Beichte im Commerzialbank-Skandal: Jetzt spricht die Frau hinter Ex-Bankchef Pucher

Von Gernot Heigl
Franziska Klikovits war die rechte Hand des einst mächtigen Commerzialbank-Chefs Martin Pucher. Im Februar 2025 wurde sie im größten von mehreren Strafprozessen rund um die Bankpleite zu sechs Jahren und vier Monaten Haft verurteilt – wegen Untreue, Veruntreuung und betrügerischer Krida.
Sie hatte gemeinsam mit Pucher Millionenbeträge aus der Bank geschleust, mit gefälschten Schecks und erfundenen Rechnungen hantiert und notleidende Unternehmen künstlich am Leben gehalten.
Ich würde alles dafür geben, in der Zeit zurückzugehen.
über ihre Schuldgefühle
Was Klikovits von Anfang an von anderen Beschuldigten unterschied: Sie legte ein umfassendes Geständnis ab, belastete sich selbst und trug wesentlich zur Aufklärung bei. Der Staatsanwalt sprach von einem "außergewöhnlich reumütigen" Verhalten, der Vorsitz des Gerichts hielt fest: Sie habe sich selbst nicht bereichert – sondern aus Loyalität zu Pucher gehandelt, bis zur Selbstaufgabe.
KURIER: Was sagen Sie zum Urteil und Ihrem bevorstehenden Haftantritt?
Franziska Klikovits: Ich nehme die Strafe an, wie sie ist. Ich habe an der Aufklärung ja nicht deshalb aktiv mitgewirkt, weil ich eine milde Strafe wollte, sondern weil ich es allen Geschädigten schuldig bin und diese sich nur so ein umfassendes Bild von den Geschehnissen machen können. Mein Anwalt wollte unbedingt in Berufung gehen, da die Aufklärung seiner Ansicht nach nicht mildernd berücksichtigt wurde. Es war ja noch nicht der Prozess, wo es um die Geschädigten ging, sondern ausschließlich um Mittäter außerhalb der Bank. Diese wären ohne die aktive Aufklärungsarbeit wohl nur schwer bis gar nicht ausforschbar gewesen, was auch der Staatsanwalt im Prozess betont hat.

Kein Kronzeugenstatus für Klikovits.
Mein Anwalt wollte ursprünglich sogar einen Kronzeugenantrag stellen. Das wollte ich nicht, weil es für die Geschädigten ein Schlag ins Gesicht gewesen wäre, wenn ich straffrei gehen würde und Pucher verhandlungsunfähig ist. Die Berufung wurde auch deshalb zurückgezogen, weil das Urteil laut meinem Anwalt inhaltliche Mängel aufweist, welche nur durch eine Neudurchführung des Verfahrens behebbar gewesen wären. Und das wollte ich keinesfalls, weil es meinen Haftantritt ja nur noch weiter nach hinten verschoben hätte und ich einfach einen Schlussstrich ziehen möchte. Bis dato habe ich die Aufforderung zum Strafantritt noch nicht erhalten, es ist aber davon auszugehen, dass ich noch im Sommer meine Strafe antrete.
Wenn der Prozess etwas gezeigt hat, dann, dass Pucher ein sehr überzeugender Mensch war.
über Bankchef Martin Pucher
Franziska Klikovits: Die heute 60-Jährige wird am 2. Dezember 1997 zum dritten Vorstandsmitglied der zwei Jahre zuvor von Martin Pucher gegründeten Commerzialbank Mattersburg AG bestellt.
Karriere: Nach der Hauptschule absolviert Klikovits die dreijährige Hauswirtschaftsschule in Eisenstadt. Darauf folgen Tätigkeiten in der elterlichen Landwirtschaft und der Diözese Eisenstadt, ehe sie 1984 in die Raiffeisenkasse Zemendorf-Stöttera-Krensdorf-Hirm eintritt. Ihr dortiger Chef: Pucher, der die kleine Bankengruppe 1995 von Raiffeisen abspaltet und die Commerzialbank gründet.
17.000 Euro: Als Vorstandsmitglied der Commerzialbank hat Klikovits 2019 ein Nettojahresgehalt von 204.000 Euro (monatlich 17.000 Euro). Pucher erhält 200.000 Euro.
Rücktritt: In der Nacht auf den 15. Juli 2020 gibt Klikovits schriftlich ihren Rücktritt bekannt. Im September desselben Jahres wird vom Bezirksgericht Mattersburg über ihr Vermögen ein Schuldenregulierungsverfahren eröffnet.
Wie stehen Sie zu Ihrer Verantwortung, haben Sie Schuldgefühle?
Ich fühle mich nicht nur schuldig, ich bin es auch. Ich kann nicht in Worte fassen, wie leid es mir tut. Ich kenne viele der Geschädigten, ich kenne die Geschichte dieser Personen. Ich habe durch mein Verhalten Existenzen ruiniert und Menschen um ihr Geld gebracht. Es gibt keine Worte dafür, wie sehr mir das ganze leid tut. Ich würde alles dafür geben, das Geschehene rückgängig zu machen.
Ich würde alles dafür geben, in der Zeit zurückzugehen und die Kraft zu finden, zur Polizei zu gehen. Ich würde alles dafür geben, aber ich kann es leider nicht mehr ungeschehen machen. Hätte ich mit 19 Jahren zu meinem Chef „Nein“ gesagt, als das erste Mal ein rechtswidriges Ansinnen an mich herangetragen wurde, hätte ich mir ein Vierteljahrhundert Hölle erspart. Für die Geschädigten hätte das aber wahrscheinlich auch nichts geändert, weil Pucher dann jemand anders gefunden hätte. Wenn der Prozess etwas gezeigt hat, dann, dass Pucher als Bankchef ein sehr überzeugender Mensch war.

Im Februar 2025 wurde Franziska Klikovits im größten von mehreren Strafprozessen rund um die Bankpleite zu sechs Jahren und vier Monaten Haft verurteilt – wegen Untreue, Veruntreuung und betrügerischer Krida.
Was würden Sie den Opfern sagen?
Ich möchte mich aufrichtig bei allen Geschädigten entschuldigen. Es ist mir bewusst, dass jedes Wort der Entschuldigung für die Geschädigten völlig bedeutungslos ist. Mein ursprüngliches Motiv war, Pucher Zeit zu verschaffen, damit er eine Lösung findet, das Bilanzdelta auszugleichen. Der Prozess hat auch gezeigt, dass die Malversationen schon begonnen haben, bevor ich in der Commerzialbank zu arbeiten begann. Das Trügerische bei Bilanzdelikten ist, dass der Schaden in der Bilanz dahinschlummert und bei den Kunden erst eintritt, wenn das Bilanzdelta aufgedeckt wird. Ich wollte Pucher helfen, Zeit zu gewinnen, um den Bilanzschaden zu sanieren. Als klar war, dass das nicht mehr möglich sein wird, wollte ich den Schadenseintritt und den Niedergang der Bank einfach nicht erleben beziehungsweise den Zeitpunkt dafür nicht bestimmen. Ich weiß, ich hätte schon vor vielen, vielen Jahren die Reißleine ziehen und zur Polizei gehen müssen, und ich bereue es zutiefst, dass ich nie die Kraft dafür habe aufbringen können. Ich habe dadurch jedes Jahr alles nur viel schlimmer gemacht und werde mir das nie verzeihen können.
Folgen Sie keinen Anweisungen, wenn Sie ein schlechtes Gefühl haben. Hätte ich mit 19 Jahren zu meinem Chef „Nein“ gesagt, als das erste Mal ein rechtswidriges Ansinnen an mich herangetragen wurde, hätte ich mir ein Vierteljahrhundert Hölle erspart.
über ihre Hörigkeit gegenüber Martin Pucher
Wie sehen Sie heute die Rolle von Martin Pucher, der ja aus gesundheitlichen Gründen nicht verhandlungsfähig ist? Und was würden Sie ihm sagen?
Ich maße mir nicht an, noch steht mir das Recht zu, über andere Menschen zu urteilen. Jeder Mensch – egal welchen Namen er trägt – muss in dem Verfahren für sich selbst entscheiden, ob er zu seinen Fehlern steht und dafür Verantwortung übernimmt. Ausnahmslos jeder muss diese Entscheidung selbst treffen und mit seinem Gewissen vereinbaren. Letztendlich muss man mit dieser Entscheidung gegenwärtig und auch zukünftig leben.

Klikovits über Pucher: "Jeder Mensch – egal welchen Namen er trägt – muss in dem Verfahren für sich selbst entscheiden, ob er zu seinen Fehlern steht und dafür Verantwortung übernimmt."
Jede Person sollte bei der Entscheidungsfindung den Gedanken an die Geschädigten nie außer Acht lassen. Ich glaube sagen zu können, dass ich grundsätzlich ein Mensch bin, der zuerst immer – wenn auch unausgesprochen – den Fehler bei sich selbst sucht. Dies ist auch hier der Fall und somit kann ich nur über mich selbst wütend sein. Wütend, dass ich nicht den Mut und die Kraft aufbrachte, bereits viel früher die Reißleine zu ziehen oder nicht schon mit 19 den Job gleich wieder hingeschmissen habe. Betreffend des aktuellen Gesundheitszustands von Martin Pucher liegen entsprechende Gutachten vor, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Welchen Folgen tragen Sie persönlich, wie geht Ihre Familie mit der Situation um?
Meine Entscheidung, dass es nun zum Haftantritt kommt, wird von meinem Gatten mitgetragen. Es war uns bei Prozessbeginn bewusst, dass ich eine Haftstrafe bekomme. Betrachtet man mein Leben während der aktiven Zeit in der Commerzialbank, insbesondere im letzten Jahrzehnt, so hatte ich kein Privatleben. Ich war durchgehend in der Bank und habe im Schnitt vier Stunden geschlafen. Zeit für Freunde und Familie war nicht vorhanden. Es waren daher logischerweise auch kaum noch Freunde da, die sich nach dem Skandal abwenden hätten können. Ständige Wegbegleiter in all den Jahren waren Furcht und Angst davor, dass das Ganze auffliegt und der Schaden bei den Kunden „ankommt“. Wenn Sie so wollen, ist die Aufarbeitung mit den Behörden meine Therapie.

Vertreten wird Klikovits von Rechtsanwalt Johann Pauer.
Wie gehen Sie persönlich mit Ihrer Schuld um?
Die Vergangenheit, das Geschehene, die Fehler, die ich gemacht habe, kann man aus dem Alltag nicht verdrängen. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran denke oder aber damit konfrontiert werde. Um weiterzuleben, muss man lernen, damit umzugehen. Vielleicht kann man es auch als Versuch, es zu verdrängen, bezeichnen. Aber egal, wie man es nennt, man wird täglich davon eingeholt.

Wenn Sie so wollen, ist die Aufarbeitung mit den Behörden meine Therapie.
Welchen Rat haben Sie für Personen, die ebenfalls von Ihrem Chef unter Druck gesetzt werden?
Ich kann nur jedem, der sich in einer vermeintlich ausweglosen Situation befindet, sagen: Es ist viel schlimmer, jahrelang in Furcht und Angst vor dem Erwischtwerden zu leben, als sich seiner Verantwortung und den Konsequenzen zu stellen. Egal ob Vorgesetzter, Chef oder sonstige Autoritätsperson: Folgen Sie keinen Anweisungen, wenn Sie ein schlechtes Gefühl haben. Selbst wenn es nur eine Kleinigkeit ist. Es fängt meistens klein an und wird immer mehr. Irgendwann ist man dann soweit drinnen, dass man keinen Ausweg mehr sieht. Dann wird es auch immer schwieriger, wieder heraus zu kommen. Damit dieser Schritt auch gelingt, sollte man sich professionelle Unterstützung holen. Ich konnte nie die Kraft aufbringen, um vor vielen, vielen Jahren die Reißleine zu ziehen und zur Polizei zu gehen.
Gibt es auch etwas, wofür Sie Danke sagen möchten?
Bedanken möchte mich vor allem bei meinem Gatten für seine Geduld und dass er dies auch alles mitträgt. Vergessen möchte ich aber auch nicht, mich bei meinem heutigen Arbeitgeber zu bedanken. Es ist nicht selbstverständlich, dass man mir Vertrauen entgegenbringt und mich beschäftigt. Und Danke sage ich auch dafür, dass ich noch die Erfahrung machen durfte, arbeiten zu können, ohne ständig von Furcht und Angst begleitet zu sein.
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