesen und kaum glauben können.
Wiener Schnitzel ... 8,80 €.
Samt Beilage. Kein Kalb, trotzdem saubillig. Fast halbiert ist der Betrag, den sie im Westen dafür auf Wirtshaustische blättern.
Eigenwilliger Logik folgend – weil steil nach oben – führt die Straße nach Unter-Henndorf. Zum Gasthaus Leiner. Der Familienbetrieb, ursprünglich als Pizzeria gegründet, offeriert im allgemeinen Aufwärtstrend zur fleischlosen Kost das angeblich immer noch begehrteste Nahrungsmittel Österreichs. Zu einem Preis, der im Bezirk Jennersdorf laut einer bundesweiten Umfrage der durchschnittlich niedrigste in der gesamten Republik ist. In Zahlen: 8,85 Euro pro Schnitzel, im konkreten Fall sogar um fünf Cent unterboten. Des Kunden Freud’, ist des Wirten Leid. Seniorchef Josef Leiner spricht stellvertretend für seine Zunft: „Eigentlich müssten wir wieder die Preise anheben, sonst geht sich das nicht mehr aus.“
Noch vor der Pandemie kostete das Stück Fleisch in der gold-braunen Panier 7,80 Euro. Auf den Magen geschlagen haben sich die Auswirkungen der Inflation. Ausgaben explodieren, und endgültig zerbröselt ist die Hoffnung, bei Bedarf Personal zu bekommen. Leiner plaudert aus seiner Praxis: „Zum Beispiel kosteten noch vor Corona 20 Liter vom Frittierfett 34 bis 44 Euro, jetzt 74.“
Und Fachkräfte? „Wir haben sogar in Slowenien Inserate aufgegeben. Keine Antwort.
Sanfte Tour
Zwei Stunden und zwanzig Minuten dauerte die Autofahrt von Wien nach Jennersdorf, das, von 4.200 Menschen bewohnt, eigentlich eine Stadt ist. Dschungelgleich säumt der hohe Kukuruz den finalen Streckenabschnitt vor dem Eintritt in die andere Welt. Eingebettet zwischen der Steiermark, Slowenien und Ungarn schmiegt sich der Landstrich geografisch betrachtet in eine der letzten Ecken Österreichs. Bodenständig wirkt die Szenerie, entschleunigt bis verträumt – so wie es das Image traditionell diktiert. Verschlafen, meinen selbst Einheimische. Sanft ist die Hügellandschaft, noch sanfter der Tourismus.
Doch wie rosig sind die Zeiten im Schnitzel-Paradies? Sofortiger Halt. „Ab-Hof-Verkauf. EU-Schlachterei“ steht auf dem Schild.
„I wü’ ja ned jammern, aber wenn sich nix ändert, hör’ i auf.“ Der Redeschwall von Gerd Mihalits pendelt zwischen Wut und Verzweiflung. Weil ihm „die pausenlose Abstecherei“ in einem Schlachtbetrieb irgendwann auf die Nerven gegangen ist, eröffnete er in der Nähe von Jennersdorf seinen eigenen Betrieb. Klein und übersichtlich, 40 Schweine in den Stallungen. Das Fleisch kaufen Lebensmittelmärkte und private Kunden. Die gezahlten Preise der größeren Abnehmer seien so gut wie gleich geblieben, seine Aufwendungen nicht. „Noch im Vorjahr wurde für die Tonne Futtermittel 150 Euro verlangt, jetzt fast 400“, klagt Mihalits. Ein Drittel weniger Umsatz macht das unter dem Strich.
Weiterfahrt.
Sorgenfalten
Gernot Schmidt, der vier gastronomische Betriebe (circa 30 gibt es im Bezirk) betreibt und 25 Angestellte beschäftigt, gibt unumwunden zu, dass sein Blick in die Zukunft ein sorgenvoller sei.
Er sitzt in seinem Jennersdorfer Restaurant „Gernot’s Gasthaus zum Hof“ und sprichwörtlich zwischen den Stühlen. Das Dilemma: Ortsansässige, der verlässliche und weitaus größere Teil seiner Kundschaft, dürfe durch empfindliche Teuerungen nicht vergrämt werden. Schmidt sucht auf seinem Handy nach dem Rechner und kommt zum Endergebnis: 180 Schnitzel verlassen wöchentlich seine Restaurantküche. Immerhin.
Aber zu welchem Preis?
Aussagekräftig ist der „Schnitzel-Indikator“: Billige Angebote im Bezirk beruhen auf dem Fehlen der Touristenmassen, deren Urlaubsstimmung die Spendierfreudigkeit fördert, gleichzeitig setzt das bekannt niedrige Durchschnittsnettoeinkommen der südburgenländischen Bevölkerung der Preisgestaltung Grenzen. Ein Unterschied von fast 3.000 Euro netto im Jahr – behauptet jedenfalls die Umfrage. „Und weitere von der Krise verursachte finanzielle Belastungen werden uns erst noch treffen“, sagt Schmidt. Das Gästeverhalten habe sich sehr verändert. „Viele bleiben lieber zu Hause, 50 Prozent der slowenischen Gäste kommen sowieso nicht mehr.“
Bewusst provokant und selbstkritisch folgt die Frage: „Wie dumm sind wir eigentlich? Entscheidend ist doch das Preis-Leistungsverhältnis.“ Das lasse überall zu wünschen übrig. Hier im Osten, im Westen sowieso. 10,50 Euro kostet „Im Hof“ ein Schweinsschnitzel. Ab August mehr. Dezent ist die Preiserhöhung um 50 Cent.
Und so ist am Ende der Schnitzeljagd klar: Es wird sich nicht viel ändern, am West-Ostgefälle. Im Wirtshaus. Und überhaupt.
Kommentare