Ratschenbuam mit über 75: Brauchtum erlebt Renaissance

Walter Mittnecker, Hans Parsch und Ulrich Nakowitz (v. li.) brechen um Mitternacht zum Ratschen auf.
Als die fünf Buben Freitag Mittag vom Martinsdom kommend mit ihren Ratschen auf dem Kopfsteinpflaster die Eisenstädter Fußgängerzone hinuntergehen, sind sie schon von Weitem zu hören.
Nur wenige Passanten bleiben – belustigt oder interessiert – stehen. Dass jemand, wie früher gang und gäbe, angesichts der Ratschen stehen bleiben und ein kurzes Gebet sprechen könnte, übersteigt schlicht die Vorstellungskraft.
Dennoch, so Jakob Perschy, Leiter der Landesbibliothek und studierter Volkskundler, sei es schon einmal noch schlechter um dieses Jahrhunderte alte Brauchtum gestanden.
„In den 1970er-Jahren galt das Ratschen als altmodisch und rückständig“, weiß Perschy.
Er sieht mittlerweile sogar Anzeichen einer „Renaissance“ dieses Brauchs in der Karwoche, auch wenn er mitunter im modischen Kleid eines Events daherkomme.
Was steckt hinter dem Brauch, der in katholischen Gegenden verbreitet ist?
Nachdem die Kirchenglocken von Gründonnerstag bis Karsamstag ausfallen, weil alle zur Beichte oder zum Reisbreiessen in Rom weilen, braucht es in dieser Zeit Ersatz.
Kulturerbe
Seit 2015 gehört das Ratschen in der Karwoche in Österreich zum nationalen immateriellen Kulturerbe. Laut UNESCO soll der Brauch damit als lebendige Kulturtradition geschützt und weitergegeben werden.
6 Uhr in der Früh
Früh aufstehen heißt es für die echten Ratschenkinder. Am Karfreitag startet die erste Tour durch die Ortschaften, wenn die meisten noch fest schlafen.
Um 6 Uhr früh, zur Mittagszeit, um 15 und 18 Uhr werden die Gläubigen durch das unüberhörbare Geräusch der Ratschen daran erinnert, zu beten oder den Gottesdienst zu besuchen.

Kinder der Dompfarre ziehen durchs Eisenstädter Zentrum.
Meist sind es Ministranten oder Jungscharmitglieder, die mit Hand- oder Schubratschen durch den Ort ziehen und dabei von Bewohnern für ihre Erinnerungsarbeit „entlohnt“ werden – meist in Form von Süßigkeiten oder kleiner Geldbeträge.
Von Süd bis Nord
Auch in Oberwart waren die Ratschen schon ein bisschen verstaubt, ehe sie vor rund zehn Jahren wieder reaktiviert wurden. Eine, die damals schon dabei war, ist Katharina Krutzler. Angefangen haben Ministrantinnen und Ministranten, dann habe sich der Kreis der Ratschenkinder erweitert, erzählt Krutzler.

In Oberwart begleitet Katharina Krutzler (ganz oben) die Kinder.
Heute ist die Pfarrgemeinderätin 24 Jahre und immer noch begeisterte „Ratscherin“. Am Karfreitag und Karsamstag hat sie die Ratschenkinder auf den eineinhalbstündigen Touren durch den Bezirksvorort begleitet. Vor allem ältere Menschen würden sich freuen, wenn geratscht wird. Nach dem anstrengenden Morgenratschen gab es für die Kinder zur Stärkung ein Frühstück im Kontaktzentrum neben der Oberwarter Osterkirche.
Neufeld mit ganz eigener Tradition
Nicht Kinder, sondern gestandene Männer halten in Neufeld an der Leitha die Tradition des Ratschens hoch. Seit Mitte der 1980er-Jahre sind die Dorfratschenbuam aktiv und organisieren auch karitative Veranstaltungen. Obwohl kein eingetragener Verein, gibt es mit Hans Parsch (77) einen Präsidenten und mit Walter Mittnecker (78) einen Stellvertreter.

Walter Mittnecker, Hans Parsch und Ulrich Nakowitz (v. li.) - hier auf einem Bild der Dorfratschenbuam aus früheren Zeiten.
Die „Buben“ sind zwischen 20 und 78 Jahre alt. An die 30 eingesessene „Dörfler“ nehmen alljährlich an der mitternächtlichen Karfreitagswanderung teil.
Ausnahmsweise werden auch Neufelder zugelassen, die nicht im historischen Ortskern wohnen, etwa Bürgermeister Michael Lampel. „Er ist immer dabei“, loben die Vereinsoberen das Stadtoberhaupt. Dass zu nachtschlafender Zeit lautstark geratscht wird, störe niemanden in der Kleinstadt, versichern Parsch und Mittnecker.
Der Weg führt die Ratschenbuam Jahr für Jahr auch den Kreuzweg außerhalb der Gemeinde entlang, dessen Stationen Tischlermeister Parsch und seine Vereinskollegen vor fast 20 Jahren selbst errichtet haben.
Schon als Buben seien sie mit Leib und Seele beim vorösterlichen Ratschen dabei gewesen, erinnern sich die beiden Neufelder. Als erwachsene Männer wollten sie diese Tradition aufleben lassen. „Das ist halt eine Spinnerei“, lacht Mittnecker.
Aber eine liebenswerte.
Kommentare