Aufregung um Seidl-Doku: ÖVP-Gemeinderäte treten zurück

Das Quintett, darunter zwei Gemeinderäte, sang im Film in einem Keller voller Nazi-Devotionalien.
"Andere sammeln eben Briefmarken", heißt es in Marz. Regisseur: "Sie wussten, was sie tun".

Das „Prosit der Gemütlichkeit“ im Keller von Josef O. hat für das Quintett aus dem Burgenland zu ebener Erd’ ein ungemütliches Nachspiel: Nach dem Auftritt der fünf Männer in Ulrich Seidls neuer Doku „Im Keller“ hat die Staatsanwaltschaft Eisenstadt am Freitag gegen die fünf ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts nach § 3g Verbotsgesetz („Wiederbetätigung“) eingeleitet. Die Marzer – darunter zwei ÖVP-Gemeinderäte – hatten sich im Keller voller Nazi-Objekte samt Hitler-Bild und Hakenkreuzfahne zugeprostet.

Aufregung um Seidl-Doku: ÖVP-Gemeinderäte treten zurück
marz
Josef O., den in der 2000-Einwohner-Gemeinde alle „Joe“ nennen, behauptete, „nur Sammler“ zu sein. Zur Erklärung: Der Besitz ist nicht strafbar, die Zurschaustellung sehr wohl. Sie könnte allenfalls nur als Verwaltungsdelikt (bis 4000 €) nach dem Abzeichengesetz geahndet werden. „Das Sammeln der Objekte könnte ein Indiz für eine bestimmte Gesinnung sein“, begründete Staatsanwaltschafts-Sprecherin Magdalena Wehofer die Untersuchung. Wie der KURIER aus Polizeikreisen erfuhr, war O. schon mehrmals im Visier der Ermittler, herausgekommen ist aber nie etwas.

Rücktritte

Die beiden Politiker haben schon reagiert und sind aus Gemeinderat und Volkspartei ausgeschieden. „Freiwillig“, betont die Landes-ÖVP. Freilich: ÖVP-Generalsekretär Gernot Blümel hatte zuvor die Rücktritte gefordert. ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner hat sich am Freitag klar von den beiden bereits zurückgetretenen burgenländischen Gemeinderäten distanziert. "Die Angelegenheit ist eine sehr, sehr problematische", sagte er nach dem Parteivorstand am Freitag. "Wir haben mit derartigem Gedankengut nichts, aber auch gar nichts am Hut", sprach Mitterlehner für seine Partei. Er betonte auch, dass die beiden Männer sofort die Konsequenzen gezogen hätten und Parteimitgliedschaft sowie ihre Funktionen zurückgelegt hätten.

Es sei ein Fehler gewesen, am Dreh teilzunehmen, ließen die beiden Ex-Gemeinderäte per Aussendung wissen: „Aus tiefster Überzeugung distanzieren wir uns von NS-Gedankengut und Gräueltaten“. Ansonsten blieben sie am Freitag wie vom Erdboden verschluckt – wie auch Gastgeber Josef O.

Sein Haus am Ortsrand ist ein pannonisches Schmuckstück – „lachsfarbener“ Anstrich, der Rasen getrimmt, die Hecken akkurat gestutzt, kleine Heiligenfiguren vor der Eingangstür, die aber auch nach mehrmaligem Läuten verschlossen bleibt. Als unzugänglich beschreibt ihn auch ein Nachbar, der, wie fast alle Gesprächspartner, anonym bleiben will.

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„In 20 Jahren haben wir keine fünf Minuten miteinander geredet“, erläutert er. An die Dreharbeiten im Jahr 2009 erinnert er sich gut. Die Filmcrew rund um Seidl habe sich über Hintergrundgeräusche beschwert, wenn er mit dem Auto weggefahren sei. Der Dreh habe mehrere Stunden gedauert, verteilt auf ein paar Tage. Der Nachbar ist überzeugt: „Jeder hat vom Keller gewusst“. Der Einzige, der sich nicht scheut, sein Konterfei zu zeigen, ist Heinrich Mitterhöfer. Bezeichnend: Er kommt aus einem Nachbarort, ist aber oft in Marz. Die Nazi-Sammlung sei „abscheulich“, spricht der 74-Jährige Klartext.

Musikverein

Dass der Nazi-Keller kein Geheimnis war, bestätigen auch andere Marzer, aber sie sehen die seltsame Sammelleidenschaft als Hobby, „wie ein anderer Briefmarken sammelt“, sagt eine Frau im Café Kornfehl. Und man streicht eine andere Seite von O. hervor: „Das sind nette Leute, meine Kinder dürfen sich Obst aus seinem Garten holen“, so eine Nachbarin.

In dieselbe Kerbe schlägt Andreas Plank, Obmann des Musikvereins „Frohsinn“, dessen Mitglied O. seit 42 Jahren sei. „Ein hilfsbereiter Mensch, eine Stütze des Vereins“. Seit Veröffentlichung der Keller-Szene seien alle „aus dem Häuschen“. Am Dienstag berate man über Konsequenzen. Plank stellt die Vertrauensfrage, er mache sich Vorwürfe, dass er damals nicht nachgeschaut habe, was „die dort tun“. Und O.? Der Vorstand entscheide, „ich glaube nicht, dass wir ihn rausschmeißen“.

Seidl äußert sich

Der Regisseur Ulrich Seidl versteht die Aufregung, weist jedoch im Telefonat mit der APA den Vorwurf zurück, die Szene sei "verzerrt" dargestellt worden (das ganze Interview lesen Sie unten).

Kritik von allen Seiten

Kritik gab es auch von anderen Parteien. Die Sozialistische Jugend Burgenland forderte ebenfalls den sofortigen Rücktritt und rief "Steindl, Hüller & Co" zum Handeln auf. "Es ist wirklich bedenklich, wenn PolitikerInnen Männerrunden in Kellern voll mit Devotionalien aus der Zeit des Nationalismus als 'feucht fröhliche Musikerprobe' abtun", meinte der Bezirksvorsitzende Martin Giefing.

Die Grüne Landessprecherin Regina Petrik kritisierte in einer Aussendung u.a. auch Steindl, weil dieser im Interview erklärte "Wenn es sich um nationalsozialistische Wiederbetätigung handelt, dann müssen Konsequenzen gezogen werden.". Für Petrik sei das "zu wenig". "Das finde ich als Abgrenzung erschreckend bedürftig und es überrascht mich sehr unangenehm."

Ulrich Seidls Filme:

Nachdem zwei burgenländische ÖVP-Gemeinderäte in Ulrich Seidls neuer Doku "Im Keller" in einem Raum voller Nazi-Devotionalien zu sehen sind, herrscht Aufregung. Der Regisseur versteht die Aufregung, weist jedoch im Telefonat mit der APA den Vorwurf zurück, die Szene sei "verzerrt" dargestellt worden. Dies hatte ihm der ÖVP-Bürgermeister der Gemeinde Marz, Gerald Hüller, vorgeworfen.

Herr Seidl, sind Sie überrascht von der Wucht der Berichterstattung rund um den "Nazikeller" und die ÖVP-Politiker, die darin zu sehen sind?
Ulrich Seidl:
Ja. Ich habe das ja auch nicht gewusst. Im Film werden sie weder namentlich genannt, noch gibt es Statements, was sie von Beruf sind oder welche Funktionen sie haben. Nun ist es ein Politikum geworden. Daher verstehe ich auch die Aufregung.

Seit wann wissen Sie, dass es sich um zwei ÖVP-Politiker handelt?
Auch erst seit gestern. Aufgrund des Berichts in den Nachrichten.

Es gab den Vorwurf, dass die Szene "verzerrt" dargestellt wurde...
Da muss ich gleich widersprechen: Das kann nicht verzerrt dargestellt werden. Es wird das gezeigt, was man sieht. Es ist ja auch nicht versteckt gefilmt worden und auch nicht in einer Überrumpelung. Wir haben damals mehrmals bei Herrn Ochs in den Kellerräumlichkeiten gedreht. Da kommt ja nicht nur das Nazi-Zimmer vor, sondern auch andere Räume und auch vor dem Haus haben wir gedreht. Die Szene ist quasi ein Fragment eines Porträts. Ich habe das eins zu eins so aufgenommen, es gibt auch nicht einmal einen Schnitt.

Aufregung um Seidl-Doku: ÖVP-Gemeinderäte treten zurück
Ulrich Seidl im Interview am 22.08.2014 in Wien

Gab es mit den Musikanten mehrere Drehtage?
Das weiß ich jetzt nicht mehr nach so langer Zeit. Aber natürlich ist es nicht so gewesen, dass die zufällig da waren und ich bin zufällig gekommen bin und das zufällig aufgenommen habe. Natürlich kannte ich allmählich Bekannte und Freunde von Herrn Ochs und Mitglieder dieser Kapelle. Ich habe die sicher vorher einmal kennengelernt, weil ich musste den Dreh ja auch organisieren und planen.

Wo Sie gerade von Planung sprechen: Im Presseheft zu "Im Keller" sagen Sie, dass die Szene mit der Frau und den Puppen erfunden ist, da sie eigentlich gar keine Puppen im Keller hat. Wie sieht es diesbezüglich in den anderen Szenen aus? Sind die näher an der Realität?
Ich sage dazu auch immer, es ist ein sehr gutes Beispiel, wie meine Arbeit funktioniert. Ich schöpfe aus der Wirklichkeit. Das ist für mich die Basis, aber es ist nicht so, dass ich einfach eins zu eins die Dinge aufnehme. Sobald man eine Kamera wo aufstellt, verändert sich die Wirklichkeit. Es gibt Handlungsstränge, die ich weiterführe, um zu zeigen: So könnte es sein. Die Frau, die das spielt, das hat etwas Wahres dran. Ich habe eine dieser Puppen in ihrer Wohnung gesehen und da ist die Idee aufgetaucht. Dass sie das spielt ist Fiktion, aber auf der anderen Seite - und das hat sie mir gestern gesagt - habe ich es ganz gut getroffen. Sie hat tatsächlich einen Kinderwunsch und konnte sich in die Szene reinfühlen. Sonst wäre es ja auch nichts geworden.

Aber bei der Szene mit den ÖVP-Politikern wurde nichts erfunden?
Das ist eins zu eins und nichts erfunden.

Die beiden ÖVP-Gemeinderäte sind mittlerweile zurückgetreten. Es gibt nun auch Ermittlungen. Wären Sie bereit, bei strafrechtlicher Verfolgung die Bänder des Drehs herauszugeben?
Wenn es verlangt wird, wird man das wohl machen. Aber ich bin mir sicher, dass es sich nicht um Wiederbetätigung handelt, soweit ich das einschätzen kann. Und ich habe mich ja beim Drehen damals schon auch rechtlich erkundigt: Es handelt sich um einen Privatraum. Ich verstehe, dass man das jetzt verfolgt und prüft. Da wird dabei nichts herauskommen. Er sagt ja selbst im Film im O-Ton, dass die Polizei schon öfter bei ihm war. Dass er diesen Raum hat, ist ja vorher bekannt gewesen.

Glauben Sie, dass die Szene auch so viel Staub aufgewirbelt hätte, wenn es sich nicht um Politiker gehandelt hätte?
Nein, das glaube ich nicht. Denn was ich jetzt in den Zeitungen lese, geht es gerade um das, dass ÖVP-Politiker in einer feucht-fröhlichen Runde unter einem Hitler-Bild sitzen. Und das geht natürlich nicht. Das verstehe ich schon. Das, was ich gefilmt habe, ist kein strafbarer Tatbestand. Es geht um die Verharmlosung dieser Vergangenheit. Und die finde ich allerorts in Österreich. Diese Szene ist ein Beispiel für vieles. Nicht jeder hat so einen Nazikeller, aber das Gedankengut ist da.

Wären sie politisch aktiv gewesen, hätten Sie die Szene so gedreht und veröffentlicht?
Das ist etwas, das für mich nicht relevant ist. Die Leute wurden ja nicht dazu gezwungen. Das sind ja verantwortungsbewusste erwachsene Menschen, und wenn sie bereit sind, als Mitglieder der örtlichen Musikkapelle sich da hinzusetzen neben den Ochs und zu trinken, dann wissen sie, was sie tun. Und das wird nicht das erste Mal gewesen sein für den Film. Man findet halt nichts dabei.

Bei der gestrigen Premiere waren auch einige Protagonisten des Films mit dabei. Die beiden ÖVP-Politiker und die restlichen Musikanten sowie Herr Ochs aber nicht, oder?
Nein. Die haben aufgrund des Wirbels abgesagt.

Haben Sie Sorge, dass sie sich gegen Sie wenden?
Das ist natürlich so. Der Film ist der Auslöser, dass sie Schwierigkeiten haben. Aber da kann man jetzt auch nichts mehr machen.

Tut es Ihnen leid, dass die beiden nun ihre Funktionen los sind?
Das tut mir nicht leid, dazu habe ich keine Nähe. Sie haben selbst Verantwortung zu tragen. Aber ich habe immer Probleme damit, wenn etwas zu einseitig dargestellt wird, was gewisse Boulevardmedien jetzt auch tun. Herr Ochs ist ein Mensch, den man nicht als Neonazi beschimpfen kann, das ist er nicht. Mein Zugang zu solchen Menschen ist immer ist ein anderer: ihn auch ambivalent darzustellen. Er hat andere Seiten. Er ist durchaus ein sympathischer Mensch. Es ist nicht mein Zugang, Leute zu verurteilen oder durch den Film ans Messer zu liefern. Ich bin kein Aufdecker-Journalist.

Haben die beiden Politiker angekündigt, Schritte gegen Sie zu setzen?
Ich weiß nichts davon. Ich habe mit denen auch gar nicht gesprochen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mal, welche der Fünf es sind.

Glauben Sie, dass der Film, der ja nächste Woche ins Kino kommt, nun aufgrund der Berichterstattung mehr Zuschauer haben wird?
Das kann ich nicht abschätzen.

Ulrich Seidls Dokumentarfilm "Im Keller", der am Donnerstag am "/slash"-Festival seine Österreich-Premiere feierte und am 26.9. regulär in den Kinos startet, sorgte bereits bei seiner Weltpremiere in Venedig Ende August für Aufsehen. Der Skandal um zwei mittlerweile zurückgetretene ÖVP-Gemeinderäte, die in dem Film inmitten von Nazi-Devotionalien zu sehen sind, ist allerdings nicht Seidls erster Eklat.

Der Keller als Ort des Heimeligen und Unheimlichen, des Privaten und des Verborgenen, des individuellen und des kollektiven Rückzugs steht im Zentrum der 85-minütigen Dokumentation. Es geht um Wünsche und Sehnsüchte, um Obsessionen und Bedürfnisse, um die "Rituale von Leben und Tod", wie es der Filmessayist Olaf Möller in seinem Begleittext formuliert. "Im Keller spürt man alles", sagt etwa einer der Blasmusiker und vermittelt damit einen Eindruck dessen, welchen Stellenwert der Keller für die österreichische Seele eingenommen hat.

Einblicke in Alltage

Der Film umfasst jedoch weit mehr als das gesellige Beisammensein im Nazi-Keller: So zeigt etwa ein Mann, der ursprünglich Opernsänger werden wollte, seinen Schießkeller her. Eine junge Frau gibt explizite Einblicke in ihren Alltag als Pornodarstellerin und Teilzeit-Prostituierte. Eine ältere Frau geht in ihren Keller, um dort mit Baby-Puppen zu sprechen. Ein Ehepaar zelebriert vor der Kamera seine SM-Beziehung.

Über die betreffende Szene im Keller des Burgenländers Josef Ochs, in dem die nun kritisierten Szenen entstanden, heißt es im Presseheft: "Ein Ehemann lebt in den Kellerräumlichkeiten des gemeinsamen Einfamilienhauses, dort hat er alles, was er braucht. Er bläst in der örtlichen Musikkapelle, er trinkt viel und gerne und lädt Gäste zu sich in den Keller ein. Dort, umgeben von nationalsozialistischen Memorabilien, ist der für ihn gemütlichste Raum..."

Kritiken

Nach der Premiere in Venedig schieden sich die Geister in ihren Kritiken, manche stießen sich vor allem an zahlreichen Nacktszenen. So hieß es etwa im Hollywood Reporter: "Der Dokumentarfilm 'Im Keller' wird mit seiner Galerie von übergewichtigen und nackten Körpern, die in unbeschreibbaren Akten beschäftigt sind, Seidls Fans nicht enttäuschen." Im Tagesspiegel hieß es: "Wie immer in Seidls Filmen inszenieren die Protagonisten sich selbst, zeigen sich so nackt, wie sie sich zeigen wollen, mit unverwandtem Blick in die Kamera. Aber es fragt sich, welchen Erkenntnisgewinn es bringt, neben dem Nazi im Hitler- und Hakenkreuz-Devotionalienkeller etwa eine Prostituierte im winzigen Käfig eingepfercht zu sehen. Alles Freaks oder wie?"

Skandal

Für einen handfesten Skandal hatte Seidl bereits im Jahr 2012 gesorgt, als er Probleme mit der italienischen Justiz bekam. Die ultrakonservative katholische Organisation "NO 194" hatte nach der Uraufführung des Wettbewerbsfilms "Paradies: Glaube" Anzeige wegen Blasphemie erstattet. Auch 2001 bei der Präsentation von "Hundstage" schrieb die Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera von einem "Skandal". Die römische Tageszeitung Il Messaggero fasste zusammen: "Der österreichische Film Hundstage schockt Venedig. Der Film ist eine Mischung von Orgien, gewalttätiger Sex, Sex mit dem Liebhaber vor dem eigenen Mann, Strip Tease von alten Frauen."

Matinee am 28. September

Wer sich für Seidls Herangehensweise interessiert, hat bald die Möglichkeit, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen: Begleitend zum Kinostart von Ulrich Seidls neuem Film zeigt das Stadtkino am 28. September um 12 Uhr im Rahmen einer Matinee den Dokumentarfilm "Ulrich Seidl und die bösen Buben" von Constantin Wulff. Der ORF zeigt die Doku dann tags darauf (29. September, 23.15 Uhr in ORF 2) im Rahmen des "Kulturmontags".

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