Gastronomie im Burgenland: Zwei Geflüchtete als Heurigenwirte
Luai Alhussein wirkt etwas abgehetzt, als er zehn Minuten nach der vereinbarten Zeit zum Gesprächstermin mit dem KURIER erscheint. Er entschuldigt sich mehrmals. Die Verspätung sei ihm verziehen, denn er und sein Bruder Ali haben gerade alle Hände voll damit zu tun, die „Stodl Schenke“ für den Saisonstart am 1. Mai auf Vordermann zu bringen.
Wie der Name schon vermuten lässt, ist das Lokal in einem bäuerlichen Stadel untergebracht, mitten im Nickelsdorfer „Hintaus“ der Urbarialgasse. Den urigen Heurigen haben die beiden Syrer im Sommer 2023 sozusagen gerettet. Als der bisherige Pächter aus gesundheitlichen Gründen kürzer treten musste, haben Ali und Luai ihre Chance erkannt. Und ergriffen. Wenn die beiden am kommenden Mittwoch wieder die Stadeltüren öffnen, können sie auf wichtige Erfahrungen aus ihrer ersten Saison als Heurigenwirte zurückblicken. „Ich war davor noch nie in einem Heurigen, das war fremd für mich. Ich wusste nicht einmal, wie dick man eine Scheibe Brot abschneiden sollte“, erzählt Luai und lacht.
Schmalz und Hummus
Ihre Wissenslücken füllten die syrischen Brüder, indem sie die Gäste um ehrliches Feedback baten. In der Küche bemühte sich Ali, die österreichischen Klassiker – vom Kümmelbratenbrot bis zur Heurigenplatte – beizubehalten. Zum Grammelschmalz gesellten sich in der Stodl Schenke fortan aber auch Hummus und andere syrische Spezialitäten wie Yaprak (gefüllte Weinblätter) oder Fattusch (ein orientalischer Salat). Die neue Speisekarte kam beim Nickelsdorfer Publikum bestens an.
Die beiden Wirte scheinen im Dorf generell sehr beliebt zu sein – das bestätigt auch Luai selbst: „Viele meiner syrischen Bekannten fragen mich, warum ich am Land wohne, obwohl ich in die große Stadt kommen könnte. Ich fühle mich dort aber nicht so wohl. Die Stadt ist gut zum Arbeiten, aber zum Leben und zum Freunde finden ist es am Land viel schöner.“
„Spritzer trinkt er keinen“
Ein Stammgast, der zufällig während des Interviews vorbeikommt, wirft ein: „Nur Spritzer trinkt er noch keinen. Aber das ist OK.“ Obwohl die Syrer selbst zwar weder Alkohol noch Schweinefleisch konsumieren, haben sie kein Problem damit, das in ihrem Heurigen zu servieren. „Das ist mir egal. Ich biete alles an, jeder wie er will“, sagt Luai.
Wirte zu werden, das war im Lebensplan der beiden Syrer eigentlich nicht vorgesehen. Im Sommer 2015 sind Luai, Ali und ihr dritter Bruder Judi (er arbeitet als Friseur in Wien) in Nickelsdorf angekommen. In der Pension „das Risa“ fanden sie eine Unterkunft. Die ersten acht Monate haben sie fast ausschließlich damit verbracht, Deutsch zu lernen. Nachdem ihr Asylstatus bewilligt war, beschlossen sie, Land und Leute besser kennenzulernen.
Es war der 4. September 2015, als der damalige Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) verkündete, dass die österreichisch-ungarische Grenze geöffnet werde. Eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen für die Grenzgemeinde Nickelsdorf.
Die darauf folgenden Monate werden rückblickend meist als die große Migrationskrise bezeichnet. 300.000 geflüchtete Menschen, die meisten kamen damals aus Syrien, überquerten den burgenländischen Grenzübergang. Die meisten zogen gleich weiter Richtung Wien, viele wurden in temporären Quartieren aufgenommen, nur sehr wenige blieben längerfristig in Nickelsdorf – zum Beispiel die Brüder Ali und Luai Alhussein, die heute den Heurigen „Stodl Schenke“ führen (siehe oben).
Ihre syrische Heimat haben Ali und Luai seit ihrer Flucht nicht mehr gesehen. Als Halb-Kurden droht ihnen dort nach wie vor Verfolgung. Ihre Mutter und andere Familienmitglieder leben aber nach wie vor in der syrischen Stadt Derik. „Ich fliege jedes Jahr in den Irak. An der irakisch-syrischen Grenze kann ich meine Familie treffen“, erzählt Luai. Wie es den Menschen dort aktuell geht? „Es ist wirklich schwierig. Sie leben von Tag zu Tag“, antwortet Luai nachdenklich. Gerne würde er wieder Syrien besuchen, ohne Angst haben zu müssen – seinen Lebensmittelpunkt sieht Luai aber weiterhin in Österreich. „Ich werde auch Staatsbürger werden“, hat er sich fest vorgenommen.
Anfangs wolle der heute 33-jährige Luai in Wien sein Studium abschließen. In Syrien hatte er bereits acht Semester Schiffsbau studiert – da dieser Studienzweig im Binnenland Österreich unbekannt ist, hat er stattdessen eine Ausbildung zum Zerspanungstechniker gemacht und drei Jahre lang bei einer Firma in Wien gearbeitet. Doch es zog ihn immer wieder zurück nach Nickelsdorf. Während seiner Ausbildung hat Luai im Restaurant Falb erste Erfahrungen in der Gastronomie gemacht. „Dort habe ich es sehr gemocht und richtig viel gelernt“, sagt er.
Stodl Schenke
Der Heurige in der Urbarialgasse 29 startet am Mittwoch (1. Mai) in die Saison und ist bis Ende September von Donnerstag bis Sonntag ab 16 Uhr geöffnet. Am Freitag (3. Mai) gibt es ein Konzert mit Alexander Ribisch und Eveline Schauer.
„das Risa“
Das Gasthaus mit Pension in der Oberen Hauptstraße 9 beherbergt seit einigen Jahren auch eine Post-Partner-Filiale. Auch die wollen Ali und Luai Alhussein ab kommenden Herbst übernehmen.
1.855 Einwohner
Seit dem Tiefstand im Jahr 2001 (1.566 Einwohner), verzeichnete die Bevölkerungszahl in Nickelsdorf in den vergangenen Jahren einen leichten Aufwärtstrend. Seit 2005 wird das „Nova Rock“ in Nickelsdorf veranstaltet.
Zukunftspläne
Der Gastronomie wollen Ali und Luai weiter treu bleiben. Jenes Wirtshaus, in dem sie vor neun Jahren wohnen durften, wollen sie im kommenden Herbst übernehmen. Dann geht der jetzige Chef Alfred Kellner nämlich in Pension und übergibt seinen Betrieb in syrische Hände. Er sieht das als eine Form der Flüchtlingshilfe, wie er schmunzelnd anmerkt: „Damals, 2015, wollten am Anfang alle helfen. Übrig geblieben bin nur ich“.
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