Auf kürzerem Weg zum Facharbeiter
Corona hat vieles verändert – der Fachkräftemangel gehört nicht dazu. Darüber klagen Unternehmer und Politik seit Jahren. 65 Prozent der Betriebe melden „massiven Arbeitskräftemangel“, verwies Wirtschaftskammer-Vizedirektor Harald Schermann am Mittwoch auf „dramatische“ Zahlen des Fachkräfteradars. Zwei Drittel der Befragten mussten deshalb Aufträge ablehnen. Das Problem aus anderer Warte: Trotz Allzeithoch von 111.000 Beschäftigten war im August mit 2.050 auch die Zahl offener Stellen auf Rekordniveau – dabei waren fast 7.700 Personen als arbeitslos gemeldet.
Land, AMS, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung starten deshalb einen neuen Versuch, dem Mangel abzuhelfen. Begonnen wird mit den meist betroffenen Branchen Tourismus, Bau und Baunebengewerbe, kündigte Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) an. Alle Partner setzen auf Zuckerbrot statt Peitsche. Verschärfungen bei Arbeitslosengeld oder Zumutbarkeit fordert nicht einmal die Wirtschaft.
„Speeddating“
Wie funktioniert die Offensive für mehr Fachkräfte? Im Rahmen eines „Speeddatings“ sollen Arbeitgeber und Arbeitssuchende einander finden. Im Festsaal der Wirtschaftskammer in Eisenstadt waren gestern zum Auftakt aber mehr Betriebe als potenzielle Mitarbeiter. Vertreter der Esterhazy Betriebe, die offene Stellen in der Gastronomie besetzen möchten, waren nach einem ersten Gespräch optimistisch, andere Restaurantbetreiber ernüchtert.
Wenn beide Seiten aber wollen, folgt eine viermonatige Ausbildung im Betrieb. Danach können die Teilnehmer als qualifizierte Praktiker ins Unternehmen einsteigen. Wer will, kann dort anschließend auch eine auf 14 Monate verkürzte Lehrausbildung absolvieren. Die Kurskosten der viermonatigen Grundausbildung trägt das Land. Im Norden und Süden werden vier Kurse für Tourismus und Bau angeboten, finanziert mit 800.000 Euro aus dem EU-Additionalitätsprogramm.
Das Angebot richtet sich an Personen ab 20 Jahren, Jüngere sollten weiterhin die normale, längere Lehrausbildung absolvieren, erläuterte AMS-Chefin Helene Sengstbratl. Beide Lehrabschlussprüfungen seien gleichwertig, betonte Doskozil.
Der auf klassische sozialdemokratische Themen setzende Rote relativierte dabei auch die in den letzten Jahren als heilige Kuh gehandelte Maturantenquote. Die Steigerung sei im Vordergrund gestanden, erinnerte Doskozil an das Mantra seines Vorgängers Hans Niessl. Das sei „grundsätzlich richtig“, so Doskozil, aber „wir brauchen jeden einzelnen Elektriker, Koch, Kellner, Touristiker.“
In dieselbe Kerbe schlug auch Industriellen-Präsident Manfred Gerger, der an die Eltern appellierte, ihrem Nachwuchs die Lehre nicht madig zu machen.
Der Mindestlohn von 1.700 Euro im Landesdienst, dauernder Zankapfel zwischen Doskozil und Arbeitgeberverbänden, blieb gestern ausgespart. Obwohl sich dabei mancher Facharbeiter denkt, ob er‘s im Landhaus um diesen Lohn nicht einfacher haben könnte. „Wir diskutieren heute nicht den Mindestlohn“, so Doskozil gleich zu Beginn. „Nein“, bekräftige Gerger. Immerhin haben beide dabei gelacht.
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