Liebeszauber und Flüche: Magische Texte aus Ägypten übersetzt
In einem Amulett um den Hals getragen oder heimlich im Haus eines Widersachers versteckt, sollten sie unter anderem Krankheiten heilen, Feinde verfluchen, Liebe oder Hass hervorrufen oder einen Blick in die Zukunft erlauben.
Fünf Jahre lang hat sich ein Team von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern mit "magischen" Texten aus Ägypten beschäftigt, die auf Papyrus, Pergament, Papier und Tonscherben verfasst wurden und aus der Zeit zwischen dem vierten und zwölften Jahrhundert n. Chr. stammen. Magisch war die Wirkung, die von diesen Papyri ausgehen sollte.
Was diesen Texten außerdem gemeinsam ist: Sie alle wurden in koptischer Schrift und Sprache verfasst. Koptisch ist die letzte Entwicklungsstufe der ägyptischen Sprache. Sie löste um das zweite Jahrhundert n. Chr. das Demotische ab und wurde ihrerseits mit der arabischen Eroberung Ägyptens im 7. Jahrhundert nach und nach verdrängt.
Fünf Jahre Forschungsarbeit in einem Werk veröffentlicht
"Es sind etwa 600 dieser Texte erhalten; die bisher größte veröffentlichte Sammlung enthält aber nur rund 100 von ihnen. Die übrigen waren bislang in zahlreichen Büchern und Artikeln verstreut und sind deshalb nur wenigen Spezialisten zugänglich und bekannt gewesen", beschreibt Korshi Dosoo die Ausgangslage des Projekts. Der Altertumswissenschafter hat gemeinsam mit Markéta Preininger gerade das Werk "Papyri Copticae Magicae" veröffentlicht, publiziert als Band 48 der Reihe Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete – Beihefte.
Am Lehrstuhl für Ägyptologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) haben die beiden in den vergangenen fünf Jahren das gleichnamige Forschungsprojekt geleitet, das durch das Programm "Exzellente Ideen" der JMU finanziert worden war.
Liebeszauber und Trennungswünsche
Die Inhalte dieser Texte lassen sich einer Handvoll Kategorien zuordnen. Da geht es beispielsweise um den Schutz vor dem Tod oder vor Dämonen, die Besänftigung von Feinden oder um die Erfüllung ganz konkreter Wünsche.
Liebeszauber bilden eine häufig zu findende Gattung; sie wurden überwiegend von Männern eingesetzt. In manchen Fällen sollte der Zauber dafür sorgen, dass sich Ehepaare wieder trennen. Magie in der Heilkunde spielte eine wichtige Rolle, beispielsweise um Fieber und Kopfschmerz sowie Schlaflosigkeit zu verhindern. Nicht selten sollte das Papyrus seiner Trägerin dabei helfen, schwanger zu werden.
"Einblick ins Privatleben der Menschen zu dieser Zeit"
"Diese Dokumente dienen als wichtige Informationsquelle für die volkstümliche Religion – die Realität und nicht das Ideal religiöser Praktiken und Überzeugungen, wie sie im täglichen Leben gelebt und praktiziert wurden", erklärt Markéta Preininger. Damit geben sie heutigen Leserinnen und Lesern Auskunft über die Erfahrungen der Menschen an der Schwelle des Übergangs von der traditionellen ägyptischen Religion zum Christentum und zum Islam, über ihre Vorstellungen von der menschlichen und göttlichen Welt und darüber, wie menschliche Erfahrungen wie Glück und Erfolg, Leiden und Krankheit, Liebe und Konflikte verstanden und verhandelt wurden.
"Mit diesen Texten erhalten wir einen direkten Einblick ins Privatleben der Menschen zu dieser Zeit; sie vermitteln uns ihre wahren Emotionen", sagt die Wissenschafterin.
Der Übergang zum Christentum hinterlässt Spuren
Tatsächlich hat der Übergang zum Christentum auch in den magischen Texten Spuren hinterlassen. "Die Christianisierung Ägyptens beendete zwar die Kulte der zahlreichen Götter der pharaonischen Zeit, aber sie beendete nicht den Glauben an eine Welt voller übermenschlicher Kräfte", erklärt Korshi Dosoo. Stattdessen hätten die Menschen ihre einstigen Götter umgestaltet in Engel und Heilige, die dem allmächtigen Gott dienten, und in böse Wesen, die seiner Schöpfung schaden wollten.
Dementsprechend sind diese Manuskripte "reiche Quellen für Informationen über das tägliche Leben und die gelebte Religion in Ägypten in den letzten Jahrhunderten der römischen Herrschaft und den ersten Jahrhunderten nach der arabischen Eroberung", wie der Verlag schreibt.
Ein Lückenschluss in der Forschungslandschaft
Mit ihrem Interesse an magischen Texten aus Ägypten steht das Würzburger Forschungsteam in einer langen Tradition. Schon im Jahr 1928 hat der Papyrologe Karl Preisendanz die Textsammlung Papyri Graecae Magicae (PGM) herausgegeben, die trotz ihres Namens im Wesentlichen Papyri aus Ägypten enthielt und die zu einem späteren Zeitpunkt um die Papyri Demoticae Magicae ergänzt wurde. Eine umfassende Sammlung magischer Texte in koptischer Schrift und Sprache hatte bislang aber noch gefehlt.
"Diese Lücke haben Korshi Dosoo und Markéta Preininger dank der JMU-Finanzierung mit dem jetzt veröffentlichten Band zu schließen beginnen können", erklärt Professor Martin Andreas Stadler, Inhaber des Lehrstuhls für Ägyptologie an der JMU.
Es sollen noch weitere magische Bände folgen
Fünf Jahre haben Markéta Preininger und Korshi Dosoo gemeinsam mit ihrem Team an dem Band gearbeitet; das Forschungsprojekt „Coptic Magical Papyri“ wurde vor wenigen Wochen beendet. Die Beschäftigung der beiden mit den magischen Texten ist allerdings noch lange nicht am Ende angekommen. Auf Band 1 können noch etliche weitere folgen – „möglicherweise sieben“, schätzt Korshi Dosoo.
Und zumindest Band 2 scheint bereits gesichert zu sein. Vor Kurzem haben die beiden Wissenschaftler erfahren, dass ihr Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligt wurde. Mit dieser finanziellen Unterstützung können sie nun ein neues Projekt in Angriff nehmen: den Corpus of Coptic Magical Formularies. Somit werden sie sich auch in den kommenden drei Jahre an der Universität Würzburg mit Liebe und Hass, Flüchen und Wünschen und jeder Menge Emotionen aus einer lange zurückliegenden Epoche beschäftigen.