Ungarisches Tourismus-Projekt bedroht Weltkulturerbe Neusiedler See
Der Balaton ist für Ungarn nicht genug. Jetzt wird auch der Neusiedler See als Tourismus-Destination ins Auge gefasst, genauer das im Landschaftsschutzgebiet liegende ungarische Seeufer bei Fertörákos. Dass die dortigen historischen Häuser erst im Vorjahr einem Brand zum Opfer gefallen sind, mag da gut ins Konzept von Orbán & Co. passen. Der Wiederaufbau wurde den Hauseigentümern auf Grundlage eines aktuellen Beschlusses in Sopron jedenfalls bisher nicht erlaubt. Sie erhalten ebensowenig Informationen wie das offizielle Österreich, im Burgenland fürchtet man jedenfalls bereits um den Status des Weltkulturerbes für den grenzüberschreitenden Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel.
Denn dass das Projekt wieder abgeblasen wird, damit rechnet niemand. Wohl auch deshalb, weil im Burgenland im Zusammenhang mit dem Projekt immer wieder der Name von Viktor Orbáns Tochter Ráhel zu hören ist. Sie und ihr Gatte István Tiborcz, Ungarns jüngster Milliardär, sollen an der Entwicklung beteiligt sein - wie an fast jedem größeren Tourismusprojekt der östlichen Nachbarn. Aber das neueste und bisher größte Projekt am Ufer des Fertöd (ung.: Neusiedler See) wird Auswirkungen auf den ganzen See haben - und damit auf das Burgenland.
Viktor Orbán könnte an einem Megahotelprojekt am Neusiedlersee involviert sein
Lokalaugenschein in Ungarn
"Wohin?", fragt der ungarische "Portier" bei der Einfahrt des Parkplatzes beim ungarischen Seeufer bei Fertörákos recht unwirsch und nicht gerade freundlich. Willkommen fühlt sich der Autor bei so einer Begrüßung nicht gerade, aber das wurde ihm bei der Beschreibung der Zufahrt von seinen Kontaktpersonen ebenso angekündigt, wie dass jede Autonummer aufgeschrieben werde. Die Kamera solle man lieber im Wagen lassen, Journalisten seien hier nicht gerne gesehen.
Offizielle Informationen sind Mangelware
Dabei gibt es am ungarischen Ufer des Neusiedler See, das bis 1989 den kommunistischen Kadern vorbehalten war, bis auf spärlich vorhandene Infrastruktur eigentlich kaum etwas, worüber man tatsächlich schreiben könnte. Abgesehen vom "Haus im See" der Familie Eselböck, die dort Spitzengastronomie anbietet. Viel interessanter ist aber, was hier geplant ist und worüber es so gut wie keine offiziellen Informationen von ungarischer Seite gibt. Und zwar weder für Medien noch für die burgenländische Landesregierung, die das seit rund einem Jahr auf diplomatischem Wege versucht.
Bisher gibt es nur ein im Jänner 2019 veröffentlichtes Video auf YouTube und einige Berichte in unabhängigen ungarischen Medien. Das Video zeigt eine strahlende touristische Zukunft für den etwas heruntergekommenen ungarischen Uferabschnitt des Steppensees. Für die Umsetzung sollen laut ungarischen Medienberichten 23,6 Milliarden Forint, also umgerechnet rund 75 Millionen Euro, sorgen.
Arbeiten wurden aufgenommen
Damit soll am Ufer von Fertörákos ein Freizeitpark inklusive Zoo, Strand, Wasserspielplatz, Parkplatz mit 1.000 Stellplätzen, Ökotourismus-Zentrum, Campingplatz, Restaurants, Hafen mit 500 Liegeplätzen für Boote und Yachten sowie ein Hotel mit 100 Zimmern entstehen. Dutzende Bäume wurden dafür bereits abgeholzt und auch jede Menge Schilf geschnitten, massive Erdbewegungen kündigen sich an.
118 Hektar in Bauland umgewidmet
Derzeit scheinen die Arbeiten allerdings zu ruhen, weil laut ungarischen Medien das Ausschreibungsverfahren für die Landschaftsgestaltung aus "diversen Gründen" abgeblasen wurde. Hinter den Kulissen sollen die Vorbereitungsarbeiten aber munter weitergehen, erst unlängst wurde eine Fläche von 118 Hektar in Bauland umgewidmet. Dennoch wird aus heutiger Sicht nicht damit gerechnet, dass die Arbeiten wie geplant bis Ende 2021 abgeschlossen sein werden.
Das Projekt hat Auswirkungen auf die österreichischen Akteure am ungarischen Südufer des Neusiedler Sees. Da wäre zunächst das Schifffahrtunternehmen Drescher, dessen Pachtvertrag mit Ungarn bis Ende August läuft, mündlich zugesichert wurde dieser bis Ende September. "Aber ab dann wissen wir nicht, wie es weitergeht", sagt Roman Drescher, der seine wirtschaftliche Existenz gefährdet sieht. "Einmal hören wir, dass wir nächstes Jahr fahren können, dann wieder, das sei ausgeschlossen." Er wisse nur von einem "internationalen Hafenprojekt", weitere Informationen werden zurückgehalten.
Allein gelassen fühlen sich auch die Eigentümer der Häuser im See. Das sind 21 auf Pfählen gebaute Gebäude im Wasser, 11 von ihnen brannten im Juni 2017 ab. Sieben der Häuser sind im Eigentum von österreichischen Besitzern, 14 gehörten wohlhabenden Ungarn oder staatlichen beziehungsweise teilstaatlichen Unternehmen. Wie es zu diesem Großbrand kam, der während Schweißarbeiten ausgelöst wurde und wegen des starken Windes von Schilfdach zu Schilfdach sprang, ist bis heute nicht restlos geklärt.
Ebensowenig klar ist, wie es mit den abgebrannten Gebäuden weitergehen soll. Denn laut dem erst kürzlich im Soproner Gemeinderat beschlossenen regionalen Regulierungsplan darf derzeit am und im See nicht gebaut werden. Die Hauseigentümer haben aber laut eigenen Aussagen unbefristete Pachtverträge für die Flächen unter den Gebäuden. Üblicherweise wurde dieser Betrag immer im April eingefordert - heuer aber nicht. Das könnte mit einer neu gegründeten Agentur zusammenhängen, die diese Aufgabe übernommen hat, mutmaßen die - österreichischen und durch die Bank wohlhabenden - Eigentümer, die plötzlich ohne direkten Ansprechpartner dastehen beziehungsweise keine Informationen bekommen.
Der "alte See" ist in Gefahr
Ihnen geht es natürlich einerseits um ihre wertvollen Immobilien beziehungsweise die Zusage, diese wieder aufbauen zu dürfen. Andererseits ist ihnen das ökologische Gleichgewicht und die naturbelassene Gegend ebenso ein großes Anliegen. Denn ihre mit Schilf bedeckten Häuser seien der Grund dafür, warum dieser Ort am Südufer des Neusiedler Sees so viel Charme besitze: "So ein Ambiente findet man heute nirgends mehr. Das ist der alte See, der viele Touristen anzieht."
Sie befürchten, dass die ungarische Regierung ebenso wie am Plattensee "touristische Tatsachen" schaffe wolle und fordern Mitspracherecht der "österreichischen Seite". Die Umsetzung dieser Forderung dürfte nicht so einfach sein, denn überraschenderweise sitzt auch das Land Burgenland im selben Boot wie das Fährunternehmen Drescher und die Hauseigentümer, auf offiziellem Wege ist nichts über das touristische Megaprojekt zu erfahren. Das nährt die Angst vor einem Verlust des Weltkulturerbe-Status. Bereits vor einem Jahr wurde über diplomatischem Wege versucht, Informationen von ungarischer Seite einzuholen - vergebens.
Burgenland fürchtet ums Weltkulturerbe
"Wir schweben in Ungewissheit und müssen fürchten, den Status Weltkulturerbe zu verlieren", heißt es aus dem Büro der zuständigen Landesrätin Astrid Eisenkopf (SPÖ). Seitens des Landes wurde der Versuch unternommen, eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) des Projekts in die Wege zu leiten. Aber die Antwort aus Ungarn war unmissverständlich: "Im Zuge eines Screenings wurde festgestellt, dass keine grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen auf Österreich zu erwarten ist. Deshalb ist keine grenzüberschreitende UVP notwendig."
Familie Orbán mischt mit - inoffiziell
Ebenfalls mit dem Fall befasst ist ICOMOS Austria, jene Organisation, die für die Weltkulturerbestätten in Österreich zuständig ist. Vizedirektorin Uli Herbig sagt auf KURIER-Anfrage, dass sie mit ihren ungarischen Kollegen bereits Kontakt in der Sache aufgenommen habe, sich aber vor einem demnächst stattfindenden Treffen nicht konkret äußern wolle: "Das ist eine schwierige Sache."
Und das vermutlich nicht nur deshalb, weil die Familie Orbán bei diesem Projekt die Finger mit ihm Spiel haben dürfte - heißt es. Denn offiziell ist Ráhel Orbán, die Tochter des Ministerpräsidenten, nicht in das Projekt involviert, obwohl sie laut ungarischen Medienberichten bereits mehrfach am Gelände bei Fertörakos gesehen worden sein soll.
Wie aus gut informierten ungarischen Quellen zu erfahren war, soll es derzeit kaum ein touristisches Projekt in Ungarn geben, bei dem die Orbáns nicht mitmischen. Ein weiteres Indiz dafür ist Orbáns Ehemann István Tiborcz, aktuell der jüngste Milliardär Ungarns, der sich auch an teilweise umstrittenen Bauprojekten am Plattensee engagiert. Er wird laut Gerüchten ebenfalls mit dem Projekt am Neusiedler See in Verbindung gebracht. Medienberichten zufolge soll Ráhel Orbán schon seit Jahren als kommende starke Frau im ungarischen Tourismus aufgebaut werden
Die fachlichen Voraussetzungen dafür bringt sie mit dem Studium Tourismusmanagement und einer einjährigen Ausbildung in einer Hotelfachschule in Lausanne mit. Dazu passt auch, dass die Orbán-Tochter immer wieder bei wichtigen Tourismus-Sitzungen oder entsprechenden Ausschüssen auftaucht, ohne eine offizielle Funktion zu besitzen. Erst unlängst wurde für die Region Sopron ein Tourismuspaket im Wert von 300 Milliarden Forint (rund 1 Milliarde Euro) beschlossen, für das Ufer des Neusiedler Sees sind die erwähnten 23,3 Milliarden Forint vorgesehen.
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