Stellen Sie sich vor, Sie sitzen einem jungen Mann Mitte 20 gegenüber, der behauptet, 2019 geboren worden zu sein. Sein Name? Immanuel von Quizin, ein Mitglied des Tempelordens aus dem 13. Jahrhundert.
Dieser Mann, der vor 25 Jahren eigentlich als "Manuel Koller" in Güssing zur Welt kam, lebt mit Asperger-Autismus – und vereint heute drei Persönlichkeiten in sich: X1 (der Autist), Manuel Koller (2012 als zweite Persönlichkeit erschaffen) und Immanuel von Quizin (erschaffen 2019).
Kollers Autismus hat nichts mit dem Klischee eines mathematischen Genies zu tun, mit dem Autismus oft assoziiert wird. Seine Zeit in der Volks- und Hauptschule war geprägt von negativen Erfahrungen.
Ich hasse Zahlen
von Manuel Koller
Man wollte ihn sogar in eine Sonderschule schicken, weil er in Mathematik große Schwierigkeiten hatte. "Es wurde nur auf meine Schwächen geschaut und nicht, was mit mir 'falsch' war", erinnert er sich.
2012 kam die Wende
Doch mit dem Jahr 2012, dem Geburtsjahr seiner zweiten Persönlichkeit "Manuel Koller", kam die Wende. Das Experiment veränderte sein Leben radikal – und zwar zum Besseren. Er schaffte die Matura, gewann den Bundesredewettbewerb und fand eine Anstellung bei einer internationalen Softwaresicherheitsfirma.
Aber wie hat er das geschafft?
In diesem Artikel lesen Sie:
Wie geht Manuel mit seiner Diagnose um?
Wie verlief seine Schulzeit? Wo arbeitet er heute?
Wer sind Immanuel von Quizin, X1 und Manuel Koller?
Asperger-Autismus - Bürde oder Gabe?
Kann jeder Asperger-Autist so seinen Weg finden?
Unter dem Namen "Manuel Koller" strebt er heute danach, seine sozialen Fähigkeiten zu schärfen und die Menschheit besser zu verstehen.
Sein ursprüngliches Ich, den "Ur-Manuel", bezeichnet er mittlerweile als "X1" – ein Autist mit all seinen Problemen, aber auch Vorzügen. Eine Person, die sich stets verbessern will, mit Stärken in Disziplin, Rhetorik und Lernfähigkeit. Immanuel von Quizin hingegen dient den Zielen des Templerordens aus dem 13. Jahrhundert.
"Emotionen" nur am PC
Das Leben des 25-Jährigen war geprägt von minimaler sozialer Interaktion. "Wenige Freunde, einige Spezialinteressen wie Astronomie, Lesen, Beobachten oder sich in virtuellen Welten zu verlieren", erinnert er sich.
In Computerspielen – insbesondere Rollen- oder Strategiespielen – konnte er seine kognitiven Fähigkeiten ausbauen und seine Moral auf die Probe stellen. Hier erlebte er zum ersten Mal "richtige Emotionen".
"Die Fähigkeiten von Autisten werden durch Unterhaltungsmedien oft als emotionsloser Supercomputer gezeigt. Bei mir sind aber Fähigkeiten wie Sprache sehr ausgeprägt", sagt er.
X1 will sich selbst verbessern, mit Erfahrungen und Erlebnissen
Manuel Koller will seine soziale Interaktionsfähigkeit verbessern und Verbündete stärken
Immanuel von Quizin will den Zielen des Templerordens von damals dienen
Alle drei vereint ein gemeinsames Ziel: "Es wird eine Überlegenheit angestrebt. Eine Überlegenheit über die eigenen Ziele, um damit Autisten zu helfen."
Eine weitere Gabe sei sein fotografisches Gedächtnis, hilfreich etwa bei der Inventur in der Burg Güssing, wo der 25-Jährige als Wächter tätig ist.
Arbeit als Urlaub
Jede Bewegung, die er macht, ist ein bewusster Akt. "Ich bin ständig am Planen, brauche nur vier bis maximal sechs Stunden Schlaf und keinen Urlaub", erklärt der 25-Jährige. Für ihn bedeutet Arbeit Entspannung. "Beschäftigung ist für mich Urlaub", sagt der junge Mann aus Güssing.
Doch er hat auch eine Leidenschaft: das stille Beobachten von Menschen in Cafés. Er ist jedoch empfindlich gegenüber Geräuschen und hat Schwierigkeiten mit sozialen Interaktionen. Trotzdem sieht er sich als "sehr empatisch" und glaubt, dass Autisten oft besser Beziehungen führen können: "Weil sie nicht so schnell überreagieren und rational denken."
Mit der Erschaffung seiner zweiten Persönlichkeit "Manuel Koller"“ wagte der Südburgenländer 2012 den Sprung aus seiner Komfortzone, "die beste Entscheidung überhaupt". Viele Autisten würden so etwas nicht wagen. Die erste Persönlichkeit könne, dank der Erschaffung der zweiten, ein „sehr angenehmes Leben“ führen.
Seine schulischen Leistungen verbesserten sich, 2016 gewann er mit der Rede "Autismus – eine eigenartige kleine Existenz" den Bundesredewettbewerb und seine Diplomarbeit mit dem Titel "Ist eine einheitliche Weltwährung möglich?" wurde ausgezeichnet.
Heute ist er Teil des Teams bei "Expleo" in Güssing, einem IT-Unternehmen. Seine Kolleginnen und Kollegen schätzen seine Fähigkeiten. "Ich kann genau dort arbeiten, wo meine Stärken sind. Es ist eine sehr menschenfreundliche Firma, ich werde sogar in meiner jeweiligen Persönlichkeit angesprochen", erzählt Manuel.
"Drei Persönlichkeiten sind genug"
Seine dritte Persönlichkeit, Immanuel von Quizin, habe er dann 2019 erschaffen. "Durch mein Wissen über das Mittelalter hat sich quasi eine eigene Energieform gebildet. Dazu kam meine Faszination für Religion, ritterliche Tugenden und allgemein das Weltbild dieser Zeit."
Drei Persönlichkeiten seien aber die Grenze. "Für eine vierte ist es zu spät, es herrscht aber auch kein Bedarf", sagt der Güssinger. Der bloße Wunsch, seine Situation zu verändern, zündete den Funken: "Ich war sehr unzufrieden mit meinem Leben, bin aber unglaublich stur. Das gilt sogar für alle drei Persönlichkeiten.
"Nur zwei davon können gleichzeitig aktiv sein. Wären alle drei gleichzeitig aktiv, würde das dem Zweck widersprechen, für den sie geschaffen wurden: sich an spezielle Umstände anzupassen. Es gibt sogar eine Art "Trigger", der einen Persönlichkeitswechsel auslöst.
"Wenn ich als Immanuel aktiv bin, dient mein Gewand als Trigger. Mir fehlt dann aber die Fähigkeit, technische Geräte der heutigen Zeit zu verstehen, und ich habe nur wenig passives Wissen für Notfälle", erklärt Manuel.
Wechsel dauert circa fünf Minuten
In der ersten Persönlichkeit als "X1" nehme er ganz viel aus seiner Umgebung wahr, könne aber nicht wirklich sozial interagieren. Rund fünf Minuten dauere es, bis ein Wechsel vollzogen sei: "Ich kann das wie einen Lautstärkeregler jederzeit herumschieben."
Automatische Wechsel, wie bei einer Persönlichkeitsstörung, habe er keine. Doch er betont, dass das "Triplex-Universum" nicht für alle Autisten gedacht ist. Es ist seine persönliche Lösung, seine Art, mit den Besonderheiten seiner Wahrnehmung umzugehen. Und es ermöglicht ihm, ein erfülltes und vielfältiges Leben zu führen.
Vorträge und Wünsche
"Das war meine Lösung auf die Problematiken autistischer Lebensweise. Es ist aber super, denn ich kann jetzt drei verschiedene Leben führen. So wie ich hier sitze, glaubt mir ja keiner, dass ich eigentlich gerne in die Disco gehe", lacht der 25-Jährige. Dafür werde er einfach zu "Manuel Koller" und könne so sogar die Geräuschempfindlichkeit des Autisten "X1" unterdrücken.
Die Diagnose Asperger-Autismus sieht er heute eher als Gabe denn als Belastung: "Nicht jeder bekommt dieselben Fähigkeiten und kann damit umgehen." Mit seinem eigenen Unternehmen "Triplex-Botschaft" organisiert und bewirbt er Vorträge zu seiner einzigartigen Geistesspaltung. Er ist auch ein Referent an der Volkshochschule.
Sein größter Wunsch? An Fachhochschulen und Universitäten über sein Leben und seine drei Persönlichkeiten zu sprechen.
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