"Frauenhaus oder sichere Wohnungen für das Südburgenland wären hilfreich"

Female with mood disorder
Die Leiterin des Gewaltschutzzentrums, Karin Gölly, spricht von neuem Rekord bei der Zahl an Klientinnen.

32 Frauen werden in Österreich jedes Jahr durchschnittlich ermordet, heuer waren es laut einer Zählung des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) bereits 28 Femizide.
„Einen Mordfall hatten wir im Burgenland in der letzten Zeit zum Glück nicht“, sagt die Leiterin des Gewaltschutzzentrums Burgenland, Karin Gölly. Dennoch haben die Juristin und ihr Team alle Hände voll zu tun. Die Zahl der meist weiblichen Klienten ist dieses Jahr (von 1. Jänner bis Ende November, Anm.) zum Vergleichszeitraum des Vorjahres um knapp 20 Prozent gestiegen. Bei den Betretungs- und Annäherungsverboten werde es – das sei jetzt schon absehbar – einen neuen Rekord geben (siehe Fakten).

Was sind die Gründe für eine derartige Steigerung bei der Zahl der Klientinnen?

Karin Gölly: Diese Entwicklung ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Was wir merken, ist die zunehmende Belastung der Menschen. Ob es die Energiekrise, die Auswirkungen der Pandemie oder finanzielle Sorgen sind –  die Menschen stehen noch mehr unter Druck. Die psychische Belastung ist sehr hoch, vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Je mehr Druck Menschen ausgesetzt sind, desto eher besteht die Gefahr, dass es auch zu Übergriffen kommt.

Welchen Formen der Gewalt sind die Opfer ausgesetzt bzw. mit welchen Problemen wenden sich die Klienten an das Gewaltschutzzentrum?

Meist ist  körperliche Gewalt in unterschiedlichem schwerem Ausmaß der Anlass, warum Klientinnen oder Klienten Hilfe suchen. Unsere Erfahrung ist es, dass die psychische Gewalt eine Begleiterscheinung der körperlichen Gewalt ist. Fälle, bei denen es ausschließlich um psychische Gewalt geht, kommen selten vor. Da ist es für Betroffene dann meist auch ein längerer Weg, bis sie Hilfe suchen.

Wer sind die Menschen, die sich an das Gewaltschutzzentrum wenden?

Der Großteil unserer Klienten ist weiblich. Mehr als  80 Prozent der Opfer von Gewalt sind Frauen, die anderen 20 Prozent der Opfer sind zumeist männliche Kinder. Wenn männliche Opfer Gewalt erleben, ist der Gefährder meist auch männlich – das kann der Vater, der Bruder oder der Sohn sein. Es gibt nur sehr wenige Fälle, bei denen Männer Opfer weiblicher Gewalt werden. Es ist vor allem die Altersgruppe zwischen 30 und 50 Jahren, die sich an uns wendet. Wo es heuer auch eine deutliche Steigerung gibt, nämlich um 12 Prozent, ist die Anzahl der Kinder, die im Haushalt mit einer von Gewalt betroffenen Mutter leben.

Gewaltschutz
Das Gewaltschutzzentrum-Burgenland ist eine Opferschutzeinrichtung, die 1999 gegründet wurde. Jedes Jahr werden mehr als  600 Opfer von Gewalt betreut

Hilfe
Dieses Jahr wurden  von 1. Jänner bis Ende November 723 Klientinnen und Klienten betreut. Im Vorjahr waren es im  Vergleichszeitraum 604 Personen

369 Betretungsverbote
bzw. Annäherungsverbote wurden heuer bis Ende November ausgesprochen, 2021 waren es 308

Kostenlos und anonym
Die Mitarbeiterinnen des Gewaltschutzzentrums helfen Betroffenen, Wege zu finden, um ihre Lebenssituation zu verändern. Es werden vertrauliche  Gespräche geführt, Hilfesuchende werden zu Behörden und Gerichten begleitet

Kontakt
Das Gewaltschutzzentrum befindet sich in Oberwart, in der Waldmüllergasse 1/2. Unter 03352/31 420 kann auch ein Termin in der Nähe des  Wohnortes vereinbart werden. Details zu den Angeboten finden Sie auf www.gewaltschutz.at

"Frauenhaus oder sichere Wohnungen für das Südburgenland wären hilfreich"

Juristin Karin Gölly leitet das Gewaltschutzzentrum Burgenland

Österreich ist das einzige Land in der EU, in dem mehr Frauen als Männer getötet werden. Was könnte dagegen getan werden?

Was uns fehlt, ist eine statistische Erfassung zum Beziehungsverhältnis hinter den Gewalttaten. Man braucht Daten, um Forschung betreiben und Prävention machen zu können. Was wir fordern, ist, dass es – wenn es einen Mordfall gibt – im familiären Umfeld und im Beziehungskontext eine Analyse aller beteiligten Behörden und Einrichtungen gibt. Es geht nicht darum, Schuldzuweisungen zu machen, sondern um zu schauen, wo hat man vielleicht Signale übersehen, wo hätte man noch besser zusammenarbeiten können. Es wäre wichtig, im Nachhinein eine Evaluierung zu machen. Die Gewaltschutzzentren wollen hier ein Konzept erarbeiten und es dem Innenministerium vorlegen. Man weiß auch, dass ein Großteil der ermordeten Frauen sich vorher nicht an die Polizei oder an eine Hilfseinrichtung gewandt hat. Unser Auftrag ist es, für diese Frauen präsenter zu sein und ein niederschwelliges Angebot zu machen.

Was kann präventiv getan werden, um Gewalttaten zu verhindern?

Wir sind sowohl im Polizei- als auch im Gesundheitsbereich in die Schulung und Ausbildung von Pflegepersonal oder von Polizisten eingebunden, um das Personal zu sensibilisieren. Wir sind einerseits im Bereich der Krages, an der FH Pinkafeld und in der Krankenpflegeschule eingebunden und wir sind mit den Tätereinrichtungen vernetzt. Wenn das Personal im  Gesundheitsbereich gut geschult ist, dann kann man sehr viel niederschwellig erreichen. Ich denke, es gibt da eine gute Chance, in diesem Bereich relativ früh eine gute Unterstützung zu bieten.

 Was sind Ihre Ziele für das kommende Jahr? Was wäre aus Ihrer Sicht nötig?

Es geht darum, das Angebot der Gewaltschutzzentren in Österreich bekannter zu machen. Die Menschen müssen wissen, dass sie sich kostenlos und anonym beraten lassen können, da wollen wir die Öffentlichkeitsarbeit intensivieren. Wichtig ist es aber vor allem im Gesundheitsbereich, in Schulen, in der Justiz – überall wo Menschen betroffen sein können – ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen.
Wenn ich mir was wünschen könnte, wäre das ein Frauenhaus – oder die Möglichkeit für sichere Wohnungen – im Südburgenland. Denn Gewaltopfer, die im Südburgenland leben, gehen fast nie in das Frauenhaus im Nordburgenland. Die Frau müsste ihren Job aufgeben, die Kinder aus der Schule nehmen. Ein Angebot im Süden wäre meiner Meinung nach sehr hilfreich.

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